XXXVIII

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Die Blaue konzentrierte sich. Kaum einen Herzschlag später stand sie in dem Zwischenraum. Der graue Nebel wobte um ihre Füße, wirbelte in wunderschönen Schwaden hinauf, nur um sich kurz darauf wieder auf den Boden niederzulassen.

„Nox", sagte sie lieblich, ging auf den Elfen zu und betrachtete ihn. Seine schneeweiße Haut schien in diesem Licht aschfahl, sein Haar glänzte schwarz. In den grünen Augen stand Liebe geschrieben, Liebe für sie. Das Weiß seiner Kleider umschwebte ihn wie der Nebel die Blaue.

„Meine Gebieterin", erwiderte er und sank auf ein Knie. Die Blaue verwandelte sich in Elfengestalt. Silbernes Haar floss ihr in leichten Wellen über die Schultern auf ihr königsblaues, körperbetontes Kleid. Sie wusste, dass sie als Elfe unwiderstehbar war. Ihre tiefblauen Augen zogen einen genau so in den Bann wie sie es taten, wenn sie in Drachengestalt war.

„Gebieterin, ich...", Nox sah zu ihr hinauf. Sie hatte ihm eine Hand unters Kinn gelegt, um seinen Kopf anzuheben.

„Ich möchte Euch nicht in die Streitigkeiten meiner Geschwister ziehen, Nox", sagte sie sanft und zog den Elfen auf die Beine. „Die Flammende beginnt einen Krieg. Mir schwant Böses, wenn ich an den Silbernen denke. Versprecht mir, dass Ihr auf Draecon Acht gebt. Er ist der größte Schatz meines Bruders und es wäre allzu schade, ihn an meinen Geschwistern zu verlieren."

Nox schluckte hart. „Ich schwöre es, Gebieterin. Aber was ist mit Euch?"

Die Himmelsschlange lächelte mild. „Ihr braucht Euch um mich keine Sorgen zu machen. Mit meiner Schwester habe ich keine Rechnung offen und wo sie keinen Streit sieht, beginnt sie auch keinen."

Nox' Gesicht blieb dennoch ernst. „Nox, Ihr müsst es mir versprechen!", drängte die Blaue und schließlich nickte der Schneeprinz unglücklich.

„Euer Wunsch ist mir Befehl, Herrin", antwortete er und sah niedergeschlagen in ihre Augen.

„Mir wird nichts geschehen. Ich danke Euch für Eure Zeit", erwiderte die Blaue. Nox' Lippen umspielte ein kurzes Lächeln, bevor seine Gestalt verblasste und schließlich ganz verschwand. 

Zu gerne wüsste die Blaue, was in seinem Kopf vor sich ging. Was er wirklich fühlte, wenn ihre Macht ihn nicht so einnehmen würde. Wie er bei klarem Verstand war. Aber das würde sie womöglich nie erfahren. Ihre Ausstrahlung trug sie immer mit sich, egal in welcher Gestalt und egal an welchem Ort.

———

„Verdammt!", knurrte Dreniul und riss das Steuer herum. Etwas knirschte unter der Sturmflut und der Kapitän schloss kurz die Augen. Dieses Schiff war alles, was er besaß. Die Sturmflut war seine Liebe, seine Leidenschaft und er würde alles daran setzen, um sie vor dem Meer zu schützen.

Die Augen des Elfen rasten über die Meeresoberfläche. Kein einziger Felsen ragte aus dem nun tosenden Wasser und nichts ließ auf unterirdische Riffe schließen.

„Lasst die Anker los!", befahl Dreniul kühl, zu sehr musste er sich auf seine Aufgabe konzentrieren. Darauf, die Sturmflut sicher durch dieses Gebiet zu steuern, ihr so wenig Schaden wie möglich zuzufügen.

Ein Ruck ging durch das Schiff, Dreniul schloss daraus, dass die Anker Halt gefunden hatten. Wenigstens etwas.

„Kapitän", rief einer seiner Mannschaftsmitglieder nervös, „Die Ketten reißen!"

Dreniul erstarrte, schob dann aber sofort einen nahestehenden Elfen ans Steuer, um nach den Ankern zu sehen. Das Metall der Kette knirschte gefährlich, bis es schließlich nachgab und gleich einem Schild zerbarst.

Dreniul schüttelte ungläubig den Kopf. Ein nächster Ruck ging durch das Schiff: auch die Kette des zweiten Ankers war gerissen. Der Kapitän fluchte. Obwohl die Segel geborgen waren, trieb der Wind die Sturmflut weiter an. Er hatte inzwischen seine Richtung geändert, seine Kraft kam aus dem Osten. Die Böe war ihre letzte Hoffnung. Die Besatzung der Sturmflut war hilflos, stand auf dem Deck da und hoffte auf Erbarmen. Dass die Sturmflut keine weiteren Lecks abbekommen würde und dass sie die Überfahrt nach Xofori wie auch immer überleben würden.

———

Srúna sah missmutig auf die große Stadt. Man hatte ihr versichert, dass sich viele Elfen in Yascaena versammelt hatten. Angeblich glaubten sie an einen Retter in der Not, der aus fernen Ländern über die Großen Seen gereist war, nur um sich hier mit den Elfen zu vereinen und die Himmelsschlangen zu schlagen.

Dass diese Geschichte eine Lüge der Drachen war, ahnten nur wenige. Der Wüstendrachin drehte sich der Magen um, als sie an den bevorstehenden Angriff dachte. Vielleicht hätte sie eben nicht auf Jagd gehen sollen. Das Reh lag ihr schwer im Bauch.

Gequält wandte sie den Kopf zu ihren Begleitern. Der Anführer der Horndrachen war ein einfältiger, naiver Dummkopf. Er vertrat wirklich alle Eigenschaften, die die Himmelsschlangen über die Erdkriecher dachten.

Den Anführer der Wasserdrachen jedoch kannte Srúna bereits. Er war die Ruhe selbst und während ihr Schwanz unruhig hin und her zuckte, stand er gelassen neben ihr.

Wann sie mit ihrem Angriff beginnen sollten, hatte die Flammende ihnen nur vage erklärt. Srúna und die beiden anderen Erdkriecher sollten auf ein Signal warten und dann mit ihren Truppen ausrücken. Welches Signal das war, wussten sie nicht.

Die Sonne war gerade in Begriff unterzugehen. Die letzten Lichtstrahlen leuchteten rot, rot wie das Blut, das diese Nacht vergossen wird, rot wie die Flammen, die den Nachthimmel lichterloh zum Brennen bringen werden.

Man hatte den Erdkriechern versichert, dass die meisten von ihnen durchkommen würden. Die Elfen rechneten nicht mit einem Angriff und größtenteils waren sie angereist. Dass sie aber komplett wehrlos waren, glaubte Srúna nicht. Die Spitzohren waren intelligent und gebildet. Eine derartige Überraschung schien kaum möglich.

Eine leichte Brise riss die Sonnendrachin aus ihren Gedanken. Sie wandte sich um und die rot untergehende Sonne spiegelte sich auf prächtigen, goldenen Schuppen. Der Goldene hatte ihr gerade noch gefehlt.

„Hättet Ihr ein bisschen Zeit für mich?", fragte die Himmelsschlange mit einem kleinen Lächeln.

Nein, hatte sie nicht. Allerdings wäre es dumm, ihn zu erzürnen. Sie war schon so in einer mächtig beschissenen Lage.

„Natürlich", entgegnete sie deshalb, breitete ihre Schwingen aus und folgte dem Jüngling. Er führte sie fort von ihren Gefolgsleuten, fort von ihrem Aussichtspunkt, bis sie an einem Felsen ankamen, auf dem sich der goldene Drache niederließ. Srúna folgte seinem Beispiel.

„Die Flammende möchte ganz Nyrathur vernichten", begann die Himmelsschlange und kurz hielt die Sonnendrachin verdutzt inne. Die plötzliche Höflichkeit des Goldenen verwirrte sie.

„Die Rote ist unberechenbar. Sie sollte niemals zur Drachenkaiserin gewählt werden! Seht es euch an, Srúna: seht Ihr nicht die Flammen, die sie überall verbreitet? Irgendwann werden die brennenden Zungen auch nach Euch greifen, nach Eurer Heimat, der Beigen Wüste", sagte der Goldene.

„Die Beige Wüste war nie meine Heimat", stellte Srúna klar. Noch immer war sie misstrauisch, aber der Jüngling hatte recht. Dass die Flammende gefährlich war, wusste auch sie. Vielleicht war die goldene Himmelsschlange ja in der Lage, dem Volk der Sonnendrachen seine eigentliche Heimat zurückzugeben.

Der Goldene schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn er sagte: „Ich gebe Euch das, was Euch einst grausam entrissen wurde. Ihr bekommt Eure alte Heimat wieder, im Gegenzug verlange ich Eure Unterstützung im Kampf gegen die Flammende. Seid Ihr damit einverstanden, Srúna?"

Die Sonnendrachin schüttelte benommen ihren Kopf. Ihr war schwindelig, ihr Verstand vernebelt. Irgendetwas stimmte nicht, war es das Fleisch oder einfach nur die Aufregung? 

Sie nickte langsam, das, was der Goldene gesagt hatte, ergab Sinn.

„Ja, ich bin einverstanden", entgegnete sie, in ihrem Kopf wirbelten die Gedanken. Sobald sie aber nach einem davon greifen wollte, entglitt er ihr, als wolle jemand, dass sie nur zustimmte. Dabei war das der reinste Unsinn.

„Fein", lächelte die Himmelsschlange, „dann verrate ich Euch jetzt meinen Plan."

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now