XXXIII

35 5 14
                                    

„Gewiss", entgegnete Freya und kniff leicht die Augen zusammen. Draecons Anblick warf sie zurück in alte Zeiten. Er erinnerte sie an ihr füheres Ich wie sie damals, kühl und fordernd, den Schülern des Silbernen das Morden beigebracht hatte. Sie war unbarmherzig, nie zufriedenzustellen und wer ihren Anforderungen nicht gerecht kam, wurde getötet. 

Ein Lehrling, der die Schule der Assassinen nicht bestand, durfte nicht weiter existieren. Er könnte Geheimnisse der Himmelsschlangen preisgeben, die ihnen zum Verhängnis werden könnten und die Gefahr, dass das Ansehen und die Furcht vor den von Drachen geschickten Mördern schwand, war zu hoch. Wer fürchtete sich schon vor Elfen, deren Schüler besoffen unter einer Bank im Matsch lagen, die Leier noch vor die Brust geklemmt?

Draecons tiefschwarze Augenbrauen hoben sich leicht. Der Elf hatte nichts an seinem früheren Charme verloren. Die pechschwarzen Haare fielen glatt bis kurz über seine Schultern. In den dunklen Augen leuchtete ein stetes Verlangen nach Rache, Gerechtigkeit und Wunsch nach Anerkennung. Freya erinnerte sich noch genau, wie es sich angefühlt hatte, die schmalen Lippen zu schmecken, die harten, definierten Muskeln unter dem schwarzen Jagdmantel zu spüren und Draecons starke Hände zu umfassen. 

„Dann musst du mir helfen", erwiderte er, sein pechschwarzer Blick bohrte sich in ihren.

Als sie schwieg, setzte er hinzu: „Es würde mir bei der Mission des Silbernen weiterhelfen."

Zwei weitere Herzschläge vergingen, dann nickte sie. Die erhoffte Wirkung trat nicht ein: Draecons Gesicht blieb hart wie eine undruchdringbare Maske.

„Was genau musst du wissen?", fragte Freya, erhob sich und ging ein paar Schritte. Draecon folgte ihr und entgegnete leise: „Kennst du die Verbindungen der Kentauren und der Hexen Xoforis? Oder, noch besser, sind dir Kentauren bekannt, die schon einmal etwas mit Giften zu tun hatten?"

„Gibt es da bestimmte Gifte?", erkundigte sie sich und nahm eine Fackel, die in ihrer Halterung an der Wand hing. Nach einer kurzen Pause presste Draecon hervor: „Draith."

Freyas Augen weiteten sich. „Draith?", ungläubig wandte sie sich um. Sie hätte mit etwas Milderem gerechnet, ein Betäubungsgift, ein Gift, das Gliedmaßen lähmt, aber Draith? Es war eines der tödlichsten Gifte Nyrathurs, seine Wirkung wurde nie verfehlt.

„Dürfte ich fragen wie das alles zusammenhängt?" Langsam stieg Freya einen Hocker hoch, legte ihren Kopf in den Nacken und griff nach einem dicken Einband. Das Leder war schon abgegriffen und die vielen kleinen Flecken verrieten, dass dieses Exemplar schon Jahrhunderte bestand.

Die Elfe reichte ihrem ehemaligen Schüler das Buch und ging dann weiter.

„Es wurde gegen mich verwendet. Der Silberne trug mir auf, jenen Mann zu finden, der mich beinahe ermordet hätte", antwortete Draecon schleppend. Freya entglitt beinahe die Fackel.

„Du kamst in Berührung mit Draith und lebst noch?", erwiderte sie entgeistert. Als sie sich zu dem Assassinen umdrehte, reagierte er nicht. „Jedenfalls stehe ich gerade lebend vor dir", stellte er nüchtern fest. Wäre Freya nicht so fassungslos gewesen, sie hätte gelacht. Einen solchen Satz aus Draecons Mund zu hören war ungewohnt. Wenn er wollte, konnte er bestimmt einen tollen Humor haben.

Langsam setzte Freya ihren Weg weiter fort. Zwei Bücher fand sie noch, eines davon eigens von ihr geschrieben.

Alle drei Schriftstücke wiesen hunderte von Seiten voller Verbindungen zwischen Kentauren, Konolden und Giften von Xofori auf. Es würde dauern, sie alle duchzugehen.

———

Draecon rieb sich müde die Augen. Freyas Angebot, sich von den hier arbeitenden Kobolden etwas Arbeit abnehmen zu lassen, hatte er bestimmt abgelehnt. Er wollte keinen weiteren Kontakt zu niederen Heinzelmännchen hegen, die Zeit, in der er auf Rafna und Hevnir angewiesen gewesen war, war schlimm genug gewesen.

Es musste schon früher Mittag sein, die ganze Nacht hatten sie die Bücher durchgearbeitet. Winzig kleine Schrift füllte Tausende von Seiten und als Draecon das Buch untersuchte, stellte er fest, dass er sich gerade einmal bis zur Mitte gearbeitet hatte. Es dauerte eine Ewigkeit und Draecon war zwar kein ungeduldiger Elf - im Gegenteil - aber er hatte das Gefühl, dass sowohl ihm als auch seinem Gebieter die Zeit davonlief.

Immer wieder erwog der Elf, sich ein weiteres Mal mit dem Silbernen in der Zwischenwelt zu treffen, sich mit ihm zu unterhalten. Auf normalen Missionen spürte der Elf kein Heimweh, aber jetzt, da er wusste, dass die übrigen Himmelsschlangen es auf den Silbernen abgesehen hatten...

Er schüttelte den Kopf und blätterte eine Seite um. Die kleine Flamme der Öllampe flackerte, auch sie schien mit der Zeit müde geworden zu sein.

Der Assassine hob seinen Blick von den tanzenden Buchstaben und sah zu Freya. Sie war mit dem Kopf auf die Tischplatte gesunken, unter ihrem Kinn lag noch das geöffnete Buch. Es tat gut, sie wiederzusehen. Sie brachte etwas Altes mit sich, ein Gefühl wie es damals gewesen war, als er noch Auszubildender gewesen war.

Zu gut erinnerte er sich an die morgendlichen Runden, die sie hatten laufen mussten. Immer wieder hatte Draecon vor Anstrengung erbrechen müssen, hatte aber stets den Willen gehabt, durchzuhalten. Ein Schüler, der bei einer solchen Runde zurückgeblieben war, hatte seine Ausbildung damit beendet.

Nach dem Laufen hatte Draecon einfaches Essen erhalten: Trockenbrot und Wasser. Man dürfe sich nicht auf zu viel gefasst machen im Leben, hatte es geheißen. Das einzige, das den Körper eines Assassinen ganz und gar füllte, war die Macht seines Gebieters.

Den ganzen Tag dann hatten die Lehrlinge jedwede Übungen des Mordens üben müssen: kämpfen, töten, das Suchen eines Opfers, das richtige Verschwinden.

Erst nach drei Jahren hatte Draecon die Chance, seinen Gebieter zu wählen. Als seine Entscheidung gefallen war, war er zum ersten Mal im Kreis der fünf Himmelsschlangen getreten und von ihnen allen beglückwunscht worden. Die Nacht darauf war jene, in der er sein Mal erhalten hatte. Als der Assassine dann zur weiterführenden Schule des Silbernen gewechselt war, hatte man ihm Freya als Lehrerin in Sachen Magie, Täuschung und Tarnung zugeteilt. Zu viele Jahre waren seitdem vergangen und sie jetzt wiederzusehen, erfüllte Draecon mit Freude.

„So sieht man sich wieder", murmelte er leise und ganz kurz meinte er zu spüren wie ein kleines Lächeln seine Mundwinkel hob. 

Breath Of Death - Silbernes Lodernحيث تعيش القصص. اكتشف الآن