XVII

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Es fühlte sich komisch an, zurückzukehren. Es war falsch, nicht richtig. Draecon war noch nie nach so kurzer Zeit zu demselben Ort zurückgekommen, um eine Mission zu erfüllen. Es war ein Déjà-vu, all die Eindrücke, die auf ihn niederprasselten, waren wie damals vor wenigen Tagen.

Und er war nicht weitergekommen. Er kannte den Namen seines Ziels, vor kurzer Zeit war es noch Appalusius, jetzt war es Elyssus. Doch dieses Mal hatte Draecon nicht die leiseste Ahnung, wo er Elyssus finden könnte. Zudem wusste er auch nicht wie Elyssus wirklich hieß. Garantiert hatte sich der Pferdemann einen falschen Namen gegeben, um jede Spur zu verwischen. Genau so hätte es Draecon an seiner Stelle getan.

Der Elf hatte noch immer keine Ahnung, wo er mit seiner Suche anfangen sollte. Er zog in Erwägung, in eine der Bibliotheken der Kentauren zu gehen, schob diesen Gedanken aber recht schnell wieder beiseite. Es wäre zu offensichtlich, als Elf in eine solche Einrichtung zu gehen. Kentauren legten normalerweise keinen Wert auf Texte oder Bücher, Bibliotheken gab es nur in den größten Städten. Würde Draecon dort nach Namensverzeichnissen suchen, wäre er auffällig wie ein Troll der sich vegetarisch nennt.

Zudem hatte jeder gute Kriminelle Kontakte in jede Richtung, gewiss besaß Elyssus ein paar Männer an jenen Orten.

Auch der Silberne hatte keinen Zugriff auf ein solches Verzeichnis und bei solchen Ahnentafeln standen nur die wichtigsten Namen der Völker aufgeschrieben. Es gab keine Gewissheit, dass Elyssus edlen Blutes war.

Darüber hinaus konnte sich Draecon auch nicht sicher sein, ob Elyssus überhaupt irgendeinen Bezug zu Appalusius dem Weißen hatte. Appalusius war einer der vier Fürsten der Kentauren und wäre Elyssus ein Pferdemann aus unterer Schicht wäre es unwahrscheinlich, dass sie jedwede Kontakte hegten.

Am Ende war Draecon zu dem Schluss gekommen, Nox zu suchen. Der fremde Elf hatte ein Haus mitten in Neehri, es wäre nicht unwahrscheinlich, dass er einige Informationen sammelte. Diese Entscheidung war Draecon anfangs schwer gefallen, ungern bat er andere Personen um Hilfe, gerade andere Assassinen. Schließlich war er Draecon, der berühmte Assassine, dessen Herz schwarz vor Hass auf die Drachenfeinde war.

Der Elf überlegte, wo er Nox am besten aufspüren konnte. War er womöglich noch bei der Blauen? Wenn Assassinen gerade keine Missionen erledigten, bevorzugen sie in allen Fällen die Nähe zu ihrem Gebieter. Oder war Nox auf einer anderen Mission? Hatte die Blaue ihn zu jemandem geschickt, der ausgeschaltet werden musste?

Höchstwahrscheinlich nicht. Wenn die Rote einen Angriff plante, würden alle Drachen, Erdkriecher und Assassinen gebraucht werden. Es war sehr gut möglich, dass Nox wie alle anderen Assassinen bei seiner Herrin war. Ihn von dort wegzulocken wäre töricht. Draecon war Verstoßener, genau wie sein Gebieter. Er wollte die Drachen keinesfalls herausfordern, sich wieder blicken zu lassen war eine höchst dumme Idee.

Also beschloss der Elf, sich einfach erneut in Neehri hineinzuwagen. Er würde vorsichtiger sein dieses Mal, vollkommen verborgen. Vielleicht gab es ja Assassinen unter den Kentauren, Spitzel, die seit Jahren für die Drachen arbeiteten. Es wäre einen Versuch wert.

Draecons Blick richtete sich auf Neehri, das ihm wie vor einigen Tagen zu Füßen lag. Kurz verharrte er noch, dann tat er den ersten Schritt. Das warme Licht, das Neehri beleuchtete und die Holzhütten und Steinhäuser hell leuchten ließ, hieß den Assassinen willkommen.

———

Er hatte den Weg so genau vor Augen, als würden ihm rote Pfeile die Richtung weisen. Draecon hatte Neehri zum größten Teil umrundet, der halbherzige Wall aus Holzpfahlen, der die Kentaurenstadt zu einigen Teilen umgab, war von Unwetter und Schimmel gezeichnet. Die einst womöglich prächtigen Pfähle waren verwittert und neigten sich dem Ende, Pilze hatten sich in das von Regen aufgeweichte Holz gefressen und einige Graspflanzen schlangen bereits ihre Wurzeln um das Holz. Bewacht wurde Neehri nicht, das war auch der Grund, warum Draecon das letzte Mal so einfach in die Stadt hatte gelangen können.

Auch heute waren keine Wachen zu sehen, stattdessen hatte der Elf aber schon einigen Gruppen von Kentauren ausweichen müssen. Die Pferdemänner zogen es vor, mit Speeren und Pfeil und Bogen durch die weiten Steppen zu reiten und Rehe zu töten. Abends dann wurde das Fleisch über einem gemeinsamen Feuer gebraten, Met wurde herumgereicht und Heldengeschichten erzählt. Selbstverständlich wurden die Becher mit dem Honigwein so stetig nachgegossen, dass sie niemals leer waren.

Nun hatte es Draecon aber etwa so weit gebracht, dass er das Dach von Nox' Haus schon sehen konnte. Der Elf hatte sich für seine scheinbare Unterkunft wahrlich keine Arbeit gemacht. Die einfachen Wände, das unprofessionelle Dach, es war gut möglich, dass es den kommenden Winter nicht überleben würde.

Draecon hatte nicht vor, das Haus des Schneeprinzen vorübergehend zu beziehen. Er wollte Nachforschungen anstellen und dann so schnell es ging wieder verschwinden. Der Assassine sah sich noch einmal um, gründlich, seine Augen suchten die kleinsten Details, die auffällig sein könnten. Raschelndes Gras, wo kein Wind wehte, ein Geruch, der eben noch nicht da gewesen war, ein Atmen, das im Einklang mit seinem war. Erst, als sich der Elf vollkommen sicher war, allein zu sein, schwang er sich über den morschen Wall hinweg und tauchte direkt dahinter wieder in die Schatten, die die Sonne warf. Mit schnellen, leisen Schritten war der Elf bei Nox' Haus und durch die Tür.

Innen schob er den langen Holzriegel vor und legte die Kette um die Türklinke. Man konnte sich als Assassine schließlich nie sicher sein.

Einen kurzen Moment verharrte er an der Tür, lauschte auf verdächtige Geräusche. Nichts.

Nach zwei langen Schritten war Draecon an dem Tisch angekommen. Noch immer war er ausgeklappt, der Stuhl stand genau so, wie Nox ihn verlassen hatte. Der Geruch nach Schweiß war immer noch übermächtig und Draecon sah vor seinem inneren Auge, wie er vor Tagen hier von Nox gerettet worden war.

Seine schmalen Finger tasteten die Holzbretter ab, das Regal, fanden aber nichts. Daraufhin kniete der Elf sich hin, er konnte einfach nicht glauben, dass Nox hier nichts aufbewahrte. Er klopfte an unterschiedlichen Stellen auf den Holzboden, seine Augen suchten nach noch so kleinen Hebeln oder Auffälligkeiten, aber all das nützte nichts.

Enttäuscht ließ sich Draecon neben dem Tisch nieder. Er lehnte seinen Rücken an ein Tischbein und schloss die Augen. Wenn er Nox wäre, wo würde er am ehesten etwas verstecken, das nichts für fremde Augen war?

Nach kurzem Überlegen erhob sich Draecon wieder und sah sich den Tisch an. Seine Finger glitten über das glatte Holz, als sie eine Unebenheit spürten. Der Assassine drückte auf diese Stelle und eine Holzplanke des Tisches schob sich nach vorne. In dem dämmrigen Licht der Ölflamme erkannte der Elf, was die Planke offenbart hatte: etwa ein Dutzend vergilbter Listen.

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now