XIX

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Draecon erhob sich und überlegte. Der Name Freya wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Irgendwo hatte er diesen Klang schon einmal gehört. Der Assassine schloss die Augen und dachte fieberhaft nach. Nach kurzem Überlegen war es ihm klar: Freya war einst Lehrerin für auszubildende Assassinen des Silbernen gewesen, bevor sie sich freigesprochen hatte und ihre eigenen Wege gegangen war.

Draecons Augen blitzten bei dieser Erkenntnis auf. Freya, die Lehrende in Magie und magischem Kampf. Allerdings war Freya eine Meisterin darin, sich zu verbergen. Wollte sie unentdeckt bleiben, besaß sie die Fähigkeit, sich für immer zu verstecken und selbst für die Erdkriecher unauffindbar zu sein.

Der Assassine überlegte. Obwohl Freya so meisterhaft darin war, sich zu verstecken, gab es dennoch eine Möglichkeit, ihren Standort herauszufinden.

Zum ersten Mal war der Elf froh, dass fast ein Drittel des Koboldvolks den Drachen diente. Die kleinen Wesen brauchten stets einen Gebieter, im häufigsten Fall dienten sie dem, dessen Macht die größte war. Auch wenn die meisten Kobolde hier bei den Kentauren höchstwahrscheinlich Appalusius angehörten, würde sicherlich ein Dutzend dem Silbernen dienen. Die Kunde, dass dieser gefallen war und sie somit wahrscheinlich in den Dienst der Flammenden übertreten würden, war ja noch nicht bis hierhin gelangt.

Draecon dachte nach. Auch wenn er schon so manchen Dienst von einem Kobold ausgenutzt hatte, kannte er das seltsame Volk doch nicht näher als jeder andere Elf. Die Kobolde waren streitlustig, diebisch und albern. Wann und wo sie am besten anzutreffen waren, wusste Draecon somit nicht.

Seine erste Vermutung war das Meer. Kobolde mochten es angeblich kühl und feucht, das erklärte auch, warum sie seit so vielen Jahrzehnten bis Jahrhunderten an den Mooren Xoforis lebten. Aber das Meer war nicht dasselbe wie ein Moor. Es war zu sauber, das ständige Auf und Ab der Wellen zu gleichmäßig und vorhersehbar. Kobolde schienen es gefährlich zu brauchen, ungewiss. Wo war ein solcher Ort also bei den Kentauren?

Dem Elfen fiel nichts ein. Das Land der Kentauren bestand nur aus den langen Grasflächen, die sich über sanfte Hügel erstreckten und manchmal von ausgetrockneten Flussgräben durchdrungen wurden. Auch wenn es ihm behagte, zog sich Draecon die Kapuze auf und öffnete die Tür. Zweimal prüfte er die Umgebung ab, suchte nach Anzeichen von ihm geltender Aufmerksamkeit, aber er hatte Glück. Die Kentauren kamen ihrem einfachen Tagwerk nach, Kinder spielten mit Holzschwertern, Frauen unterhielten sich und der Duft von Braten erfüllte die Luft.

Sobald sich der Elf gewiss war, dass ihn niemand weiter beobachtete, trat er aus der Tür und suchte sofort Deckung hinter dem Haus. Obwohl all seine Muskeln angespannt waren, ging seine Atmung regelmäßig. Als er sich dann endlich über den kleinen Wall geschwungen hatte, lief er in geduckter Haltung Richtung Meer, nach Osten. Bald schon war das Gras wieder hüfthoch und Draecon entspannte sich. Weit weg in der Ferne sah er mit zusammengekniffenen Augen eine Reitertruppe von Kentauren, sie waren jedoch so weit entfernt, dass er sie nicht als gefährlich einstufte.

Es war schon verdammt seltsam, welche Veränderungen das Leben nun vollbrachte. Vor wenigen Wochen erst war er der Jäger gewesen, man hatte gewusst, dass Draecon seinem Opfer schon auf den Fersen war, bevor es überhaupt realisierte, dass sein Tod näher rückte. Nun musste Draecon vor den einfachen Kentauren fliehen und noch sorgfältiger abwägen, ob er denn aus einer Auseinandersetzung hervorgehen würde.

———

Er hatte länger zum Meer gebraucht, als der Assassine gedacht hatte. Obwohl Neehri nur knappe 55 Meilen von den Ufern des Graslandes entfernt lag und Draecon sicherlich mehr als die Hälfte an einem Tag zu Fuß geschafft hätte, wurde er immer wieder von Kentaurengruppen aufgehalten, die seinen Weg gekreuzt hatten. Stets hatte er einen Umweg nehmen müssen, um unerkannt zu bleiben.

Jetzt aber stand er mit dem Blick auf die See. Wind riss an seinen Kleidern und wehte ihm sein langes Haar ins Gesicht. Mit dem ständigen Auf und Ab der Wellen schlug Gischt meterhoch in den Himmel, nur um einige Herzschläge darauf wieder im tosenden Wasser zu verschwinden.

Es war früher Morgen, die Sonne würde in den nächsten Stunden aufgehen. Die perfekte Uhrzeit, um möglichst wenigen Kentauren zu begegnen; jetzt schliefen die meisten wahrscheinlich ihren Rausch aus. Die Fischer würden erst mit dem Sonnenaufgang zurückkehren und ihre vollen Netze auf dem Markt verkaufen.

Trotz dieser Gewissheit haderte Draecon lange mit sich, einen Schritt auf das kleine Dorf zu tun. Die langen Grashalme neigten sich dem Wind und auch das Stroh auf den Dächern der Häuser tanzte mit der Bö. Die Siedlung hatte sich hinter einen Grashügel geschmiegt, um bei starkem Sturm nicht das Ziel der alles zerstörenden Kraft der Natur zu sein.

Bei jedem Schritt schmatzte der durchnässte Boden unter Draecons Stiefeln. Der Elf wusste genau, wo er hier nach geeigneten Kobolden suchen musste. Nachdem er durch abgelegene, verlassene Gassen an einigen, vom Wetter gegilbten Häusern vorbeigegangen war, fand er ‚Zur Schlange'. Die Kneipe hatte sich den Tarnnamen der Drachen angeeignet, jeder, der Kontakte zu Drachen hegte, wusste, dass mit „Schlange" Himmelschlange gemeint war.

Das rostige Schild knarzte im Wind und die lockeren Rollläden schlugen immer wieder gegen die steinerne Wand.

Als der Assassine die Holztür aufstieß, schlug ihm der süßliche Geruch von Met und der starke von Rauch entgegen. Die Decke war niedrig, würde er sich auf die Zehenspitzen stellen, würde er mit dem Kopf gegen die Holzbalken stoßen. An der Theke, die sich an der rechten Wand entlangzog, standen Barhocker, alle von unterschiedlichem Design. Einige waren umgekippt, andere halbherzig zurück an den Tresen geschoben. An den sechs Tischen saßen auf den Bänken noch einige betrunkene Kobolde und Kentauren, den Kopf auf der Tischplatte und das halbvolle Horn Met noch in der Hand. An der gegenüberliegenden Wand vom Eingang stand ein Kamin, die einst glühende Kohle erloschen.

Neben dem Kamin hing ein Vorhang aus alten Stoffstreifen, die Durchblick in den dahinterliegenden Raum verwehrten.

Draecon ging selbstsicher auf diesen Durchgang zu und gelangte in den bewohnten Teil dieser Kneipe. In einem kleinen Bett schlief der Wirt, Rafna. Man kannte ihn unter der Assassinen, weil er ihnen einst wichtige Informationen zu den Kentauren gegeben hatte.

Am Fuße des Bettes stand eine Wasserschüssel, ohne groß zu überlegen griff Draecon danach und schüttete Rafna den gesamten Inhalt ins Gesicht.

Mit einem erstickten Schrei wurde der braunhäutige Kobold wach. Seine großen Augen neben der langen Hakennase öffneten sich.

„Wer bist du?", stieß Rafna heiser hervor. Draecon antwortete nicht, stattdessen schwieg er und wartete, bis der Wirt verstand.

Sofort weiteten sich die Augen des Kobolds: „Du bist Draecon, der, den sie suchen! Ich habe mein ganzes, gottverdammtes Leben darauf gewartet, dich endlich kennenlernen zu dürfen! Was hast du hier verloren?"

Der Assassine antwortete nicht auf Rafnas Frage. Er war Draecon, ihm war die Aufgabe bestimmt, Fragen zu stellen.

„Hast du einen Boten, den du für mich entsenden kannst?", fragte er und sein Blick fraß sich in Rafnas Gesicht. Der Kobold senkte den Kopf. „Natürlich habe ich den. Allerdings kann ich ihn nicht umsonst abgeben. Was bietest du?"

Draecon verzog abschätzend den Mund. Dass ein Kobold mit ihm über Preise verhandelte, war unfassbar. Aber er hatte jetzt gerade keine Lust, mit dem gierigen Wirt zu diskutieren.

Seine Hand glitt in den schwarzen Mantel und zeigte dem Kobold seinen prall gefüllten Geldbeutel. Mit einer geschmeidigen Bewegung schmiss Draecon Rafna diesen zu. Der Kobold fing es behände, schüttelte ihn und grinste: „Der Bote sei dir gegönnt. Was brauchst du?"

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now