XIII

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Die Rote schnaubte. „Lassen wir den Unsinn, Grauer, dann bleibt uns einige Zeit erspart!", knurrte sie. Der Silberne erwiderte ihr Grollen kurz. Er war nicht eingebildet, nein, und er gab sich auch nichts auf wertvolle Namen oder Anredeformen, aber ihn „den Grauen" zu nennen, nahm er der Flammenden übel. Er war silbern, eine Farbe, die Reichtum und Stolz verdeutlichte. Silber mit grau zu tauschen war ein Fehler, dem der Älteste der Roten nie verzeihen würde.

Ein süffisantes Lächeln huschte über die Lippen des Goldenen, ehe er sich zu Wort meldete: „Wir alle wissen um einen Fehler, doch wie, wann und von wem wurde er begangen? Würdest du uns bitte darüber aufklären?"

Die Blicke aller Augenpaare waren auf den Silbernen gerichtet. Wäre es eine andere Situation gewesen, ein anderer Zeitpunkt, hätte er nicht verleugnen können, es - wenn auch nur leicht - zu genießen. Doch diese Situation war keinesfalls wie eine jener Sachlagen. Der Silberne verharrte einen Augenblick, ehe er sich aufrichtete.

Er entfaltete die Schwingen, nur um sie erneut an den Körper zu legen. Der lange Hals streckte sich, die Schuppen klickten dabei leise aneinander. Der Älteste hob den Kopf, hielt mit jedem seiner Geschwister für ein paar Herzschläge Augenkontakt. Dabei war er umso erschrockener, dass der Purpurne ihn ohne Weiteres erwiderte. Der Friedliche, den doch nichts anderes interessierte, das nichts mit Musik, Gedichten oder dem Wohl der Bewohner Nyrathurs gemein hatte.

„Draecon...", setzte der Silberne an. Es war besser, wenn er mit dem Namen gleich herausrückte, auch wenn er ihm in dem Hals brannte wie heiße Säure. Der Drache fühlte sich beinahe, als würde er Draecon verraten, als würde er ihn verpetzen, wie ein Kleinkind, das sich nicht anders wehren konnte. Aber war es denn so anders? Hatte der Silberne noch viel mehr Möglichkeiten, sich zu wehren? Ihm schien es nicht so.

Gegen seine Erwartungen blieb es nach dem Namen des Assassinen still. Also fuhr der Älteste fort: „Draecon versagte bei einer seiner Missionen. Sein Gesicht ist nun unter den Kentauren verbreitet, es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie Zeichnungen von ihm unter die Völker Nyrathurs bringen. Somit ist Draecons Beruf für die nächsten paar Jahre überflüssig, er könnte genau so gut offenbaren, dass er ein Zeitreisender ist, mehr Aufsehen hätte das nicht erregt."

Der Silberne verstummte und ließ seinen Blick einmal durch die Runde schweifen. Er fühlte sich unbehaglich, hier, wo er seinen Geschwistern so nahe war und nicht genügend Platz hatte, notfalls vor ihnen zurückzuweichen.

Die Blaue gab ein leises Schnalzen von sich. „Sprich weiter", verlangte sie mit ihrer warmen und gleichzeitig so kalten Stimme. Der Silberne nickte ihr kurz zu.

„Nox fand Draecon, über ihn erfuhr die Blaue von dem Zwischenfall", wieder endete er, sein Blick wanderte wieder zu der Ruhigen. Nach einem kühlen Blick hob diese den Kopf und fuhr mit der Geschichte fort.

„Nox erzählte mir, dass Draecon von einem Giftpfeil getroffen worden war. Draith, so nennt man es unter Elfen, es ist der gängigste Name für jenen Giftbaum. Jetzt gerade sind Draecon und Nox unterwegs hierher, Draecon fürchtet um dein Wohlergehen, großer Bruder", erklärte sie. Der Silberne senkte den Blick, unterwürfig wie ein jaulender Hund. Er ärgerte sich über sich selbst. 

Wie viel man nur verlieren konnte, innerhalb weniger Tage. Seine Lefzen zuckten, wollten sein tödliches Gebiss entblößen, wollten, dass er jemandem drohte. Aber der Älteste unterdrückte diesen Zwang. Es war das Ursprüngliche, das Instinktive, von dem die Erdkriecher geleitet wurden. Die Himmelsschlangen jedoch hatten sich weiterentwickelt, hörten nicht länger auf ihr animalisches Verlangen.

„Das ging zu weit", sagte der Goldene schließlich nach einer Pause, seine Stimme bebte vor Freude. Er hatte allzu lange gewartet, dass der Silberne einen Fehler machte.

„Damit ist der Vertrag gebrochen", bemerkte die Flammende. Der Silberne wollte schreien, wüten, toben, er raste vor Zorn, innerlich brannte er. Er spürte, wie das Feuer in ihm zu Leben erwachte, er spürte es seinen Hals hinauflodern, die köstlichen Flammen liebkosten seine Zunge, seine Zähne. Nur schwer konnte er das Verlangen unterdrücken, den Flammen das zu geben, wonach sie so sehr gierten: Sauerstoff.

„Die Blaue sprach davon, die kleineren Widerstände zu beseitigen und die größeren ebenfalls, diese aber aus unserer Hand. Da Draecon ein Fehler unterlaufen ist, ist dieses Versprechen oder besser gesagt der Vertrag nicht mehr gültig. Draecons Handeln ist auf den Silbernen zurückzuführen, er bildete diesen Elfen aus. Zwar geht es nicht darum, dass Draecon einen Fehler beging und eine Mission abschließen konnte, es geht darum, dass er die wichtigste Regel unserer Gesetze missachtet hatte: Lasse niemanden je dein Gesicht sehen", der Goldene sprach unbekümmert, so, als spräche man über alltägliche Dinge, über Jagen, das Wetter, das Wohlbefinden.

„Von klein auf lernen Assassinen diese Regel. Sie schwörten es. Sie waren einverstanden damit, dass ihre Gebieter unter ihrem Fehler leiden werden. Nur ein einziges Mal kam dieser Fehler bereits auf: Erinnert euch an die Grüne, an die schöne, liebliche Drachin, die jeder besorgten Seele ein offenes Ohr schenkte. Ihre Assassinin versagte, daraufhin wurde die Grüne verstoßen. Es tut mir in dem Halse weh, aber ich beantrage eine Abstimmung", sagte die Flammende.

Der Silberne verzog bei der Erinnerung an die Grüne schmerzverzerrt sein Gesicht. Die Grüne war noch älter als er, nach ihrer Degradierung hatte man nichts mehr von ihr gehört. Nach dem Entzug des Ranges des Höchsten verloren Drachen ihr Ansehen und Großteile ihrer Macht. Niemand wusste, ob die ehemalige Älteste überhaupt noch am Leben war.

„Ich möchte abstimmen, weil ich es als Unding finde, den Silbernen als Drachenkaiser zu belassen, wo er doch den Fehler beging, Draecon nicht genügend auszubilden. Ich möchte, dass all meine Brüder und Schwestern, abgesehen von dem Grauen natürlich, ihre wahre Stimme abgeben. Sie sollen entscheiden, ob unser Bruder diesen Platz noch immer verdient oder ob man ihn verstoßen soll wie die Grüne. Ich warte", die Rote ließ ihren brennenden Blick durch die Runde schweifen.

Der Goldene grub seine Klauen in den erdigen Boden. „Ich dulde den Grauen keine weiteren Augenblicke in der Position des Drachenkaisers. Stattdessen stimme ich für mich, den Goldenen, der Nyrathur aus dem Chaos ziehen und wieder für Ruhe sorgen wird."

Der Silberne lachte laut auf. Trotz seiner misslichen Lage konnte er das Lachen nicht unterdrücken. Er hatte sowieso nichts mehr zu verlieren, warum also sollte er länger seine Gedanken verbergen?

„Ruhe? Indem du Kriege führst, Schlachten schlägst und deine giftigen Assassinen schickst?", fragte er abfällig, aber seine Stimme ging in dem Lärm einer anderen Stimme unter.

„Ich stimme für die Degradierung des Silbernen, stimme für mich, die Flammende. Ich bin das Feuer, ich bin die Macht, vor mir hat man Angst und man spurtet sich, mich zufrieden zu stellen. Andernfalls bin ich ein tödlicher Scheiterhaufen!", knurrte die Rote, ihre Augen glommen bei der Vorstellung gierig auf.

Eine kurze Weile herrschte Schweigen, dann erfasste die Blaue das Wort. Ihr Blick war nachdenklich und klug auf den Silbernen gerichtet, in ihrem Kopf rasten die Gedanken. 

Schließlich sagte sie leise, voller Bedacht: „Ich schließe mich der Meinung der anderen an, lass es mich erklären, Bruder. Du... brauchst Veränderung. Wir brauchen Veränderung. Wir können nicht ewig an den alten Sitten und Gebräuchen festhalten, denen du nachtrauerst. Deshalb stimme auch ich für deine Degradierung. Du brauchst sie, wir brauchen sie."

Der Silberne nickte müde. Die Kraft, die ihn seit jeher durchströmt hatte, war mit einem Mal wie versickert. Er war ein Wrack, ein altes, kaputtes Schiff, das am Grund des Meeres lag. Die kräftigen, einst geblähten Segel waren durchnässt und zerrissen, die vielen Lecks ließen mit der Zeit nicht nach zu schmerzen. Nur die träge Strömung gab ihm das Gefhl, zu leben. Aber er war sich sicher, dass sie bald verschwinden würde zu einem anderen Ort, an dem die Trauer nicht so greifbar war.

Der Silberne schloss die Augen. Die Meinung des Purpurnen war wie so oft überflüssig, jeder konnte sie sich sowieso schon denken. Dennoch verharrten die Drachen, warteten darauf, dass jeder von ihnen seine Stimme abgegeben hatte. 

Der Purpurne hob seinen Schädel.

Breath Of Death - Silbernes LodernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt