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Es war bereits Abend. Die Sonne war schon vor etwa einer Stunde untergegangen und die Kentauren waren in Feierlaune.

Sie grölten, tranken und feierten, fieberten der kommenden Rede zu.

Draecons Blick schweifte zum Himmelszelt. Der stehende Löwe war noch nicht ganz zu sehen, eine, höchstens zwei Stunden hatte er noch, bis Appalusius auftreten würde.

Die Kentauren strömten in Massen durch Neehris Hauptstraßen. Es wurde gerempelt, geschubst, aber jeder gefallene Pferdemann wurde mit einem freundschaftlichen Lächeln wieder hochgezogen.

Der Assassine wählte aus diesem Grund die Nebenstraßen. Dort standen weniger Wachen, es begegneten ihm weniger Kentauren und es gab dort weniger Kneipen, aus denen die Männer in unterschiedlich großen Gruppen ausschwärmten.

Nur jene, die Opfer des Alkohols geworden waren, lagen ab und zu am Wegrand oder vor Häusern, die sich auch hier in ihrem Bau glichen.

Diese Straße runter, dann eine Abbiegung links und wieder rechts. Geradeaus. Zweimal abbiegen, dann würde er unweigerlich in den belebteren Bezirk kommen. Draecon konnte nur hoffen, dass die Kentauren dann schon dort verschwunden waren.

Das ‚Goldene Haus', die Ahnenhalle. Auf ihrem Dach würde er einen perfekten Treffer landen können.

Plötzlich zuckte Draecon zusammen.

Er hörte Stimmen.

Sein Körper handelte ganz instinktiv, drückte den Rücken gegen die vom Wind gekühlte Hauswand. Noch bevor es der Assassine selbst bemerkt hatte, lag in beiden seiner Hände eine eiskalte Messerklinge.

Eisen, so kalt wie nur der Tod es war.

Langsame Schritte näherten sich dem Assassinen, seine schwarze Gestalt vereinte sich mit dem Schatten des Hauses.

Angespannt lauschte der Elf.

Zwei, es waren zwei Kentauren. Schläfrige, genervte Schritte. Schritte, die vermutlich keine sieben Schritt neben ihm innehielten.

Seine Muskeln zuckten fordernd. Draecon sah sich selbst aus dem Türrahmen stürmen, sah, wie er die Pferdemänner leise und schnell tötete. Sah, wie sich ihr Blut langsam auf dem Boden verteilte und die trockene Erde die Flüssigkeit gierig aufsaugte.

Aber der Silberne hatte ihn darum gebeten, seinen Besuch in Neehri möglichst unauffällig zu gestalten.

Seine Messer steckte Draecon trotzdem nicht weg.

„Laues Lüftchen heute, nicht?", fragte ein Pferdemann.

Der Assassine sog Luft, ihren Geruch, in die Nase.

Männer – natürlich Männer.

Kentauren, die nach Schweiß stanken. Nur nach Schweiß, nicht nach Alkohol.

Der Elf unterdrückte einen Fluch.

„Ach, was würd' ich geben, mich zu den andren zu gesellen und erstmal 'ne Runde zu saufen", fuhr der Sprecher fort, der Stimme nach zu urteilen ein Mann höheren Alters.

Seine Stimme war Draecon abgewandt, also riskierte der Assassine einen schnellen Blick um die vorstehende Wand des Hauses. Der kleine Vorsprung schützte ihn vor den Blicken der Wachen.

Es waren zwei Wachen. Einer mit weißem Fell, ergraut durch die Zeit, und einer mit sandgelbem Haar.

Als Letzterer sich in Draecons Richtung umdrehte, zog dieser sich schnell in die Schatten zurück.

„Was du nicht sagst", antwortete der jüngere Wachmann und seufzte tief. „Im ‚Fürsten' ist heute Cydette. Wie gern ich doch jetzt bei ihr wär'! Aber nein: es bin ja immer ich, der Wache halten muss!"

Es wäre so einfach. So einfach, ihnen ein Messer in den Oberkörper zu rammen, ihr Leben hier und jetzt zu beenden.

Aber der Silberne hatte befohlen und Draecon zu gehorchen.

Ein Lachen vom Alten. „Ein Bengel bist du. Kaum wirft dir ein Mädel einen Blick zu, da läufst du rot an bis zum gelben Schopf. Aber glaub mir: Cydette interessiert dein Schwanz gar nicht. Vielmehr ist es das Geld, das neben deinem viel zu harten Bettchen steht."

Draecons Augen suchten einen Fluchtweg. Über die Straße zu fliehen, auf der die beiden Stellung bezogen hatten, wäre zu gefährlich. Sein Blick wanderte auf die Wand gegenüber von ihm. Dort war eine Holztür. Wenn er in das Haus kommen würde, könnte er durch den Hinterhof auf andere Wege fliehen.

Es stahl sich schon ein leises Lächeln auf seine Lippen, bis der Elf allerdings den flackernden Lichtschein im Inneren erblickte. Wieder musste er einen Fluch davon abhalten, sich über seine Lippen zu stehlen.

Warum war jemand in diesem Haus? Alle Kentauren waren inzwischen auf dem Weg ins Stadtinnere. Niemand ließ sich einfach so ein solches Spektakel entgehen.

„Halt du doch dein Maul, Bass!", schnauzte Sandhaar. „Du hast doch nicht die geringste Ahnung, was Cydette schätzt!"

Ein Grunzen, dann: „Bursche, du willst nicht wissen, wie vielen Jungfrauen ich ihre Unschuld genommen habe. Und dann noch so dreckig von hinten. Gesungen haben sie meinen Namen, gesungen, das kannste mir glauben."

Draecon versuchte die Stimmen so gut wie möglich zu ignorieren. Es widerte ihn an, Männer so über Frauen reden zu hören.

Seine Aufmerksamkeit huschte zu einer schmalen Tür direkt neben ihm. Ein Vorhang aus langen Perlenschnüren verwehrte den Einblick ins Haus.

Er verzog das Gesicht, war es doch die einzige Möglichkeit, die er hatte, wenn er nicht ewig hier verharren und den Gesprächen der Wachen lauschen wollte.

„Vertrau mir, Tris. Verschenk dein Herz nicht an Cydette. Klär sie dir und fick ihre dreckige Fotze, dann verschwinde. Stuten stehen auf so etwas, vor allem schmutzige kleine Dinger wie sie. Wenn du das durchziehst, werden dir in 'n paar Wochen alle hinterherrennen. Bier?"

Draecon atmete einmal tief durch, dann glitt er zwischen den Schnüren hindurch. Seine Finger hielten einige Stränge fest, ließen sie nur langsam wieder los.

Für den Assassinen klirrten und klimperten die Perlen viel zu laut aneinander, aber die Kentauren waren zu sehr in ihrem abartigen Gespräch vertieft.

Im Haus hatte der Elf mit zwei langen Schritten die Tür zur anderen Seite erreicht und drückte die Klinke runter.

Quietschen.

Draecon zuckte zusammen, verharrte. Hoffte, dass die Wachen das Geräusch nicht gehört hatten.

„Was war das?", ertönte da aber die Stimme des jungen Kentauren.

„Fensterläden. Kennst doch unsere tollen Architekten", erwiderte der Alte.

Draecon hörte förmlich das Kopfschütteln von Sand.

Ganz vorsichtig zog er die Tür weiter auf, so weit, dass er hindurchschlüpfen konnte.

Ein Fehler.

„Da ist jemand im Haus!", knurrte Sand und hastiges Hufgetrappel ertönte.

„Bist du denn jetzt vollkommen deppert?", grollte der Alte.

Als die beiden durch die offenstehende Tür traten und in den Hinterhof blickten, sahen die Wachen den schwarzgekleideten Assassinen nicht, der sich im nächstgelegenen Eingang verbarg. Erkannten nicht, dass der Tod persönlich seinen besten Mann geschickt hatte.

Der mit etwas Unterstützung ganz Neehri auslöschen konnte.

Stattdessen hörten sie nur das Lallen eines sich entfernenden Kentauren.

„...ja bring ihn doch zu mir, den netten Becher Bier! Und oben drauf da kannste bleiben, damit die and'ren mich beneiden! Ja, du schönes Thekenmädl, du wunderschöne Frau..."

„Siehste? Alles gut. Sind wieder die Besoffenen, die in die falschen Häuser gehen", brummte Grauhaar.

Selbst durch die Nacht, die lange Schatten auf Sands Gesicht warf, sah Draecon ihm seine Zweifel an.

Der Alte hob erneut den Trinkschlauch.

„Bier?"

Dieses Mal griff Sand zu.

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now