XXXVI

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Missmutig hob Draecon seine niedergefallenen Messer und die Karte wieder auf, ehe er der Magierin folgte. Freya führte ihn weiter durch einige Regale, Bücher mit abgegriffenen Einbänden standen eng an eng auf dem dunklen Holzbrett.

Schließlich blieb die Elfe stehen. Sie drehte sich um und lächelte ihren ehemaligen Schüler warm an. „Ich wünsche dir Glück", sagte sie zu ihm, dann trat sie einen Schritt zurück. Draecons Blick heftete sich auf einen kleinen gepflasterten Kreis, dessen dunkler Bruchstein sich deutlich von den sonst hölzernen Dielen abhob.

Ohne zu zögern näherte sich der Elf. Seine Mission rief und das Verlangen, den Silbernen wiederzusehen und ihm zu berichten, dass der Auftrag geglückt war, schien Draecons gesamte Sinne einzunehmen. Beinahe glaubte er, das tiefe Grollen der Stimme seines Gebieters in seinen Gedanken zu hören, das Gefühl seiner Macht durch seinen Körper strömen zu fühlen, den rauchigen Geruch zu atmen und die verkohlte Luft zu schmecken. Die Sehnsucht nach dem Drachen schien Draecon schier in den Wahnsinn zu treiben, aber er wusste, dass er nicht umkehren konnte. 

Noch nicht.

Der Elf trat mit seinen bekümmerlich kleinen braunen Füßchen in den Kreis und verharrte. Langsam begann sich der Raum zu drehen und der Assassine musste die Augen schließen, um der übelkeitserregenden Aussicht zu entkommen. Ihm war es, als würde ihm der Boden unter den Füßen wegbrechen, als würde er durch Dutzende von Rohre fallen und niemals wieder festen Boden zu spüren bekommen.

Die Zeit zog sich in die Länge, Sekunden wurden zu Stunden und Minuten zu Tagen. Fast schon glaubte er zu meinen, wie eine schwere Uhr im Hintergrund leise und erbarmungslos tickte, wie der Sekundenzeiger einen scharfen, harten Ton von sich gab, bei dem sich alle Haare auf Draecons Haut aufstellten.

Langsam ließ das Drehen nach und entschlossen öffnete der Assassine wieder die Augen. Sie taten ihm weh, ein stechender Schmerz hatte sich hinter ihnen eingenistet.

Geräusche begannen lauter zu werden und ehe Draecon sich wieder orientiert hatte, wurde er unsanft herumgeschubst. Die großen Gestalten, die eifrig ihre Geschäfte erledigten, waren allesamt Elfen. Hochgewachsene, intelligente, bildschöne Wesen wie er es eigentlich war. Nur, dass sie ihn nun um mehr als eineinhalb Schritte überragten.

Der Assassine trat aus der Gasse, in der er gestrandet war, und blickte auf den großen, allseits bekannten Hafen von Merilvor. Möwen kreischten und flogen ihre Runden, eine leichte Brise zupfte an Draecons Kleidern und die Massen drängten sich durch die gepflasterten Straßen. Die Sonne brannte erbarmungslos auf sie nieder, die bunten Kleider der Elfen leuchteten in ihrem Licht auf. Es roch fischig und über den Lärm der Stimmen hinweg konnte man das Rauschen des Meeres vernehmen.

Eilig zwängte sich Draecon durch die Elfen, hielt auf die großen Fischerboote am Hafen zu. Er kannte Dreniul, schon einmal war er mit dem Elfen gesegelt. Daher wusste er jetzt auch, wo er nach dem alten Kapitän zu suchen hatte.

Unbeirrt ging der Assassine auf das Schiff mit den königsblauen Segeln zu. Das Holz war weiß gestrichen, die Taue von einem dunklen Grau. Am Bug prangte in schwarzen Buchstaben der Name ‚Sturmflut'. Träge schaukelte das majestätische Schiff in den vergleichsweise harmlosen Wellen.

Gerade verließ ein blonder Elf das Bord des Schiffes und augenblicklich nutzte Draecon diese Gelegenheit. „Ist dein Kapitän zu sprechen?", fragte er barsch, woraufhin er einen misstrauischen Blick erntete. „Ja", entgegnete der Elf aber trotzdem, deutete Draecon an ihm zu folgen und führte ihn auf das Schiff.

Fässer rollten über die hellen Planken, mehrere Ziegen wurden an ihren Halsbändern in die Laderäume des Schiffes geführt. Sobald feststand, dass die Sturmflut in den nächsten Wochen keinen Hafen anlaufen würde, würden die Böcke getötet werden.

Elfen erledigten rasch ihre Arbeit auf dem Deck, bereiteten alles für den Aufbruch vor. Schiffe wie die Sturmflut verharrten selten lange an einem Hafen. Ein, zwei Tage, um die Vorräte aufzufüllen, dann ging es weiter. Das prächtige Schiff brachte Handelsgüter von Kontinent zu Kontinent, verteilte Ware wie nur wenig andere Schiffe. Es gab nicht viele Seemänner, gerade unter Elfen waren sie selten. Bestieg man einmal das Bord eines Schiffes, so hieß es, ließ man sein Leben als Landratte für immer zurück.

Der Elf packte Draecon grob an der Schulter und hielt ihn unbarmherzig fest. „Warte hier. Sobald der Kapitän Zeit hat, wird man sich um dich kümmern", befahl er gelangweilt. Draecon knurrte. Er zog sein Messer und drückte es dem Elfen in die Wade. Ein Jammer, dass er zu klein war, um den kalten Stahl an die dünne Haut am Hals zu halten.

„Ich möchte den Kapitän jetzt sprechen. Wir kennen uns von früher und auch wenn ich ein Kobold bin, weiß ich wie man Elfen still und leise töten kann, sodass niemand es mitbekommt oder gar nach ihm suchen würde", grollte er. Das einzige, was er erwidert bekam, war ein vernichtender Blick. Also drehte Draecon die Klinge, sodass der Elf sie genauer betrachten konnte. Das schwarze Eisen sprach für sich. 

Wortlos wandte sich der Elf ab, verschwand in dem geschäftigen Treiben des Schiffes und kam bald darauf mit einem weiteren Elfen wieder, den Draecon sofort wiedererkannte.

Dreniul hatte sich nicht verändert. Er war einer der wenigen Elfen, die nicht wie ein lebendiges Gemälde aussahen. Seine linke Gesichtshälfte war einst von Flammen zerfressen worden, nie war die Haut komplett verheilt. Dutzende Narben verunzierten seine Haut, der Mundwinkel hing schlaff herab und auf dem linken Auge hatte Dreniul seine Sehkraft verloren.

Niemand wusste wirklich wer er war oder woher er diese grässlichen Verbrennungen hatte, aber man erzählte sich, dass nur das Meer ihn vor dem Verbrennen gerettet hatte. Als er in Flammen stehend in die Wellen gesprungen war, sei das der Moment gewesen, in dem er Seefahrer geworden war.

„Was willst du hier, Kobold?", fragte Dreniul gereizt. Wortlos warf Draecon dem blonden Elfen sein schwarzes Messer zu. Dreniuls graues Auge richtete sich auf die Klinge, die der Silberne einst Draecon geschenkt hatte.

„Freya schickt mich", erklärte der Assassine und nahm die Waffe wieder an sich. „Ich muss nach Xofori, sobald wie möglich."

Dreniuls Mund zuckte. „Kein Seefahrer kam je wieder zurück, Draecon", zischte er. Warum und wie der Assassine ein Kobold war, hinterfragte der Kapitän nicht, was Draecon nicht groß wunderte. Vermutlich wusste er, wozu Freya in Stande war.

„Du bringst mich nach Xofori. Deine geliebte Sturmflut wird nicht zerbersten. Es gab bereits Elfen, die auf der verdammten Insel waren und zurückkehrten. Wie sonst sollen Xoforis Gifte in aller Welt verteilt werden?", fragte der Assassine und bedachte den Kapitän mit einem herausfordernden Blick.

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now