XI

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Draecon stöhnte und löste sich vom Tisch. Mit langen Schritten durchquerte er das Zimmer, immer und immer wieder. Nox sah ihm schweigend zu. Seine hellen grünen Augen lösten sich keinen Herzschlag von Draecon. Er versuchte die Bewunderung in ihnen zu verbergen, wollte nicht, dass Draecon erkannte, wie sehr er ihm an den Lippen hing, wie viel er von ihm aufsaugte.

Schließlich blieb der Assassine stehen. Der Blick seiner harten, schwarzen Augen war gesenkt und die Lippen schon wieder zu einem blutlosen Schlitz zusammengepresst. Draecon hatte eine Entscheidung getroffen, und er verabscheute sie. Niemals in seinem ewigen Leben hatte er seinem Herrn von einem Misserfolg erzählen müssen, jetzt aber war die Zeit nahegerückt. Der Elf stieß all die Luft, die sich in ihm angesammelt hatte, durch geschlossene Zähne hindurch und verursachte dabei einen leichten Schmerz in seiner Lunge. Dieser Schmerz aber würde niemals so groß sein wie der, den die Enttäuschung des Ältesten mit sich brachte.

Draecons Blick nagelte sich auf Nox fest. Er brauchte nichts sagen, unter dem unerbittlichen Blick neigte Nox einmal kurz den Kopf, dann war er zur Tür hinaus und Draecon hörte die sich entfernenden Schritte auf der Erde. Dennoch wartete der Assassine, kostete die letzten Herzschläge noch aus, in denen sich das Leben leichter anfühlte, als nach dem Gespräch.

Dann schob er den Stuhl an den Tisch, stützte den Kopf in die Hände und schloss die Augen. Er sah den Strahl magischen Bewusstseins und obwohl Draecon diese Entscheidung nicht bereute, fiel es ihm schwer, dem pulsierendem Licht zu folgen.

———

Der Silberne hielt inne. Er war in Elfengestalt, badete in dem See seiner Höhle, und dachte über das nach, was gerade geschah. Seine Geschwister hatten ihm einen Gedankenfetzen zukommen lassen, einen Befehl, eine Bitte, eine nächste Sitzung einzuberufen. Der Silberne hatte dem Treffen bisher aus dem Weg gehen können, aber er spürte, dass es nicht mehr lange Zeit gebrauchte, dass die Rote ihrer unbeherrschten Ungeduld freie Hand überließ.

Der Silberne spürte, wie Draecon versuchte, Verbindung zu ihm aufzunehmen. Der Drache wusste sofort, dass es sein bester Assassine war. Das Band, das sie miteinander verband, war dick und stark, der Elf vertraute seinem Herrn blind und der Älteste würde seinen Bediensteten nie in zu große Gefahr bringen.

Der Silberne tauchte aus dem lauwarmen Wasser auf und verwandelte sich zurück in Drachengestalt. Sein mächtiges Schuppenkleid funkelte durch das Wasser in allen Silbertönen, langsam ließ er sich auf dem großen Stein nieder. Dort rollte er sich zusammen und nahm Draecons Bitte an.

Augenblicklich wurde das Schwarz allgegenwärtig, nur Draecons Gestalt wurde von einem unausmachbaren Licht erhellt. Sie kam auf den Silbernen zu, das Gesicht undurchdringbar und doch so lesbar für den Drachen wie ein offenes Buch. Er sah Verzweiflung, Ärger, Selbsthass und Enttäuschung in Draecons Miene und augenblicklich merkte der Drache, dass etwas nicht stimmte. Schweigend wartete er, bis sein Assassine vor ihm ankam und auf ein Knie sank.

„Mein Herr", sagte er, die Stimme tonlos und leicht bebend. Der Silberne senkte den Kopf und betrachtete Draecon. Diese Art hatte er an dem Elfen noch nie gesehen.

„Draecon", sagte er schließlich, als sich die Stille weiter in die Länge zog. Der Drache spürte Draecons Unmut und Verzweiflung und ihm tat es weh, seinen besten Assassinen so zu sehen. Draecon war stark, ein Ass im Ärmel und unbesiegbar. Doch dieses neue Gesicht hatte nichts mehr mit dem stolzen, geheimnisvollen Elfen gemeinsam, auf den der Älteste so stolz war, so befangen vor Glück, ihn als Assassinen zu besitzen. Dieser Ausdruck in Draecons Gesicht tat dem Silbernen weh. Er wollte seinen besten Mann nicht leiden sehen, er wollte sein Selbstvertrauen wieder aufbauen, wollte dem oder das, der Draecon dies angetan hatte, schaden. Der Silberne wollte morden. Er wollte das Blut jenes Geschöpfes vergießen, das Draecons Gesicht in diese leblose Maske verwandelt hatte, die durchdrungen von Schmerz .

Der Silberne schrak leicht zurück. Einen solchen Gedanken hatte er noch nie gedacht, vermutlich lag es daran, dass er lange nicht mehr jagen war. Doch gleichzeitig wusste der Drache, dass dies eine zu einfache Erklärung für seine Gedankengänge war. Etwas war zwischen Draecon und ihm, ein Band von tiefer Freundschaft und vollstem Vertrauen, das der Silberne bei keinem anderen Assassinen spürte.

Der Drache spürte, wie seine Konturen verwischten und zu denen eines anderen Lebewesens wurden. Die Verwandlungen von Körper und Gestalt gingen dem Silbernen so leicht von der Hand, dass er kaum einen Gedanken daran verschwendete. Kaum zwei Herzschläge später stand der Älteste seinem Assassinen als Elf gegenüber.

Mit beinahe väterlicher Freundschaft fasste der Silberne Draecon am Kinn und zwang sein Gesicht nach oben. Der Assassine schloss die Augen und der Drache merkte wie die Anspannung von ihm abfiel. Das Wissen, wie er auf Draecon wirkte, ließ den Silbernen lächeln. 

„Draecon", sagte der Silberne wieder, seine Stimme war leise und durchdringend. Er nahm seine warme Hand von Draecons kühlem Gesicht und wartete, bis dieser die Augen aufschlug.

„Erzählt mir, was geschehen ist", obwohl es nur fünf Wörter waren, harmlose Reihenfolgen von Buchstaben, kühlte Draecons Gesicht augenblicklich wieder ab. In seinen Augen spiegelte sich ein Schmerz, der sich tief in das große Herz des Silbernen brannte.

Draecons Lippen bebten, als er sie zu drei Worten öffnege, Worten, die ihm nur allzu schwer herauskamen: „Ich habe versagt."

Der Drache hielt inne. Er war nicht erschrocken, nicht wütend, nicht enttäuscht. Er war nur fassungslos. Dass Draecon versagt hatte, war noch nie geschehen. Der Elf hatte stets seine Dienste geleistet, immer alles berechnet und am Ende das bekommen, was er, der Silberne, von ihm erwartet hatte.

Noch immer zeigte der Drache keine Reaktion. Draecon sah flehend zu ihm auf. Sein Blick sagte mehr als tausend Worte.

Der Silberne stieß zischend Luft aus. 

Wer weiß von Euch?", fragte er, hoffte inständig, dass es nicht allzu viele waren, die der Assassine aufzählen würde. Draecon schluckte. „Drei Kentauren, mindestens", erwiderte er leise.

Wieder atmete der Drache scharf ein. „Es tut mir Leid, Draecon, aber Eure Mission ist vorübergehend beendet. Ihr seid frei von meinen Diensten, ich habe einige Dinge mit meinen Geschwistern zu besprechen. Ihr seid nicht entlassen, jedoch beurlaubt. Sucht Euch eine neue Beschäftigung, denn ich fürchte, dass meine Geschwister Euch nicht länger in unseren Reihen erdulden können. Es tut mir leid, aber diesen Zug muss ich nun spielen."

Mit diesen Worten verblasste der Drache und verschwand. Er schlug seine Augen auf, orientierte sich kurz in seiner Höhle, dann stieß er ein Brüllen aus. Das Treffen ließ sich nicht länger aufschieben. Zwar würde der Silberne alles tun, um Draeocn vor seinen giftigen Geschwistern zu schützen, aber er ahnte, dass seine Stimme in der Wut der anderen untergehen würde.

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now