LVIII

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Srúna schreckte auf. Diese Stimme, den Klang, den kannte sie.

Der Schrei des Goldenen hallte in jede Richtung und die Sonnendrachin hätte schwören können, dass jeder Kämpfende in diesem Moment kurz verharrte und sich versteifte.

Kurz sah Srúna zurück, dorthin, wo irgendwo hinter dem Qualm der Goldene sein musste. Was geschah dort? Hatte er deshalb sein Zeichen nicht gegeben, weil ihm etwas passierte?

Sie musste bei dem Gedanken boshaft lächeln. Ja, wenn dem Goldenen etwas passierte, dann hatte es den Richtigen getroffen.

Die Zirkelführerin riss sich von ihrer Starre los und nahm zwei nebeneinanderstehende Kentauren ins Visier. Die beiden Pferdemänner waren zu sehr mit dem Abschießen von Feuerpfeilen beschäftigt, als dass sie die nahende Drachin bemerken konnten.

Doch kurz bevor Srúna ihre Klauen nach ihnen ausstrecken konnte, durchbohrte die beiden ein Pfeil und nagelte die Kentauren an eine Hauswand. Erschrocken rissen sie noch einmal ihre Augen auf, ehe der lebendige Schein in ihnen schwand.

Flügelschlagend kam die Sonnendrachin vor den beiden zum Stillstand, starrte regungslos in die Richtung, aus der der Pfeil gekommen war. Der Rauch erschwerte ihr nach wie vor die Sicht doch trotzdem erkannte sie, so kurz, dass sie glaubte es wäre eine Einbildung, einen Elfen mit langem Jagdbogen in einer Gasse verschwinden.

Also hatte die Flammende keine leeren Drohungen gesprochen: sie hatte die Assassinen geschickt. Hatte sie sich unter das Volk der Kentauren mischen lassen, um noch mehr Katastrophen anzustellen.

Plötzlich war da wieder diese Wut. Die Wut, die sie in letzter Zeit zu oft gefühlt hatte.

Bebend vor unterdrücktem Zorn schwenkte die Drachin ab.

Ihre Schwingen strichen eine bröcklige Hauswand und Steine fielen polternd zu Boden. Stöhnend schwankte die Mauer. Sie ächzte, als ein Pfeil, geschmiedet von Meisterhand, in sie eindrang und gab schließlich ganz nach. Nacheinander lösten sich die Steine und rutschten hinab.

Srúna aber verschwendete keinen Gedanken an diese Mauer, sondern hielt Ausschau nach einem nächstbesten Erdkriecher.

„Was geschieht bei den Himmelsschlangen?", fragte sie ihn über den Lärm und die Schreie der Kämpfenden hinweg.

Der Wasserdrache schüttelte sein Haupt und die vielen Schuppen klackten aneinander. Sein Atem ging keuchend, rotes Blut, das ihn als Erdkriecher identifizierte, quoll aus einer Wunde an seinem Brustpanzer hervor.

„Der Silberne und die Grüne sind gekommen, die Flammende zu töten", stieß er hervor.

Srúna wich einem nahenden Pfeil aus und schloss dann wieder zu dem Drachen auf.

„Und der Goldene?"

Ein Schulterzucken, dann: „Ich weiß es auch nur aus zweiter Hand, aber er soll sich wohl am Kampf beteiligen. Einige der Sumpfdrachen haben das bei dem Versuch, irgendwo außerhalb von Neehri eine Pause zu machen, beobachtet. Auf ihre Worte würde ich aber nichts geben."

Die Sonnendrachin senkte ihr Haupt – ein wortloses Zeichen des Danks. Der Wasserdrache erwiderte ihre Geste, ehe er sich wieder fallenließ und ein Dutzend Kentauren auf einmal in einem Flammenstoß versenkte.

Vor ihren Augen trudelte einer ihrer Kämpfer herab, einen dieser verdammten Pfeile tief in seinem Hals. Und doch war das hier kein Vergleich zu dem Kampf, der nur wenige Meilen von ihnen entfernt tobte.

Ein Kampf der Urgestalten. Weltenhüter, die sich gegeneinander töten wollten. Jahrtausende lange Kampferfahrung in geflügelten Wesen vereint.

Srúna schauderte es. Und zum ersten Mal kam ihr die Idee, einfach umzukehren, wahrhaft klug vor.

-

Ein ohrenbetäubendes Brüllen zerschnitt die Luft. Unvergleichbar mit dem Lärm, der von Neehri direkt ausging.

Draecon hielt inne. Alleine schon an dem Unterton, der in diesem Schrei mitschwang, wusste er, um welche Himmelsschlange es sich handelte.

Der Goldene.

Schon immer war der Drache, allseits bekannt als ‚der Jüngling', stärker gewesen als ein jeder ihn eingeschätzt hätte. Ihm war alles gleich gewesen, hatte stumm den Spott seiner älteren Geschwister hingenommen.

Was also brachte ihn derart wütend zum Schreien?

Es war nicht schwer, sich das zusammenzureimen: der Silberne wollte Nyrathur retten, die Flammende es zerstören. Der Goldene war ihr treuer Begleiter, so also gleichzeitig der Feind des Ältesten.

Es dauerte nur Bruchteile einer Sekunde, nachdem das Brüllen erklungen war, und ganz ohne Befehle opferte Lod seine letzte Kraft auf.

Seine vor Anstrengung zitternden Beine stießen sich vom Boden ab. Die lange, schweißnasse Mähne peitschte im Gegenwind.

Alle Gedanken, die nichts mit dem Silbernen zu tun hatten, waren in diesem Moment zweitrangig.

Der Grund flog förmlich an ihnen vorbei und Draecon hatte sogar die Hoffnung, dass er vielleicht noch pünktlich kommen könnte, als sich mit einem Mal etwas in den Boden vor ihnen grub.

Lod scheute und stieg auf die Hinterbeine. Zu plötzlich, zu unabsehbar, dass Draecon den Halt verlor.

Hart prallte er auf die Erde auf. Aufgewirbelter Staub drang in seine Augen und das lange Gras fing nicht einmal ansatzweise seinen Sturz auf.

Nur weil ihm durch das Assassinen-Sein seit vielen Jahrzehnten die Übungen in Fleisch und Blut übergegangen waren, konnte Draecon sich abrollen.

Als er sich wieder aufrappelte, konnte er erkennen, was seinen Rappen so erschreckt hatte: ein Pfeil hatte sich direkt vor ihnen in den Boden gegraben und wäre er auch nur eine Armlänge weiter vorne eingeschlagen, wäre er dem schwarzen Hengst direkt in die Brust gegangen.

Draecon fluchte ungeduldig und sprintete zu Lod. Und wieder fiel er.

Hart.

Schmerzhaft.

Erbarmungslos.

Aber dieses Mal war etwas anders. Jemand lag auf ihm, umklammerte ihn mit all seiner Kraft.

Der Assassine wehrte sich, nutzte all seine Fähigkeiten, aber dieser Jemand konnte sich gegen sie alle behaupten.

Der Fremde musste ein von Drachen ausgebildeter Elf sein. Musste die streng gehüteten Techniken beherrschen, um Draecon weiterhin so unbarmherzig an den Boden zu nageln.

Als der unbekannte Elf sein Gesicht ihm zuwandte, hätte Draecon kotzen können. Aus grünen Augen, in denen sich so viele unbeantwortete Fragen und unlesbare Gefühle spiegelten, starrte ihn Nox an.

Und in dem Moment, in dem sich ihre Blicke kreuzten und Draecon den Schneeprinzen anstarrte, traf ihn ein Schlag gegen die Schläfe.

Und dann war da nichts weiter als Dunkelheit.


Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now