XLVI

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Srúna glitt zu Boden. Was hatte sie getan?

Ihr Blick reichte weit über das, was von Yascaena übrig geblieben war. Noch immer fraßen sich Flammen in die Elfenstadt. Qualm hing in der Luft. Schreie schrillten in ihren Ohren wider und die vor Angst verzerrten Gesichter waren ihr noch immer im Gedächtnis.

Srúna sank in sich zusammen. Kraftlos wendete sie den Blick von Yascaena. Sie war ein Feigling. Ein solcher Feigling, dass sie es noch nicht einmal übers Herz brachte, ihr Werk zu betrachten, sich irgendwie rechtzufertigen.

Es war die Rote. Sie war an alldem Schuld, sie war es, die Srúna und die anderen Erdkriecher dazu gezwungen hatte, den Angriff auf die Elfen auszuüben. Zorn flackerte in ihr auf, das einzige, was sie spürte. Oh, wie gern sie der Flammenden ihre Krallen in den Hals treiben würde, ihre Zähne das Blut der Drachenkaiserin schmecken würden...

Die Sonnendrachin hatte nicht gemerkt, wie es angefangen hatte zu regnen, aber als ihr Blick jetzt in eine Pfütze fiel und sie ihr Ebenbild schemenhaft erkannte, schluckte Srúna schwer.

Sie hatte sich früher gerne angesehen, hatte die Farbe ihrer Schuppen geliebt. Jetzt schien es ihr, als wäre ihr Panzer mit Blutflecken übersäht, obwohl kein einziger Tropfen Lebenssaft an ihr hing. Aber den Tod, den trug sie trotzdem mit sich, man sah ihn nur nicht.

Natürlich war die Flammende teilweise Schuld an diesem Chaos, aber war sie es selbst nicht auch? Immerhin hätte sie sich trotz aller Folgen widersetzen können, hätte wenigstens versuchen können, das Gemetzel aufzuhalten. Aber Srúna hatte nichts unternommen, nein. Sie hatte zugesehen wie eine bildschöne Stadt in den weiten Landen der Elfen in den Flammen der Drachen versank. Und damit war es nicht genug. Sie selbst hatte geholfen, ein solches Massaker anzurichten und jetzt schämte sie sich dafür. 

Jetzt

Was brachte es all den toten Elfen, sich jetzt für etwas zu schämen, was man hätte aufhalten können?

All die Kinder, die ihre Eltern nie wiedersehen würden? All die treuen Mütter, die sich beschützend in die Flammen warfen, um wenigstens ihren Kindern die Flucht zu ermöglichen? All die tapferen Krieger, die bis zum letzten Atemzug ihre Bögen und Katapulte genutzt hatten, um den Drachen ein letztes Zeichen des Widerstands zu geben? 

Und all die Überlebenden, die es vielleicht geschafft hätten, waren systematisch durch die Südtore vertrieben worden, wo die Himmelsschlangen auf sie gewartet hatten. Was dort dann geschehen war, war vermutlich schlimmer als alles andere, was hier in Yascaena passiert war.

Aber nun war Nyrathur gewarnt. Wenigstens einen Vorteil hatte das Feuer für die Bewohner der Welt: es war in der Nacht so hell erschienen, dass alle umliegenden Städte und Dörfer alarmiert waren. Zwar lag Yascaena recht mittig in den Elfenlanden, aber Srúna steckte ihre Hoffnung in die wilden Völker der Elfen, die Waldläufer. 

Sie waren Elfen, die normalerweise die Gesellschaft der förmlichen Spitzohren mieden. Durch ihre goldenen Augen verraten hielten sie sich von großen Städten gleich Yascaena fern, um den Spott der anderen Elfen zu umgehen.

Srúna hoffte so sehr, dass die Waldläufer die Kentauren und die anderen Elfen, die übrig geblieben waren, Bescheid gaben. Denn wenn sie es nicht taten, dann wäre Nyrathur innerhalb weniger Wochen Geschichte und die Flammende würde thronen auf einer Welt aus Rauch und Tod.

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Der Goldene stand neben der Flammenden. Sie stank nach Macht und Mord, ihre Ausstrahlung war abstoßend. Ihn schüttelte es beinahe bei der Vorstellung, dass er ihr treu diente.

Nicht mehr lange, ermahnte er sich, nicht mehr lange.

Er hatte die Erdkriecher für sich gewonnen und er besaß das Wohlwollen der Flammenden. Sein Schlag würde unerwartet und vernichtend sein. Nicht nur vernichtend für die Flammende. Das hatte er den Erdkriechern eingeredet, aber er haderte mit sich, ihr das Leben zu nehmen. Vielmehr zog er etwas anderes in Betracht. 

Oder besser gesagt jemand anderen.

„Ich danke euch für eure Dienste", sagte die Rote und verzog ihre Mundwinkel zu einem tödlichen Lächeln. Die Erdkriecher erwiderten nichts. Srúna und Yuivi, der Anführer der Wasserdrachen, standen eng beisammen. Der Goldene musterte sie kritisch. Sie hatten sich bereits vor ihrem Zusammentreffen in Gegenwart der Himmelsschlangen gekannt, ihr vertrauter Umgang miteinander verriet ihre Bekanntschaft.

Ganz im Gegensatz zu Ethnos: der Häuptling der Horndrachen hatte keine Freunde. Zwar liebte ihn sein Volk, aber anders als bei den anderen Zirkeln waren Horndrachen sowieso eher Alleingänger. Sie trafen sich alle paar Jahre zur Fortpflanzung, aber danach gingen sie wieder getrennte Wege.

„Es ist aber noch nicht alles getan, was getan werden muss", fuhr die Rote fort und der Goldene richtete seinen Blick wieder abwesend auf die Umgebung. Als ihr Vertreter hatte er stets an ihrer Seite zu sein, ganz im Gegensatz zu der Blauen und dem Purpurnen.

Der Purpurne.

Er war geflohen oder besser gesagt befreit worden. Von wem lag auf der Hand, aber warum war ihm schleierhaft. Die Beweggründe der Ruhigen verstand er - schließlich war sie eine weichherzige, dennoch schwer lesbare Drachin, die ihrem Bruder das Leben retten wollte. Sie wusste wie fehl er an seinem Platz war, wie sehr er litt, wenn solch Angriffe ausgeübt wurden.

Aber die Flammende hatte der Blauen und ihm bewusst den Schlüssel zum Käfig gegeben. Es war alles durchdacht, sie hatte darauf gehofft, die Blaue würde den Purpurnen befreien. Hatte sie nun ein Mittel in der Hand, auch die Ruhige zu verstoßen oder war es etwas anderes? Egal wie lange der Goldene darüber schon nachgedacht hatte, er fand keine Lösung. Er würde mit seiner Schwester sprechen müssen.

„Ihr habt euch eine Pause verdient. Wir lassen unser Zeichen erstmals in den Köpfen der Elfen ankommen und uns dann abwenden, um dem nächsten Volk einen Schlag zu verpassen. Deshalb schlage ich vor, dass ihr in sechs Tagen erneut zusammenkommt. Wartet an dem Rabenmeer, unser nächstes Ziel wird Neehri sein. Die Umgebung ist passend, die Steppen werden lichterloh brennen. Wagt keinen Versuch euch eurer Pflicht zu entziehen - ihr wisst, was ich gegen euch in der Hand habe."

Mit einem Nicken entließ sie die Erdkriecher. Ihre Augen ruhten nun auf dem Goldenen. Er spürte wie sie sich in ihn hineinbohrten, ihn zu lesen versuchten. Er hielt eiskalt dagegen und sammelte sich, bis er die Kraft fand, ihren Blick zu erwidern.

Seine Augen sagten alles und als sie seine wortlose Frage bemerkte, ließ sie sich auf den Boden nieder, um ihm endlich die Antworten zu geben, nach denen er sich heimlich so sehr sehnte.

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now