XV

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Die Flammende blickte dem Silbernen triumphierend hinterher. Das Rot ihrer Augen glänzte vor Gier auf den Platz als Älteste und somit als Drachenkaiserin. Sie würde Nyrathur komplett verändern. Sie würde Kriege führen, so lange, bis alle Einwohner den Drachen gehorchten, sie liebten und ihnen dienten. Nyrathur würde eine andere Welt sein.

„Ich beglückwünsche dich, Flammende", sagte der Goldene. Als sich die Rote wieder umdrehte, um ihren jüngsten Bruder anzusehen, war er in die Knie gefallen und hatte sein Haupt gebeugt. Der Purpurne und die Blaue taten es dem Goldenen nach. Es war merkwürdig und ungewohnt, dass sie nur noch zu viert waren und dass man vor ihr, der Roten, niederkniete. Und doch war es so und die Flammende konnte nicht behaupten, dass ihr dieser Anblick nicht gefiel.

„Was sind deine Pläne für die Zukunft Nyrathurs? Was hast du nun vor, da du das letzte Wort unter den Drachen hast?", fragte die Blaue. Ihr ozeanfarbenes Schuppenkleid funkelte und glitzerte und brach das Sonnenlicht tausendfach. Die Flammende lächelte ruhig. Lange hatte sie geplant, überlegt, was sie machen sollte, wenn sie das Oberhaupt der Drachen war.

„Sammelt eure Assassinen. In einigen Tagen werden wir aufbrechen, um die Widerstände ein für alle Mal zu beiseitigen", schnurrte sie, die Augen glitzernd vor Ungeduld auf das Blut, das bei der Beseitigung fließen würde.

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Der Silberne hob seinen Blick. Er hatte die Gestalt eines Elfen angenommen, nicht die von Draecon, sondern seine ganz eigene. Ein unscheinbarer Elf mit kupferfarbenem Haar, das in sanften Wellen auf seine Brust floss. Nur die überirdisch silbern schimmernden Augen ließen einen Betrachter stutzen.

„Was habt Ihr gesehen?", fragte Draecon, der ungeduldig neben dem Drachen gewartet hatte. Zwar wollte der Silberne, dass der Assassine ihn nicht länger als seinen Herrn ansah, aber Draecon ließ diese Bitte gewaltig schweifen. Für ihn hatte sich die Ausgangssituation nicht geändert, einzig nur die Umstände. Aber der Drache in Elfengestalt, der kniend auf dem Boden hockte, war immer noch sein Gebieter. Er war immer noch ein Himmelsgeschöpf, so übernatürlich und gewaltig wie aus einem Märchen.

„Die Rote plant einen Angriff auf Nyrathur. Sie will alle Drachen, Erdkriecher und Assassinen beisammen rufen, um die Widerstände für immer zu vernichten. Sie denkt, dass dies der einzige Weg ist, den schlechten Ruf der Drachen zu nehmen", antwortete der Silberne.

Draecon schüttelte nachdenklich den Kopf. „Es wird sie nur noch anstacheln. Derartige Angriffe auszuüben ist nicht schlau, die Bewohner Nyrathurs werden höchstens den Hass vor den Drachen verbergen."

Der Drache nickte. „Das ist der Flammenden aber egal. Sie will ihre Macht zeigen und sie will beweisen, wie präsent wir Drachen...", der Silberne stockte kurz und fuhr dann fort: „...wie präsent die Ältesten noch sind. In den letzten Jahrzehnten wurden wir immer mehr zu einer Legende, nur die alten Könige und Feldherren wissen noch von uns."

Draecon blickte seinen Herrn für einen Augenblick stumm an, dann fragte er: „Wie weit reicht Eure Sicht auf die anderen Drachen bezogen?"

Der Drache hob seinen Blick und sah Draecon mit seinen silbernen Augen an. „Ich kann nur das sehen, was bereits beschlossen ist. Weder kann ich die Gedanken der Drachen lesen, noch ihre Gefühle und Bewegungsgründe erfahren", erwiderte er.

Draecon mahlte mit dem Kiefer. „Werden die Erdkriecher die Ältesten unterstützen?"

Der Silberne schnalzte. „Ich weiß es nicht genau. Ihre Entscheidungen sind so sprunghaft und von kurzer Dauer, dass ich auf sie keinen Wert lege. Zudem gibt es viele Erdkriecher. Zum Einen gibt es das Drachenvolk im Norden, angeführt von einem, für ihre Art, uralten Drachen. Sie sind im Vergleich weise, werden nicht nur von Hunger und Durst nach Blut getrieben.

Einen anderen Drachenzirkel findet man in Xofori, er verehrt die Flammende und wird ihr sofort folgen. So auch den Drachen in den südlichen Wüsten Nyrathurs. Allerdings gibt es noch einzelne, deren Verstand ich zutraue, dass sie der Roten nicht sofort folgen würden. Diesen Drachen sollten wir uns widmen. Vielleicht können wir sie davon überzeugen, die Welt, in der sie leben, nicht grundlos zu zerstören. Mit dem Aufstieg der Roten wird Nyrathur niemals mehr dieselbe Welt sein."

Der Assassine ließ sich neben seinem Gebieter nieder. „Was ist es, das Ihr an Nyrathur so schätzt? Sind es die Lieder wie beim Purpurnen oder die Krieger wie bei der Roten? Ist es die Natur, die Macht?", fragte Draecon. Eigentlich sollte ihn das nicht interessieren, aber er wollte den Silbernen verstehen. Er wollte ihm dienen, aber noch mehr bevorzugte er das Wissen, weshalb er ihm diente.

Der Drache seufzte. „Es ist Nyrathur an sich. Die Völker, die sich immer weiter entwickeln, die Kinder, die Tiere. Es sind die natürlichen Wunder. Es sind die tiefen Wälder der Elfen, die weiten Steppen der Kentauren und die alten Moore der Hexen. Es sind die Kobolde, die Zwerge und Trolle. Sie alle gehören zu Nyrathur und sie alle sind es wert, im Kampf gegen meine Geschwister zu sterben."

Draecon zog die Brauen hoch. Ihm war nie bewusst gewesen, wie viel der Silberne an Nyrathur hing. Andererseits war die Flammende wirklich niemand, der sorgsam mit seinem eigenen Besitz umging. Es hieß, dass sie sogar schon einmal Assassinen getötet hatte aus dem Grund, dass sie ihnen zu wenig geboten hatten.

Der Silberne erhob sich. „Jedenfalls kann ich von Glück sprechen, dass ich meine Assassinen noch habe. Ich stelle es ihnen frei zu gehen, aber sollten sie bleiben, hätten wir genügend Frauen und Männer, um zumindest einige Erdkriecher zu überzeugen."

Draecon nickte und stand ebenfalls auf. Der Silberne legte seinen durchdringenden Blick auf seinen Assassinen. Für einen kurzen Augenblick spannte sich sein Gesichtsausdruck an, dann wuchs seine Gestalt. Silberne Schuppen schossen aus der milchigen Haut des Elfen und Hörner wuchsen ihm aus der Stirn. Nur einen Herzschlag darauf stand er in seiner wirklichen Gestalt vor Draecon.

Draecon hob den Kopf. Er sah zu dem silbernen Drachen auf und wusste, dass das Morden richtig war. Er war eine Schreckensgestalt, ein Assassine, ein Kindermörder. Er war Draecon und das hier war seine Geschichte. Seine Geschichte von Verrat, Tod und unfassbarem Glück, dem Silbernen zu dienen.

Breath Of Death - Silbernes LodernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt