LXI

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Die Flammende kämpfte, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.

Nur knapp entkam der Silberne ihren Angriffen.

Da waren ihre Zähne, nur wenige Fingerbreit von seinem Hals entfernt. Ihr Schwanz traf ihn an der Seite und brachte ihn ins Taumeln. Ihre Pranken schlugen auf ihn ein und er spürte jeden einzelnen, von ihnen erzeugten Luftzug.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als immer weiter zurückzuweichen. Er tauchte unter einem Schlag hinweg, hob seinerseits seine Klauen, aber die Flammende war schneller.

Sie blies ihm ihren heißen Atem entgegen. Schlug mit ihrem Schwanzende zu. Fuhr ruckartig vor, um ihm die Zähne in den Hals zu graben.

Wenigstens war der Silberne gegen ihr Feuer immun.

Er gab auf, irgendwie einen Gegenangriff zu starten. Die schnellen, beinahe für sie übernatürlichen Bewegungen machten kein Näherkommen möglich. Die Reaktionen der Flammenden waren perfekt und ihr Körper strotzte nur so vor Kraft.

Der Silberne wich dem Schlag mit ihren Hörnern aus. Er würde warten. Lange warten. So lange, bis sie sich soweit verausgabt hatte, dass er einen Angriff wagen könnte.

-

Seine Schritte waren tretsicher und schnell. Leise. Kraftvoll.

Wo hatte Nox Lod gelassen? Wo war der Hengst, nachdem der Schneeprinz ihn so erschreckt hatte?

Auf seinem Rücken wäre Draecon schon da. Was immer ihn dort erwartet hätte.

Und trotz des Hasses, den der Assassine so auf Nox hegte, war er dankbar für die Gewissheit, dass er hinter ihm stehen würde. Dass der Schneeprinz sich mit ihm zu den Himmelsschlangen aufmachte.

„Draecon", hörte der Elf in diesem Moment die Stimme seines Begleiters und widerwillig folgte sein Blick dem Fingerzeig des Schneeprinzen.

Tatsächlich: sie waren da.

Gerade so in seinem Sichtfeld erkannte Draecon die Gestalten von fünf Drachen. Keinen gewöhnlichen Drachen, sondern von Himmelsschlangen.

Sein Herz stolperte, als er den Silbernen sah. Wie er sich gegen seine Schwester behauptete, die erbarmungslos auf ihn losging.

Trotz seines geschulten Auges waren die Bewegungen der Roten so schnell, dass sie für ihn verschwammen. Und doch waren sie alle so präzise und auf den Punkt gebracht, dass Draecon schlucken musste.

Er hatte tiefes Vertrauen in seinen Gebieter, tiefer, als er es je einem anderen gegenüber haben würde. Er kannte den Silbernen seit vielen Jahrzehnten, dass er aufgehört hatte zu zählen.

Der Assassine wusste, wie stark der Älteste im Kampf geschult war. Wie weit er sich selbst geschult hatte und wie viel er von diesem Wissen an seine Assassinen, an Draecon, weitergegeben hatte.

Und doch schien es Draecon, als würde der Silberne, sein Meister, der Flammenden weitaus unterlegen sein. Sein Körper war übersät von kleineren Verletzungen.

Nur kurz driftete sein Blick ab zur Grünen und zum Goldenen, der seine älteste Schwester auf Abstand zur Flammenden hielt. Und zur Blauen, die ein wenig abseits stand.

Reglos.

Eine Wunde an ihrer rechten Flanke blutete, pechschwarzes Blut perlte über ihre Schuppen und tropfte auf den Boden. Eine große Lache hatte sich dort gebildet. Durchnässte das Gras und sickerte in den Boden.

Nox trat einen Schritt vor, seine Augen vor Schrecken aufgerissen.

In dem Moment, in dem sich seine Muskeln sichtbar anspannend, hob die Blaue ihren Blick und starrte genau in ihre Richtung. Draecon hätte darauf gewettet, Assassine und Drachin hätten sich stumm verständigt, wäre da nicht die Angst um den Silbernen gewesen.

Sein Körper zitterte. Das Herz schlug unregelmäßig und viel zu schnell. Seine Beine bebten, als bräuchten sie nur das Startsignal von Draecon, um ihn dorthin zu tragen. Zu seinem Gebieter, der seiner Schwester doch so unterlegen war.

Jeder seiner Sinne konzentrierte sich auf diesen Kampf, seine Atmung war viel zu hektisch. Jeder logische Gedanke war ihm ausgegangen.

Draecon wusste: wenn der Silberne sterben würde, würde auch er sterben. Nicht körperlich, sondern von innen heraus zerbrechen.

Und endlich gab er seinen Beinen den Befehl zu laufen. Schneller, als er je gelaufen war, würde er zu seinem Gebieter eilen. In höchster Not würde er kommen und mit ihm untergehen.

Doch wieder riss ihn Nox zurück. In seinen Augen tanzte ein Feuer, wild und befehlerisch und alles vernichtend.

„Bleib", knurrte er und seine Finger bohrten sich in Draecons Arm. Er spürte, wie Blut hinab zu seiner Hand troff und dort weiter auf den Boden. Doch es war eiskalt und sein Arm taub.

„Sie befiehlt mir, dich nicht hinabgehen zu lassen", fuhr der Schneeprinz fort. Seine Augen so willensstark, dass Draecon die Worte fehlten.

„Das alles ist eine Falle für die Flammende: die Schmerzen der Blaue sind vorgetäuscht, damit die Flammende alleine gegen den Silbernen kämpft. Nur so hat er eine Chance, sie zu besiegen. Mach sie nicht zunichte!"

Etwas staute sich in Draecon an. Wanderte hinauf in seinen Hals, schwoll dort an. Nahm ihm die Luft zum Atmen.

Er war verdammt, zuzusehen.

Das Gefühl für seinen Körper hatte er verloren. Seine Fersen hatten sich in den Boden gegraben und seine Fingernägel schnitten ihm in die Handfläche.

Aber den Blick konnte er nicht von seinem Gebieter nehmen.

-

Der Silberne nahm Abstand zu seiner Schwester.

Er spürte, dass er hier war. Wusste, dass er gekommen war, und es zerbrach ihm das Herz.

Draecon war schon immer sein treuester Assassine gewesen. Hatte immer darauf bestanden, an seiner Seite zu stehen. Hatte ihn begleitet, als er in einer der alten Sitzungen der Himmelsschlangen von seinen Geschwistern beschimpft worden war.

Hatte mitangesehen, wie die Flammende ihm einst eine Schuppe an seiner Schulter ausgebrochen hatte.

Hatte mitangesehen, wie der Jüngling den Silbernen zu Kämpfen hinausgefordert hatte, mit dem Ziel, die Rangordnung der Himmelsschlangen somit ändern zu können.

Draecon hatte den Silbernen schwach gesehen, hatte ihn voller Kummer und Sorgen miterlebt, hatte ihn bluten sehen.

Und stets hatte der Assassine mit ihm geblutet. Seine Sorgen waren Draecons gewesen, seine Feinde die seines Lehrlings.

Wie gerne der Silberne Draecon diesen Schrecken hier erspart hätte.

Aber er war von selbst gekommen, um den Silbernen wie immer zu unterstützen.

Die Flammende hielt in ihren Angriffen inne. Womöglich, um nach neuer Kraft zu schöpfen. Sie durfte Draecon nicht bemerken! Wenn sie das tat, würde sie den Kampf auf eine ganz andere Weise austragen.

„Schon am Ende mit deiner Kraft?", fragte der Silberne also und ging ein paar Schritte auf seine Schwester zu. Diese erwiderte es nur mit einem Lächeln, ihr Atem aber ging stoßweise.

Und dieses Mal griff der Silberne an. Sein erster Schlag saß: ein langer Kratzer hatte teilweise den roten Schuppenpanzer durchdrungen und nacktes Fleisch zum Vorschein gebracht.

Immer und immer wieder stieß er zu, bis die Flammende weit zurückgewichen war.

Der Älteste täuschte einen Angriff auf das linke Schulterblatt vor. Die Flammende drehte ihr Haupt, um seine Pranke mit ihren Zähnen zu zerfleischen.

Ahnte nicht, dass das eine Falle war, bis der Kopf des Silbernen vorstieß und sein tödliches Gebiss nahe ihrem Hals aufblitzte.


Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now