XIV

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Ein Zischen entfuhr dem Purpurnen. Seine Zunge stieß zwischen den messerscharfen Zähnen hervor, nur um kurz darauf wieder dahinter zu verschwinden. Eine unbekannte Wut loderte in den Augen des Drachen auf, eine Wut, die man nur allzu gut von der Flammenden kannte, die dem Friedlichen aber noch nie im Gesicht gestanden hatte.

„Wisst ihr, was ihr seid?", fragte er, seine Stimme zitterte und der Silberne sah das Feuer in dem Schlund des Purpurnen glimmen. Funken sprühten in seinen Augen und all die Kraft und der Zorn, den ein Drache ausmachte, versteckte sich nicht länger in dem Purpurnen. Er brach aus ihm hervor wie ein Fluss, der endlich der Kraft des Staudamms entkam.

„Ihr seid Monster, allesamt! Warum erzählt ihr dem Silbernen, dass er von den alten Sitten loslassen soll und verbannt ihn dann aus unserem Zirkel? Warum seid ihr allesamt machtgierig und streitet euch um die Position des Drachenkaisers, anstatt sie zu hüten? Entspringen wir nicht alle demselben Ursprung, der uns eigentlich zu etwas Gemeinsamen mahen sollte?", die Stimme des Purpurnen hob sich immer weiter, bis er in ein Brüllen überstieg, das elfische Ohren nicht ausgehalten hätten.

Der Goldene lachte trocken. „Du nennst uns Monster? Wir sind Monster, wir sind es und das waren wir schon immer. Wir sind geflügelte Bestien, die die Herrschaft der Welt nur besitzen, weil sich niemand traut, ihnen entgegen zu treten. Wir sind seelenlose Biester, geschaffen für die Ewigkeit!"

„Was du auch sagen magst, Goldener, meine Meinung steht fest, auch wenn sie nichts mehr ausrichte kann. Lassen wir den Silbernen bei uns, aber da es schon jetzt klar ist, dass er geht, verspreche ich ihm meine Unterstützung", der Purpurne lenkte seinen Blick auf den Silbernen. „Solltest du je meine Hilfe benötigen, werde ich dir zur Seite stehen. Ich habe seine Zeit als Drachenkaiser und Ältester genossen und wertgeschätzt, du tatest dem Volk von Nyrathur gut. Noch fällt unseren Geschwistern nicht auf, wie viel du bedeutest", die Stimme des Friedlichen war zu einem ernsten Raunen geworden.

„Die Entscheidung ist also gefallen: der Graue ist nicht länger bei uns willkommen. Ich entziehe ihm seinen Platz als Ältester und somit auch seinen Titel. Da die Wahl des neuen Drachenkaisers unentschieden ausgefallen ist, wird die Flammende diesen Rang einnehmen. Sie ist nach dem Silbernen die Älteste in unserem Kreis, ich beglückwünsche dich, Flammende", der Goldene sprach ausdruckslos und klar, seine Worte waren gleich Messerstiche für den Silbernen. Jede Silbe, jeder Buchstabe ein heftiger Schmerz. Aber er konnte sich nicht rühren, sich nicht gegen den Schmerz wehren. Er war in einer tauben Bewegungslosigkeit, die allees nur noch schlimmer machte.

„Wir wünschen dir alles Gute für die Zukunft, Bruder. Mögest du doch noch deine Erfüllung finden", sagte die Flammende, Genugtuung schwang in ihrer Stimme mit.

Noch immer hatte sich die Taubheit in dem Silbernen nicht gelöst. Stumm nickte er und breitete die Flügel auseinander.

Das war es nun. Mehr als 1200 Jahre Oberhaupt der Drachen und nun Verstoßener, weil sein Assassine sich unfreiwillig gezeigt hatte. Und doch spürte der Silberne keine Wut. Jedenfalls nicht für Draecon. Noch immer fühlte er eine so unfassbare, väterliche Liebe für ihn. Stattdessen brannte der Zorn auf seine Geschwister um ein Vielfaches heftiger. Aber vielleicht war das das Schicksal. Vielleicht wäre sein Abtreten so oder so gekommen. Vielleicht war sein neues Leben als Verstoßener gar nicht so schlimm, sondern offenbarte sich als ein neuer Weg, den der Silberne ansonsten nie hätte beschreiten können.

———

Draecon drehte sich zu Nox um. Der Elf folgte ihm auf den Fuß, hatte kein einziges Wort über die Lippen gebracht. Draecons Atem ging rasselnd, aber nicht etwa, weil er so lange gelaufen war, sondern weil ihm die Angst und der Selbsthass die Kehle zuschnürte. Jeder Atemzug war eine Herausforderung, wollte ihn in die Knie zwingen, aber der Assassine gab nicht nach. Er hatte nicht gewusst, wie er den Silbernen finden könnte, war bestürzt aufgebrochen, um das Gefühl zu haben, irgendetwas tun zu können. Im Endeffekt hatte er keine Ahnung, wo er nun hin sollte.

Nox kam neben Draecon zum Stehen. Im Gegensatz zu Draecon ging sein Atem ruhig. „Vielleicht sollte ich dir ein wenig Zeit für dich lassen. Außerdem ruft die Blaue nach mir", sagte er und blickte Draecon dabei fest in die Augen. Nachdem Nox keine Reaktion von dem Assassinen erhalten hatte, wandte er sich zum Gehen ab.

„Ich wünsche dir alles Gute, Draecon. Ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen, so übel wie du denkst, bist du nicht", ohne ein weiteres Wort war der Schneeprinz verschwunden.

Draecon brach in die Knie. Er hatte keine Kraft, länger zu stehen. Seine Finger gruben sich in den Boden. Was war sein Plan? Er war mit Nox mehrere Stunden gelaufen, hatte nach jemandem gesucht, der ein Meister darin war, sich zu verbergen. Draecon ballte seine Hände und schrie. Seine Wut ließ seine Stimme brodeln, anders schien er sie kaum auszuhalten. Der Assassine sank noch weiter in sich zusammen und beugte sich vornüber. Es war, als würden seine Knochen ihn nicht länger aufrecht halten.

„Draecon", der Elf zuckte zusammen. Er wusste nicht, wie lange er schon so verharrte, jegliches Gefühl für Zeit und Raum war ihm entglitten. Als er jetzt aber den Kopf hob, sah er das silberne Schuppenkleid seines Herrn glitzern.

„Es tut mir weh, Euch so zu sehen, Meister Draecon", sagte der Drache. Draecon verzog das Gesicht. „Es ist alles meine Schuld", sagte er, den Blick gesenkt auf seine schmutzigen Hände.

Der Silberne ging ein paar Schritte auf seinen Assassinen zu. Als er sich zum Elfen verwandelte und eine Hand an Draecons Wange legte, war das Gefühl seiner Kraft um ein Vielfaches schwächer als in Draecons Erinnerungen. Noch immer durchflutete ihn die Macht, die den Silbernen umgab wie Luft, aber sie durchrauschte ihn nicht mehr wie eine Droge. Das konnte nur Eines heißen.

Draecon senkte wieder den Kopf. Er begann zu stammeln, wollte sich rechtfertigen, aber kein richtiger Satz kam ihm über die Lippen.

Wieder spürte Draecon die Hand seines Gebieters, diesmal am Kinn, um seinen Kopf zu heben.

„Es ist nicht alles Eure Schuld. Es war klar, dass ich früher oder später meinen Rang verlieren würde. Nun ist es so weit gekommen. Ihr sollt von Euren Diensten befreit sein, es gibt nichts mehr, was Euch noch an mich kettet. Euer Mal hat seine Macht verloren", sagte der Silberne ohne eine Spur Trauer in der Stimme. Draecon mahlte mit den Zähnen. 

Sein Gebieter war ein Meister darin, seine Gefühle zu beherrschen, das wusste der Elf und hatte es schon dutzende Male erlebt. In einer solchen Situation aber nagte es an ihm. Wollte der Silberne einfach nur stark sein, keine Sorgen und Ängste teilen, oder war Draecon wirklich so unbedeutend, dass der Älteste kein Problem damit hatte, ihn von seinen Dienste  zu befreien? 

Der Elf wusste es nicht, versuchte nur krampfhaft seine Fassade der Gleichgültigkeit aufrecht zu erhalten und schüttelte den Kopf. „Nein, ich schwor einst, Euch bis ans Ende der Welt zu folgen. Außer Euch habe ich niemanden, ich werde Euch beschützen, solange mein Herz noch schlägt", antwortete er. Ein kleines Lächeln lag um den Lippen des Drachen. Väterlicher Stolz lag in seinem Blick.

Augenblicklich schwand Draecons Misstrauen dahin und wieder schmolz sein Herz, bei der mächtigen Präsenz des Drachen, die nur ihm galt. 

„Ich schätze Euer Angebot, Meister Draecon. Dennoch solltet Ihr wissen, dass ihr jederzeit gehen könnt. Ich beanspruche Euren Dienst als Assassinen nicht länger doch bin ich erfreut, wenn Ihr mich als Freund auf eine Reise mit ungewissem Ausgang begleiten würdet."

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now