XXXI

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Ungeduldig stieg Draecon die schmalen Sprossen hinauf, Hevnir noch immer fest im Griff. Dessen Proteste schienen so laut zu sein, dass bald schon jeder Kobold, der sich gerade hier unten aufhielt, ihn hören könnte.

Der Assassine fluchte stumm, hielt dann aber inne, als er ans Ende der Sprossen ankam. Auch Hevnirs Flüche wurden leiser, bis er irgendwann ganz damit aufhörte.

Draecon stemmte seine Hand gegen den Deckel, der nun kaum einen halben Schritt über ihm war, und drückte vorsichtig dagegen. Spielend leicht öffnete sich die Luke und helles Tageslicht blendete sie.

Der Assassine kniff die Augen zusammen. Jetzt musste es schnell gehen!

Er stützte sich auf den Asphalt und hob sich aus dem Schacht. Ein kurzer Blick, der ihm seine Lage beschrieb, verriet ihm, dass Hevnir nicht gelogen hatte: ein Haus mit roten Ziegelsteinwänden erhob sich unmittelbar vor ihm bedrohlich in den Himmel. Allerdings waren etwa eine Handvoll Kentauren auf der Straße, von denen ihn eine Frau gesehen hatte. Noch als sich ihre Augen weiteten, sprintete Draecon auf das Haus Hendricks zu, den zappelnden Hevnir genervt von sich gestreckt.

Der Elf rüttelte mit seiner freien Hand an den Gitterstäben und rief laut nach Hendrick. Hinter dem schwarzen Metallzaun erhoben sich Dutzende tropische Pflanzen, die den Assassinen an Regenwälder erinnerten. Lianen schlangen sich um zerfallene Säulen, Efeu kletterte die dunkle Hauswand empor. Gut verputzte Fenster stachen hell hervor und vor dem Haus plätscherte fröhlich ein Springbrunnen.

„Wer seid Ihr?", fragte ein Kentaur mit einem irritierten Blick auf Hevnir. Erleichtert blickte Draecon ihn durch den Zaun hinweg an. „Man nennt mich Draecon. Ich muss mit Freya reden, sofort!"

Gehetzt blickte er einmal über die Schulter, die Kentaurenfrau war neugierig näher gekommen, aber immer noch zögernd. Ihren Wäschekorb hielt sie gleich einer Waffe vor die Brust.

Der Wachtposten blinzelte den Elfen ungläubig an, nickte dann aber verständnisvoll, wobei sein graues Haar kurz auf seinen Schultern hüpfte. Er öffnete das Tor und ließ den Assassinen eintreten.

Weitere Pferdemänner näherten sich ihnen und umzingelten Draecon, schnitten ihm jeden Weg zur Flucht ab. „Ihr fragt also nach einem Treffen mit Freya?", fragte der grauhaarige Kentaur. Zwei seiner Männer näherten sich dem Elfen und nahmen ihm seine Waffen ab. Die Messer an seinen Unterarmen, die versteckten Klingen in seinen Stiefeln. Auch die Giftnadeln an seinem Gürtel und die dort vorhandene Klinge des Silbernen. Nur schwer brachte der Elf es über sich, sie in den Händen eines Fremden zu sehen.

Er nickte zögernd. „Es tut mir Leid, Draecon, aber da werdet Ihr Euch gedulden müssen. Dürfte ich fragen, wen Ihr mitgebracht...?", der Kentaur wurde von einer glockenhellen Stimme unterbrochen, die Draecon schon fast zu vergessen geglaubt hatte: „Nein nein, lasst ihn zu mir kommen. Er muss weit gereist sein, nicht wahr, Draecon?"

Sein Blick wanderte von einem Kentauren zum nächsten, bis er schließlich das Gesicht fand, nach dem er gesucht hatte.

„Meisterin Feya", sagte er sanft und verneigte sich standesgemäß vor ihr. Die Elfe kam auf ihn zu. „Nicht mehr Meisterin, nein. Ich fragte den Silbernen, ob ich mich von der Schule lösen könne und er tat mir diesen Gefallen. Wen hast du mit dir gebracht?", entgegnete sie und ihr Blick glitt zu Hevnir, der sich langsam wieder aus seiner Starre löste.

„Er war nur ein Hilfsmittel, um hierher zu kommen", antwortete Draecon und wandte sich an den grauhaarigen Kentaur. „Währt Ihr so freundlich und würdet ihn nehmen? Macht mit ihm was Ihr wollt, aber stellt auf jeden Fall sicher, dass er seine Zunge zügelt", befahl er dem Pferdemann. Nach einem kurzen Zögern nickte er und nahm Hevnir ab. Dieser begann zu schreien. „Nein, lass mich nicht allein! Die werden mich töten, Draecon, hörst du! Lass mich in Ruhe, du stinkendes Pferdegeschöpf!", schrie er aufgebracht, aber der Kentaur ignorierte ihn geflissentlich und entfernte sich mit Hevnir.

Auf einen Wink von Freya lösten sich auch die übrig gebliebenen Pferdemänner auf. Draecons ehemalige Lehrmeisterin führte ihn ins Haus.

„Was schlägt dich hierher?", begann sie, während sie ihn zielsicher durch das große Anwesen führte. Es ging durch einen großen Empfangssaal mit weinroten Sesseln weiter durch einen Flur. Zwei Treppen ging es hinab, bis Draecon und Freya in einen weitläufigen Kellerraum kamen.

Der Schein eines Kaminfeuers flackerte über die Zeigelsteinwände. Bücherregale erhoben sich an ihnen bis zur Decke und füllten den gesamten Raum aus. Durch einige Gänge schritten sie auf einige Stühle und Sessel zu, sie alle von unterschiedlicher Farbe. Fast ein Dutzend fand sich dort zusammen.

Im Zwielicht meinte Draecon ständig umherhuschende Gestalten zu erkennen doch als er sich auf sie konzentrierte, verschwanden sie wieder schnell aus seinem Sichtfeld.

„Lass dich durch sie nicht stören. Sie alle sind treue Kobolde, die sich um meine Bücher kümmern", sagte Freya leichthin und ließ sich auf einem cremefarbenen Sessel nieder.

Draecon nahm neben ihr Platz und betrachtete sie. Sie hatte sich kaum verändert. Das weißliche Haar hatte sie zu einem unordentlichen Zopf geknotet, ihr schmales Gesicht beherrschten noch immr die beiden tiefblauen Augen. Die vollen Lippen ließen Draecon zurück an vergangene Zeiten denken, in denen sie eine gemeinsame Affäre gehabt hatten. Sie beide hatten aber schnell gemerkt, dass es eher das Verlangen als die wahre Liebe gewesen war.

„Warum bist du hier?", frage Freya und ihre Augen musterten ihn forschend. Draecon senkte den Kopf. „Der Silberne ist gestürzt worden", flüsterte er, noch immer suchten ihn Schuldgefühle deswegen heim.

„Wie?"

Es war nur ein einziges Wort, eine Frage, aber Draecon brauchte mehrere Herzschläge, um die richtigen Worte zu finden.

„Ich wurde entdeckt, als ich eine Mission erfüllen musste. Ich habe gegen die höchste aller Regeln verstoßen und somit den sofortigen Entzug der Macht meines Gebieters besiegelt."

Freyas Augen weiteten sich. Ihre Maske, die früher stets ihr Gesicht beherrscht hatte, hatte sie nach all den vergangenen Jahren abgelegt. Jetzt spiegelten sich dutzende Gefühle in ihm: Unglaube, Schadenfreude, Verachtung, Trauer, Hoffnung.

Eine Weile suchte sie nach der passenden Antwort, schüttelte dann aber nur den Kopf. „Das ist nicht der Grund, weshalb du gekommen bist, Draecon", stellte sie dann nüchtern fest und der Elf hob den Kopf.

„Nein", antwortete er und blickte sie direkt an. „Ich brauche deine Hilfe. Kennst du dich mit den Giften von Xofori aus?"

Breath Of Death - Silbernes LodernWhere stories live. Discover now