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Es hatte nicht so lange gedauert, neunundneunzig tote Elfen zu finden, wie die Flammende gedacht hatte. Eher im Gegenteil: wenn sie die Dienende rief, dann musste sie Acht geben, dass das Wesen aus der Anderswelt wirklich den nur genannten Preis nahm und nicht noch mehr.

Denn mit den Monaten, in denen die beiden bereits mit einander und füreinander arbeiteten, hatten sie herausgefunden, dass es andere Möglichkeiten gab, an die Magie der Toten zu gelangen, als sie ständig in die Wüste zu bringen.

Anfangs hatte die Flammende es nicht besser gewusst und jedes verdammte Mal ihr Opfer den weiten Weg bis hin zur Wüste gebracht. Als die Preise der Dienenden dann aber immer dreister wurden, hatte die Rote eine Alternative gefunden: stellte sie eine starke Verbindung zwischen den toten Elfen und dem Magienetz Nyrathurs her, hatte die Dienende die Chance, über besagtes Netz ihre Nahrung zu zehren.

Es hatte nicht lange gedauert, bis die Flammende verstanden hatte, wie Nyrathur und die Anderswelt zusammen hingen. Die Magie verband die beiden Welten unzertrennlich miteinander.

Die Dienende hatte durch ihr Amt die Chance, Nyrathurs Magie in ihre Welt zu leiten, ihre Kreaturen damit zu speisen und im Gegenzug wieder die Magie, die in der Anderswelt herrschte, auf Nyrathur zu übertragen.

Wie genau sie das aber machte, wusste die Flammende nicht.

Generell wusste sie noch vergleichsweise wenig über die Anderswelt selbst, über die Geschöpfe, die dort lebten, und über die Macht, die sie sich möglicherweise zunutze machen konnte.

Die Drachenkaiserin warf den letzten Leichnam eines Elfen auf den Berg mit bereits achtundneunzig anderen Leichen. Der Mann war hübsch gewesen, ein markantes Gesicht mit tiefblauen Augen und dunklen Haaren. Es war eine Gestalt, wie der Purpurne sie manchmal bevorzugte.

An ihn zu denken stimmte die Flammende weder traurig noch wütend. Ihr friedlicher Bruder war ihr recht egal, genauso wie das, was aus ihm geworden war.

Die rote Drachin schloss ihre brennenden Augen und konzentrierte sich auf das Magienetz von Nyrathur. Sah die leuchtenden, pulsierenden Linien vor sich, als sie immer wieder leichte Impulse Richtung Ende des Netzes schickte.

Wie kleine Flämmchen leuchteten ihre Signale, wanderten über das bereits existierende Feld und sammelten sich wahrscheinlich in genau diesem Moment an dem schwarzen Abgrund, der in der Toten Wüste lag.

Die Flammende lockte, rief nach der Anderswelt und es dauerte nicht lange, da antwortete sie ihr. Ein schmerzhaftes Reißen in ihr zeigte der Roten, dass die Dienende ihre Signale sehr wohl gedeutet hatte.

Ihre Zauber so zu kontrollieren, hatte selbst der Roten eine lange Zeit guten Trainings gekostet. Lange hatte sie gebraucht, bis sie ihr Können in Perfektion verwandelt hatte.

Die Himmelsschlange spürte, wie die Magie der Anderswelt mit der Magie Nyrathurs kämpfte. Zwar hatten sie beide denselben Ursprung, verhielten sich dennoch aber wie Licht und Schatten.

Das eine fraß das andere und doch konnten beide ohne einander nicht existieren.

Die Rote schickte die Magie der toten Elfen in die Richtung der Dienenden und bemerkte durch ein helles Aufblitzen des Magiestrangs, dass ihr Zauber gewirkt hatte.

Sofort riss sich die Drachenkaiserin von dem Magienetz los und öffnete wieder ihre Augen. Wie immer war sie jetzt seltsam müde und erschöpft, beinahe schwach. Trotz ihrer hohen Position war sie ausgelaugt.

Ihr Blick heftete sich auf den Leichenberg. Die Elfen hatten auf den ersten Blick keine großartige Veränderung durchlebt.

Bei genauerem Betrachten erkannte man aber ihre merkwürdigen, noch eingefallenen Gesichter, die noch ausgemergelter waren als die von gewöhnlichen Toten.

Die Wangen waren kaum noch erhalten, nur der Wangenknochen blitzte unter der an Papier erinnernden Haut hervor. Die Augen groß und der Mund schlaff hingen sie da übereinander und hatten den letzten Funken Leben in sich verloren.

Die Flammende holte Luft und steckte den Haufen in Brand. Obwohl nur ein geschultes Auge die unnatürlichen Umstände der Toten erkennen würde, war es besser, auf Nummer sicher zu gehen.

Mit ihren Flammen im Rücken breitete die Drachin ihre Schwingen aus, um Yascaena endgültig hinter sich zu lassen.

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Der Purpurne starrte in sein Glas. Das süffige, geschmackslose Bier in ihm schmeckte noch schlechter als gedacht, der trockene Laib Brot dazu war auch kein wirklicher Genuss. Im Hintergrund vernahm er das Spielen einer schrecklichen Melodie, irgendjemand hielt sich wohl für besonders musikalisch und ließ mit seinen Geigentönen die Luft erzittern.

Aber selbst wenn die Musik besser gewesen wäre... Der Purpurne würde nicht mehr so ausgelassen zuhören können, wie er es früher getan hätte.

Das Schicksal Nyrathurs ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er war eine Himmelsschlange, ein Geschöpf, das es zur Aufgabe hatte, die Welt zu leiten. Das es zur Aufgabe hatte, sein Volk zu schützen.

Seit der Silberne von der Flammenden gestürzt worden war, war dieser Schutz weg. Die Zukunft der Welt, die sie alle so liebten, lag nun in der Hand einer tollwütigen Bestie, die er Schwester nennen durfte.

Die Blaue hatte ihm gesagt, er solle untertauchen.

Also hatte er das getan.

War als Elf durch die Straßen eines kleinen Dorfes gewandert, gab sich als gestrandeter Marktverkäufer aus und verkaufte jeden Tag Obst von der nahen Wiese.

Abends ging er in Schenken, spielte Karten mit irgendwelchen unbeschwerten Elfen und lachte und tat, als gäbe es nichts Schreckliches auf dieser Welt.

Bis sein Leben ihn wieder eingeholt hatte.

Als die Kunde vom brennenden Yascaena auch hier angekommen war, hatte er sich gefühlt wie ein Verräter. Ein verdammter, ängstlicher Mistkerl, der die Augen schloss und die Wahrheit nicht erkennen wollte.

Die Musik hatte von jetzt auf gleich aufgehört zu spielen und statt Balladen und Gedichten spukten in seinem Kopf nur noch die traurigen, wütenden Hörner zur Kriegserklärung.

Und er wurde sie nicht los.

Mit einem letzten Schluck trank der Purpurne das Bier aus und steckte sich das Brot in eine seiner Manteltaschen.

Seine Zeit zu warten war vorüber.

Sein Entschluss stand fest.

Sein Untergang würde die Flammende sein. Er würde sich gegen sie auflehnen, das Volk von Nyrathur gegen sie auflehnen und bis in den Tod gegen sie sein.


Breath Of Death - Silbernes LodernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt