XXXV

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„Draecon", eine sanfte Frauenstimme weckte den Elfen aus seinem Schlaf. Der Assassine schreckte hoch und noch ehe er beide Augen offen hatte, war seine Hand zu dem gewohnten Platz seines Messers gewandert. Als er aber keinen lederumwickelten Griff zu spüren bekam, fiel ihm wieder ein, dass man ihm seine Waffen abgenommen hatte.

„Ich habe etwas gefunden", fuhr die Elfe strahlend fort, wobei sie Draecons misslungenes Messerziehen ungeachtet ließ. Draecon schüttelte kurz den Kopf, dann beugte er sich über das aufgeschlagene Buch.

„Wie viel Uhr ist es?", fragte er, während er die Zeilen überflog. Kobolde um Kobolde mit Verbindungen zu Xofori und den Kentauren waren auf der Doppelseite niedergeschrieben.

„Du bist schon zwei Tage hier. Gestern morgen bist du eingeschlafen und dann für einen ganzen Tag nicht aufgewacht. Es ist inzwischen Mittag", erwiderte Freya mit einem Blick zu der Sanduhr auf der Mitte des Tisches.

Draecon nickte dankend, verharrte dann aber, als seine Augen zu einem aufgeschlagenen Buch glitten.

Freya folgte seinem Blick und lächelte. „Ich bin auf etwas gestoßen, das uns weiterhelfen könnte", sagte die Elfe, erhob sich und setzte sich neben Draecon. Sie drehte das Buch um und blätterte zwei Seiten zurück.

„Hier", erklärte sie und deutete auf eine Karte, „sind Standorte eingezeichnet. Plätze, an denen bestimmte Giftsorten und Pflanzen geerntet werden."

Ihr Finger glitt langsam über das grob skizzierte Land. Draecon entwich ein triumphierendes Knurren, als auch er die kleinen Buchstaben entzifferte, die die Wörter ‚Todesreich - Draithplantage' bildeten.

„Kann ich die Karte haben?", fragte er und stand auf. Auf ein Nicken von seiner einstigen Lehrmeisterin riss er kurzerhand die Doppelseite aus dem gebundenen Buch. Endlich wusste er, wo er suchen musste. Xofori war ein kleiner Kontinent, so unerforscht, dass es angeblich kaum Karten darüber gab. Jeder tapfere Seemann, der sein Schiff schon einmal auf dieses Land gelenkt hatte, war nie zurückgekehrt. Die Riffe seien die Gefahr, so lauteten die Vermutungen von weisen und erfahrenen Seemännern.

Dass Freya aber eine Karte über Xofori besaß, grenzte an ein Wunder. Draecon wollte sich nicht ausmalen, wie die Elfe daran gelangt war.

Ein Lächeln machte sich auf Freyas Gesicht breit. „Du solltest jetzt aufbrechen. Wozu noch Zeit verschwenden?", fragte sie und drückte Draecon seine Messer in die Hand. Erleichtert strich der Assassine über die schwarz glänzende Waffe, die ihn mit dem Silbernen verband. Die ihn als seinen Mann auszeichnete, als seine Klinge.

Freya erhob sich und Draecon folgte ihr durch weitere Regale, die Karte fest in der Hand.

„Willst du deinen missmutigen Kobold wieder mitnehmen?", fragte sie über die Schulter und er knurrte schlecht gelaunt. „Nein danke, den hatte ich schon lange genug am Hals", erwiderte er und zog gereizt die Augenbrauen zusammen.

Freya zuckte mit den Schultern. „Vielleicht sollten wir... ein paar Änderungen an dir vornehmen. Ich lebe zwar unter der Erde, aber auch ich habe mitbekommen, dass du unter Nyrathur nun fast so berühmt bist wie ein bunter Hund", stellte sie nüchtern fest. Langsam kam sie auf ihn zu und wies ihn mit einer Handbewegung an, sich niederzuknien.

Nur sehr zögernd kam Draecon dieser Bitte nach. „Es wird nicht für immer sein, nur für ein paar Tage. Du musst dich also beeilen", drängte sie, legte ihre Hände an seinen Kopf und schloss die Augen.

Ihm war nicht wirklich wohl dabei, aber auch er schloss nach einer Weile die Augen und wartete. Plötzlich begann sich ein unangenehmes Reißen in seinem Körper auszubreiten. Draecon unterdrückte den Impuls zu schreien. Es fühlte sich an, als würde ihm jemand seine Haut in Streifen von den Knochen ziehen und sie nur halbherzig wieder drankleben, seine Knochen schienen sich mehrmals zu brechen und schlecht wieder zusammenzuwachsen, er spürte wie sich seine Muskelstränge verzogen.

Irgendwann hielt der Elf es nicht länger aus und gab ein Keuchen von sich, er wankte und fiel zu Boden. Freyas Hände, die ihn angestrengt aufrecht halten wollten, spürte er kaum noch, zu stark waren die Schmerzen.

Als sich sein Atem nach langen Minuten endlich wieder beruhigt hatte, öffnete er zögernd die Augen.

Etwas stimmte nicht. Alles sah merkwürdig groß aus, riesig, um es genauer zu beschreiben. Der Assassine führte seine Hand vor die Augen und verzog das Gesicht. Braune Haut. Braune, faltige Haut.

Er musste den Kopf in den Nacken legen, um Freya erkennen zu können.

„Was hast du mit mir gemacht?", knurrte er und sah an sich herab. Ein weißes, verschmutztes Tuch um seine Hüften war seine einzige Kleidung. Und er stank! Bei den Göttern, wie Draecon stank. Hass flammte in ihm auf. Warum hatte Freya ihm das angetan?

„Ich dachte mir, ein Kobold sei unauffälliger als ein Elf", entgegnete seine frühere Lehrmeisterin und ein Grollen drang aus Draecons winziger Kehle. Er hasste alles an sich! Sein Gestank, sein Aussehen, seine Größe, seine Stimme.

Ehe er etwas erwidern konnte, wechselte Freya das Thema. Nicht ganz so unklug, aber wenn Draecon wieder er selbst war, dann würde sie für das leiden, was sie ihm angetan hatte.

„Ich besitze einige Drachenpfade hier unten. Sie funktionieren wie die, die die Himmelsschlangen nutzen, wenn sie plötzlich verschwinden. In den vielen Jahren meines Aufenthaltes hier habe ich viel über sie in Erkenntnis gebracht und habe einige Portale zu den größten Orten Nyrathurs erschaffen. 

Dieses da führt zu dem Hafen in Merilvor, von dort aus kannst du nach Dreniul suchen, er ist ein alter Bekannter. Ich wünsche dir gutes Gelingen, Draecon", ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. Alles in ihm schrie danach, sich augenblicklich wieder verwandeln zu lassen, aber Draecon schwieg. Eben erst hatte Freya ihm wieder die wichtigste Lektion vor Augen geführt.

Traue niemandem.

Breath Of Death - Silbernes LodernOnde as histórias ganham vida. Descobre agora