Kapitel 10

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Es war stockdunkel, als ich meine Augen öffnete. Das grelle Licht meines Handys war auch sehr unangenehm, als ich darauf schaute. Warum wachte ich um diese Uhrzeit auf? 03:25 Uhr.
Aber irgendetwas schmerzte. Irgendetwas war im Moment unerträglich.

Es dauerte nur Binnen von Sekunden, bis ich wusste was es war.
Ich hatte einen schrecklichen, unausstehlichen und schmerzenden Hunger.
Mein ganzer Magen zog sich schmerzhaft zusammen und ich war gezwungen mich aufzusetzen.

Alles gut, Elena. Ich musste stark bleiben.
Aber ich wusste, dass im Kühlschrank ein leckerer Tiramisu war.
Mama hatte ihn gestern gemacht und es ist viel übrig gewesen, da ich ja nichts aß.

Beziehungsweise hat sie mir extra was gelassen, weil ich "lernen" musste, als sie Kaffee tranken und aßen.
Ich stand auf und wollte sehnsüchtig diesen leckeren Tiramisu.

Aber das würde meiner Figur nicht gut tun! Der ganze Zucker, die Schokolade und Sahne.
Trotzdem konnte ich mich nicht halten runter zur Küche zu gehen.

Ich ließ das Licht bei den Treppen und im Flur aus.
Keiner sollte mich bemerken.
Aber das war meine kleinste Sorge.
Ich befürchtete was jetzt passieren würde.

Ich esse es, sagte ich mir bei einem Schritt. Beim nächsten Schritt sagte ich mir, nein, ich tue es nicht.
Ich esse es.
Ich esse es nicht.
Ich esse es.
Ich esse es nicht.

Das ging so lange bis ich am Kühlschrank angekommen bin, ihn geöffnet habe und gleich in der viereckigen Backform den leckeren Tiramisu sah.

Ich esse es nicht, war meine letzte Entscheidung.
Aber jetzt bin ich den ganzen Weg hierher gekommen und hatte das in meiner Hand.
Diesmal esse ich.
Einmal darf ich mir doch gönnen, das würde mein Körper nicht merken.
Ich ging an den Tisch und schaufelte buchstäblich alles in mir hinein. Es tat gut, aber gleichzeitig war es auch schrecklich.
Mein Magen war am Ende voll, aber zu voll.
Mir war schlecht, da ich schon sehr lange nichts mehr Fettreiches aß, in letzter Zeit habe ich nur Gurken und Äpfel gegessen.

Ich stand auf und ging wieder in mein Zimmer.
Dabei fühlte ich mich elend. Physisch und psychisch.
Wie der größte Versager auf Erden.
Mein Magen war voll, das erste mal seit langer Zeit, aber mir war trotzdem schlecht.

Ich merkte, dass sich in meinen Augen Tränen bildeten.
Wie konnte ich sowas tun?!
Hätte ich doch nur irgendetwas anderes gegessen!

Ich eilte ins Bad, bevor irgendetwas verdaut werden konnte und führte meinen Zeigefinger in den Gaumen.
Ich kotzte drei mal, bis wirklich alles draußen war.
Dann fühlte ich mich erleichtert und befreit. Bevor ich wieder schlafen ging, putzte ich mir gründlich die Zähne.

Ich fing an, das Wochenende zu hassen. Samstags und Sonntags waren wir meist alle zu Hause und aßen immer viel gemeinsam. Beim Frühstücken. Und dann auch beim Mittagessen.

Man konnte nicht sagen, nein danke, ich möchte nicht. Oder ich habe draußen gegessen. Man musste mindestens am Esstisch sitzen.
Sowie gerade beim Frühstücken.
Ich knabberte an meinem Knäckebrot während die anderen alle reichlich ihr Brot schmierten.

Mama und Papa unterhielten sich im Moment über irgendetwas was gerade in den Nachrichten aktuell war, ich hörte nicht ganz zu. Sie diskutierten richtig.
Caro diskutierte nicht mit. Sie schaute mich, wie in letzter Zeit sehr oft, skeptisch und prüfend an.

"Wie viel hast du denn schon abgenommen?", fragte sie in einem erstaunlich neutralen Tonfall. Eigentlich rechnete ich mit etwas Gemeinem.
"Nicht viel.", antwortete ich ehrlich.
"Isst du immer noch nichts?", fragte Papa in meine Richtung.

"Doch, tue ich.", war meine Antwort.

Warum störte das alle? Ich war übergewichtig und dann sollte es doch Furz egal sein, ob ich hunger' oder nicht! Sogar im Gegenteil- sie sollten mal stolz sein!
Denn ich war kein schöner Anblick. Ich 'verhässlichte' doch diese Familie. Dieses Gefühl hat man mir doch bisher immer gegeben. Und bald wird das nicht der Fall sein.
Ich stand mitten beim Frühstück auf- ein absolutes No- Go bei Mama, und ging in mein Zimmer.

"Elena, komm sofort zurück!", ermahnte Mama mich in einem Ton, auf den ich besser hören sollte. Aber das war mir egal. Ich ging.

Seit dem ich abnehme, verbrachte ich viel Zeit alleine in meinem Zimmer. Dann versuchte ich mit unterschiedlichen Methoden mich zu beschäftigen. Aber auf Dauer war dies nicht möglich.
Mein Zimmer war schon sauber, meine Hausaufgaben gemacht, die Lehrer einigten sich alle dazu, dass es keine Test in den kommenden Tagen geben würde und ich hatte kaum Freunde mit denen ich etwas unternehmen könnte.
Naja ich hatte Lisa, und sie würde sich bereit erklären, aber irgendwie hatte ich keine Lust.

Auch seit dem ich abnehme. Ich habe keine Lust auf ein Treffen, weil wir immer draußen essen.
Ohne Kalorien zu zählen.
Wie abartig.

Jedenfalls fand ich keine Beschäftigung.
Also setzte ich mich auf meinem Sofa, dieser den perfekten Ausblick zu Jonas (zurzeit leeren) Zimmer hatte. Er musste wohl mit Freunden unterwegs sein.
Ich ertappte mich dabei, wie ich wieder in meinen Gedanken mit Jonas versank und lächelte.
Als würde er mich anlächeln und ich zurück.

Als würde ich dünn und schön sein.

Federleicht Where stories live. Discover now