Kapitel 63

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"Okay ich muss in der nächsten Haltestelle aussteigen.", sagte Amanda, als die Computerstimme, die nächste Bushaltestelle ankündigte.

"Alles klar. Wo treffen wir uns? Wie kann ich wissen wo du bist? Und wie viel Uhr?"

Amanda lächelte mich nur an. "Ich hab dir doch gesagt ich habe alles geplant. Hier bitte." Sie kramte aus ihrer Tasche ein Handy raus. "Wir bleiben in Kontakt."

"Ich frage jetzt nicht, wie du daran gekommen bist und von wem das ist.", sagte ich, nahm es dann entgegen.
"Ich gehöre zu den Patienten die schon am längsten dort sind. Ich habe Insider Informationen. Meine Nummer ist eingespeichert. Okay bis dann.", sagte sie lächelnd. Dann erstarb ihr Lächeln und sie schaute mich ernst an.

"Elena, jetzt ernsthaft." sie schaute mir straight in die Augen und wirkte sehr ernst. „Ich finde du solltest zunehmen und dein Leben leben. Das wollte ich dir schon immer sagen. Es ist nicht wert die ganze Zeit abzunehmen, zu kotzen, Kalorien zu zählen. Verbring nicht die ganze Jugend in dieser Klinik, wie ich es getan hab." ich schaute sie verblüfft an und war überrascht, dass sie mir das sagte. Amanda beziehungsweise Federleicht1 war eine überzeugte ProAna, die für ihr Leben abnahm. Das was sie sagte, war ihr überhaupt nicht gleich.
„Tschüss Elena.", sagte sie und drückte meine Hand.
Dann blieb der Bus stehen, die Türen gingen auf, sie stieg aus und mehrere Leute stiegen danach ein. Und ich grübelte die restliche Fahrt darüber, was sie mir sagte.

*

Je näher ich nach Hause kam, desto unbehaglich fühlte ich mich. Es war schon ein komisches Gefühl in der Heimstadt zu sein, einpaar bekannte Gesichter und die bekannte Umgebung zu sehen.
Irgendwie war es heimisch.
Ich ging nach Hause und mich rührte es fast zu Tränen vor der Haustüre zu stehen und zu klingeln.

'Hallo Mama, bitte erschreck dich nicht', würde ich als erstes sagen.
Oder doch lieber 'Mama ich will raus aus der Klinik, die behandeln mich schrecklich!'?

Aber bisher ergab sich nicht die Chance, weil keiner die Tür öffnete. Ich klingelte nun ununterbrochen und wartete noch weitere fünf Minuten, aber keiner öffnete die Tür.
Oh nein.
Schlimmer konnte es doch nicht werden.
Der ganze Plan ging gerade in die Hose, ich hätte gar nicht ausbrechen müssen. Meine Mutter war gar nicht da! In der Klinik würde man mir wieder alle Kommunikationsmittel wegnehmen und ich konnte ihr nicht mitteilen, wie schrecklich es mir dort ging. Ich zitterte vor Aufregung und wollte am liebsten heulen, doch dann hörte ich jemanden auf mich zu kommen.

"Ginger?"
Es war Jo as. Gott sei dank, es war Jonas. Er war in Begriff gewesen loszufahren, er hatte seinen Helm an und befreite sein Motorrad von dem Schloss, bis er mich gesehen hat.
Ich lief zu ihm, regelrecht in seine Arme und fing an tief zu schluchzen.
Warum wusste ich nicht, aber im Moment musste einfach alles raus.

Dass was Amanda mir alles erzählte, dass ich ausgebrochen bin, dass ich immer noch Schmerzen hatte, dass Mama nicht hier war und dass alles umsonst war.
Ich war geliefert, mein Plan würde nicht funktionieren.
Und dann erwartete mich der Spaß wieder in der Klinik.
Sie würden mich noch mehr hassen.
Viel mehr.
"Ginger, warum bist du hier? Was ist passiert? Und deine Arme sind voller blauer Flecken." Ich war nicht in der Lage ihm alle Fragen zu beantworten, aber es war äußerst tröstlich ihn zu umarmen.
Er nahm seinen Helm ab und führte mich ins Haus.

"Möchtest du ein Pfefferminztee?", fragte er. Ich nickte nur während ich mich wieder beruhigte.
Jonas war so aufmerksam, Pfefferminze war mein absoluter Lieblingstee.
Dann setzte er sich zu mir und gab mir den Tee. Das erste was ich tat, war, meine eiskalten Finger um die Tasse zu umschließen damit sie sich etwas erwärmten.

"Wo ist meine Mutter?", fragte ich niedergeschlagen.

"Sie ist für ein Paar Tage zu deinen Großeltern gegangen, hat sie mir gesagt. Meine Mutter soll zwischendurch bei euch Blumen gießen und nach den Rechten gucken, deswegen weiß ich das."

Ich seufzte. Schlimmer konnte es kaum werden. Das heißt meine Mutter würde gar nichts mitbekommen.

"Gut jetzt bin ich dran. Wie bist du hier gekommen?"

"Ich... ich bin abgehauen."

Er schwieg. "Bitte was...? Wieso? Und wie?"

"Heute hätten sie mir durch eine Schnur in meiner Nase essen durchgeführt.", sagte ich ihm und starrte dabei auf die Tasse und meine dünnen, knochigen Finger.

"Was zum... wie unmenschlich!", sagte Jonas.

"Das wird auch an Tieren gemacht."

"Und deswegen bist du abgehauen?"

"Ich hatte Angst. Und ich wollte Mama davon überreden mich da rauszuholen und in eine andere Klinik zu bringen."

"... Behandeln die dich schlecht?", fragte Jonas besorgt und hielt meine Hand fest.

Ich nickte. "Ja. Ich habe ein Fehler gemacht und seitdem werde ich... sehr schlecht behandelt. Mir kommt es wie eine Strafe vor, dass ich durch die Nase gefüttert werde."

"Oh Gott.", sagte Jonas und seufzte. Dann nahm er beide Hände. "Sie können dich doch nicht zwingen das zu tun."

"Doch. Das ist eine Maßnahme und Mama hat allen Maßnahmen, mit dem Ziel, dass ich mehr wiege, zugestimmt. Sie dürfen das also machen."

Jonas schaute mich eine kurze Zeit lang nur an. Dann kam er näher und umschloss die Arme um mich.
„Du rufst auf der Stelle deine Mutter an.", sagte Jonas und gab mir sein Handy. Es klingelte und klingelte, doch natürlich hatte ich so viel Glück, dass meine Mutter nicht ans Handy gegangen ist.

"Ich werde mit deiner Mutter reden.", versprach Jonas mir dann, als erneut die Mailbox ranging.

"Was ist mit deinem Vater?"

Ich seufzte. Jetzt bereute ich, dass ich so wenig Kontakt zu ihm hatte. Ich hatte weder seine Nummer, noch wusste ich wo er und seine Freundin lebten.
Na toll.

Ich hatte gar nichts.

"Und jetzt?", fragte Jonas.

"Sie werden bemerken, dass zwei ihrer Patienten fehlen und werden uns suchen."

"Gibt es wirklich nichts was wir tun können?"

"Nein." Ich schaute ihn an. Wenigstens war ich bei ihm. Wäre ja noch die Kirsche auf der Torte gewesen, wenn ich draußen warten müsste.

"Können wir in dein Zimmer?", fragte ich.
Für eine kurze Zeit wollte ich so tun als wäre alles beim Alten.
Ich wäre nicht in einer Klinik und würde nicht abnehmen.
Ich würde einfach nur Zeit mit meinem Freund verbringen.

Der schöne Moment war viel zu schnell vorbei. Es überraschte mich nicht, dass ich Polizeisirenen hörte, die erstmal bei uns vor der Tür standen, dann auch hier klopften.

"Befindet sich ein Gewissen Mädchen namens Elena Schmidt hier? Ca. 1,70m, rotes, lockiges Haar, sehr dünn", fragte der Polizei Beamter.

"Ja ich bin hier.", sagte ich hinter Jonas. Kurz bevor ich gehen musste, umarmte ich Jonas innig und folgte dem Beamten.
Wenigstens hatte ich eine schöne Zeit mit Jonas.
Wenigstens das.

Federleicht Where stories live. Discover now