Kapitel 60

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Es war untertrieben, als ich dachte die Mitarbeiter könnten mich nicht leiden. Ich hatte das Gefühl sie hassten mich sogar. Einmal ging ich einen Korridor entlang und hörte zwei Schwestern beim Reden zu. Sie waren zutiefst erschüttert und fühlten sich hintergangen; das was ich getan hatte, war das Schlimmste, was sie hier je erlebt hatten. Naja bis auf die Angelegenheit mit Andrea natürlich. Nichts würde dieses Geschehnis toppen.
Ich fragte mich dann, wer Andrea war?
Bestimmt das Mädchen von dem Sophia mir erzählt hat, welches abgehauen und daraufhin, aufgrund ihres geringen Gewichts, gestorben ist.
Aber das war jetzt egal, ich musste mich auf hier und jetzt konzentrieren, denn diese Schwestern warfen mir prüfende und fiese Blicke zu.

Und so ging das weiter.
Wochenlang.
Ich musste essen und wurde von den Schwestern entweder ignoriert oder blöd angeschaut.
Mit Sabrina hatte ich kein weiteres Gespräch, ich durfte keinen Besuch empfangen, nicht rausgehen und kein Handy benutzen.
Ich fragte mich wie lange die noch sauer auf mich bleiben würden und wie lange es braucht, bis sie mich normal behandeln. Aber Hoffnung hatte ich keine, wenn man einmal eine Person abgestempelt hatte, blieb dieser Stempel fest auf der Stirn und keine Seife der Welt könnte helfen den Stempel loszuwerden.

Ich setzte mich zwischen Sophia und Ines und aß mein Frühstück. Jede zwei Sekunden kam eine Schwester vorbei um zu kontrollieren, ob ich auch wirklich aß. Wir konnten uns also kaum richtig unterhalten, noch konnten die anderen ihr Essen loswerden.

"Ich kann auch gehen.", sagte ich in die Runde nach dem die Schwester wieder wegging. Ich wollte nicht, dass sie meinetwegen jetzt auch noch richtig essen mussten.
Unbewusst hoffte ich, dass jemand was mich davon abhalten würde, aber keine sagten was.

"Elena, bist du am essen?", fragte eine Schwester, die gar nicht für mich zuständig war.

"Ja.", antwortete ich.

Sie kam zu mir und bat mich, aufzustehen. "Du versteckst das Essen nicht unter dem Tisch oder Stuhl oder so?", fragte sie.
Oh nein.
Nein, nein, nein.
Wenn sie das jetzt kontrollieren würde, würde sie sehen, dass keiner am Tisch richtig aß und dann wäre es erneut meine Schuld.

Aber die Schwester kontrollierte zum Glück nicht.

"Elena, nimm es mir nicht böse.", sagte Amanda, die eine Spur blasser wurde. Auch sie hatte sich fast vor Angst in die Hose gemacht. "Aber du kannst hier vorerst nicht sitzen bleiben."

Sie hatte recht. Ich riskierte deren Geheimnis und wollte nicht schon wieder der Miese- Peter sein, der alles vermasselt.
Also nahm ich mein Brett und setzte mich an einen anderen Tisch.

Schlimmer könnte der Aufenthalt hier nicht mehr sein.

Nach dem Unterricht sagte Herr Peters, ich solle zu Sabrina gehen, sie wollte mich nämlich sprechen.
Schon mit Unbehagen und schlechtem Gewissen ging ich dort rein.

"Nimm bitte Platz.", sagte sie. Sie war nicht so gut drauf wie immer, aber auch nicht so sauer wie beim letzten Mal.

"Wir haben uns seit dem das alles rausgekommen ist, nicht unterhalten.", sagte sie, worauf ich nur nickte.

"Ich habe dir Zeit gegeben nachzudenken. Und jetzt frage ich dich nochmal. Hat jemand dir den Trick mit der Waage gezeigt oder bist du die Einzige die davon wusste?"

"Nein, keiner hat es mir gesagt." Versuchte ich selbstsicher zu sagen.

"Ich glaube dir immer noch nicht. Und ich habe Grund der Annahme, da es einpaar spezielle Mädchen gibt, mit denen du Kontakt pflegst. Diese Mädchen sind kein guter Einfluss und ich denke dass sie dir den Trick gezeigt haben."

Ich schüttelte den Kopf.

"Okay, Elena." Dann schaute sie mich schon fast flehend an. "Ich muss es wissen. Wenn du soweit bist, kannst du jederzeit zu mir kommen."

Ich nickte.

"Okay, gut. Jetzt wo das geklärt ist, gibt es noch eine andere, unerfreuliche Angelegenheit über die du Bescheid wissen solltest." Sie hielt inne, ganz klar war ihr das unangenehm. "Du musst mir glauben, es hat nichts mit deinem Fehlverhalten, sondern alleine etwas mit deiner Gesundheit zu tun, okay?"

Mein Herz raste schneller, ich war so geschockt und gespannt, was jetzt kommen würde. Denn ich hatte ein ganz fieses Gefühl.

"Von allen Mädchen hier wiegst du am wenigsten. Langsam läuten die Alarmglocken und leuchten rot, denn du isst nicht so viel morgens."

"Ich kann nicht essen.", sagte ich und geriet fast außer Atem. "Sabrina, es ist mega schwer. Ich will ja essen. Ich will das alles wieder gerade biegen, aber ich bin einfach nicht in der Lage normal zu essen." Und dann spürte ich heiße Tränen auf meiner Wange.

"Ich weiß, Schatz." Da war wieder die fürsorgliche und liebe Sabrina, die ich vollkommen vermisst habe. Die Sabrina, der ich alles erzählen konnte und die mir bei all meinen Probleme helfen würde.

"Genau deswegen machen wir uns sorgen. Gestern hatten wir eine Teambesprechung und wir sind zum Entschluss gekommen, dass du unser Sorgenkind bist. Von allen wiegst du am wenigsten und du bist gesundheitlich am labilsten. Deswegen, weil du nicht in der Lage bist zu essen, und es notwendig ist, brauchst du die Sondentherapie."

In mir brach alles zusammen.
Ich fühlte mich wie betäubt und gelähmt, Sabrina vor mir erkannte ich kaum noch, weil meine Augen voller Tränen und mir schwindelig war.
Nein.
Alles aber nicht diese Sonde.
Und dann sah ich nichts mehr, weil mir schwarz vor den Augen wurde.

*

"Elena bist du wach?", hörte ich gedämpft. Ich versuchte angestrengt meine Augen zu öffnen, um herauszufinden wo ich war. Ah. In dem Krankenzimmer der Klinik. Sobald ich meine Augen öffnete, schossen die Kopfschmerzen und mir war schwindelig, obwohl ich auf einem Bett lag.

"Elena was ist passiert?", fragte Amanda mich dann. Amanda war da. Und die anderen Mädchen.
Ich setzte mich auf und tastete nach einem Schlauch an meinem Gesicht, aber es war keiner da. Okay diese Therapie hat noch nicht angefangen.

"Ich kriege morgen diese Sondentherapie." Alle nahmen erschrocken die Luft ein, sogar Amanda die sonst immer so gefasst war.

"Ist es weil die sauer auf dich sind?", fragte Ines.

"Angeblich nicht. Ich habe schlechte Werte und muss schnell Nahrung zu mir nehmen, sagt Sabrina."

"Ich hasse sie.", sagte Amanda mit zusammengebissenen Zähnen. "Ich hasse sie sosehr."

"Ach und da ist noch was.", sagte ich. "Sie weiß, dass ich das mit der Waage nicht alleine war."

"Hast du ihr das gesagt?", fragte Sophia.

"Nein, natürlich nicht. Sie hat aber dazu hingedeutet, dass ihr ein schlechter Einfluss auf mich seid."

"Diese...", murmelte Amanda stinksauer. "Die ist wirklich total schlau. War ja klar, dass die das herauskriegt und sie gibt nicht auf bis sie Namen hat."

"Und was machen wir jetzt?"

"Ich weiß es nicht.", antwortete Amanda. "Diesmal weiß ich es nicht.", sagte sie ehrlich und schaute mich bemitleidend an.

Federleicht Where stories live. Discover now