Kapitel 58

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Nach dem Frühstück- ich habe nur eine Tomate und vier Scheiben Gurken gegessen- setzten Amanda, ihre Freundinnen und ich uns in den Garten. Das erinnerte mich an unsere erste richtige Begegnung, in der ich stur abgewiesen wurde. Und jetzt pflegten wir einen ganz normalen Umgang miteinander. Nicht zu freundlich, dass man meinen könnte es sei Fake, einfach nur ganz normal.
"Ich liebe den Sommer.", sagte Amanda. "Im Herbst hatte ich angefangen abzunehmen und im
Sommer konnte ich es allen zeigen."
Wie war es noch mal bei mir gewesen?
Ich habe am ersten März angefangen abzunehmen und die Fortschritte sah man dann im Herbst, als Julia mich im Einkaufszentrum gesehen und gestaunt hat, wie viel ich abgenommen habe. Da fing das ganze Chaos mit Paul und Julias Maschen an. Ich hätte mich nie auf dieses Mädchen einlassen sollen.

"Und dann habe ich meinen Freund kennengelernt. Wir hatten einen tollen Sommer." Amanda lächelte. Ich hatte das Gefühl sie redete mehr zu sich selbst, als irgendwas richtiges zu erzählen. "Es war der schönste Sommer den ich hatte. Jeden Tag Cocktails, Bikinis, und der Strand." Sie seufzte. "Das werden wir hier nie haben. Wir müssen hier hinter Gittern unseren Sommer verbringen."
"Besser als zu Hause.", meldete sich Ines zu Wort. "Bei meinen Helikoptereltern."

"Und du Elena?", fragte Amanda. "Wo würdest du deinen Sommer am liebsten verbringen?"

"Mit meinem Freund. Egal wo."

Awwww, sagten alle im Chor.
"Warum hast du nicht erwähnt, dass er so gut aussieht?", fragte Amanda dann grinsend.

"Ach ja übrigens, Mädels, mein Freund sieht super gut aus.", sagte ich scherzhaft in die Runde.

Amanda lächelte mich an. "Ich denke mit 'normalen' Körpermaßen würdest du perfekt zu ihm passen. Ihr wärt so ein Beauty- Pärchen, das zusammen trainiert und Proteinshakes trinkt."

"Und so wie ich jetzt aussehe passen wir nicht zueinander?"

"Doch, doch, na klar. Aber ihr wärt einfach ein perfektes und Hingucker Pärchen, wenn du keine Ana wärst."

Sie hatte recht, das wusste ich, aber trotzdem verletzte es mich. Ich denke gerade weil ich wusste, dass sie recht hatte. Es wäre alles so viel schöner, wenn ich normal wäre, dann wäre ich zum einen nicht hier, sondern hätte Freiheit, keine Probleme mit meinem Freund, meiner Mutter, Caro oder meinem Vater und auch gute Noten. Ich würde in die Uni gehen und mich um Partys und Freunde kümmern und nicht übers Abnehmen.
Stattdessen saß ich hier auf der Wiese, mein Poknochen tat schon weh, weil ich zu lange auf den harten Boden saß, und ich saß zwischen anderen magersüchtigen Mädchen.

"Ich hoffe du nimmst das nicht als Beleidigung. Denn der Typ von gestern war in dich verliebt, das konnte man meilenweit sehen."

Und ich konnte es auch spüren. Aber alles wäre so viel einfacher wenn ich nicht magersüchtig wäre. Alles wäre so viel einfach, wenn ich hier einfach raus könnte.

*

Diesen Nachmittag kochten wir zusammen mit Sabrina. Es war auch eine Art Therapie um dem Essen näher zu kommen. Ines und ich schnibbelten das Gemüse und unterhielten uns.
Als Sabrina kurz rausging warfen alle von Amandas Freunden sich Blicke zu.

"Keine Ahnung!", sagte Amanda flüsternd. "Ich glaube heute müssen wir einfach essen." Manche stöhnten und Ines neben mir seufzte genervt.

"Wir hassen diese gemeinsamen Kochaktionen, weil wir dann gezwungen werden zu essen. Man kann nichts manipulieren, weil man an einem runden Tisch gegenüber von Sabrina sitzt."

"Oh. Und kotzt ihr dann? Oder werdet ihr das Essen anders los?"

"Ja klar. Irgendwie gibt es immer einen Ausweg. Eine von uns wird ausgelost, die nach dem Essen kotzen gehen kann. Wenn wir das alle tun würden, würde es auffallen. Und,", sagte Ines. "wir müssen heute mitspielen. Wir essen ganz normal, denn diese Sabrina kann gut beobachten und gut durchschauen. Ich weiß nicht wieso sie es kann, manchmal hat man das Gefühl die war auch mal magersüchtig. Aber von den Energieriegeln die sie tagtäglich ist, hat sie sich auch schon als Baby ernährt."
Ich musste lachen, die Vorstellung war einfach komisch.

"Gut, dann essen wir heute ganz normal."

Sabrina kam wieder rein und wir kochten weiter. Das Endprodukt sah am Ende echt gut aus, und dann sollten wir uns alle an den Tisch setzen und essen.

"Sabrina, ich habe während wir gekocht haben schon genug gegessen.", sagte einer der Mädchen. Sie war immer alleine unterwegs und als ich einmal versucht habe mit ihr zu sprechen, hat sie mir einfach nicht geantwortet.

"Doch das schaffst du. Probier das Essen wenigstens."

In den Augen dieses Mädchens bildeten sich Tränen, die dann über die Wangen flossen. "Ich kann nicht.", sagte sie fast flüsternd.

Sabrina stand auf und ging zu dem Mädchen. "Ihr könnt schon ohne uns anfangen.",  sagte Sabrina und widmete sich dem Mädchen, mit der sie sich jetzt flüsternd unterhielt.

Alle schauten zu Amanda doch sie schüttelte fast unmerklich den Kopf. "Das Wetter ist ja immer noch so schön.", sagte sie.
Die Freundinnen nickten, nur ich verstand Bahnhof.
"Das heißt der Plan hat sich nicht geändert.", erklärte Ines mir flüsternd.

"Ah okay.", antwortete ich. Das hieß wir essen wie abgesprochen.

"Habt ihr nicht... etwas Angst, hier könnte euch jemand verpetzen?", fragte ich so leise, dass nur Ines es hören konnte.
"Das traut sich keiner. Dafür sorgt ja Amanda mit dem... du weißt schon... mobben."

Ahh, ich verstand. Also machte sie das um sich Respekt zu verschaffen und damit alle sie fürchteten. Genau wie sie es einst bei mir gemacht hat, nur, bis sie wusste, dass ich auf ihrer Seite war, was das Abnehmen anging.

Ich schielte rüber zu dem Mädchen, mit dem Sabrina sich unterhielt. Sie wischte sich ihre Tränen weg und aß.

"Super machst du das. Ich bin stolz auf dich."

Ich fragte mich was für Zauberworte Sabrina sagte um das auszulösen. Aber sie war gut. Richtig gut.

"Entschuldigt bitte. Schmeckt euch das Essen?"
Manche antworteten, sowie Amanda, die sagte es schmecke besser als das, was wir sonst jeden Tag bekommen. Warum verstärkt sie diese Aktion?

"Das freut mich. Und wenn ihr das jetzt isst, könnt ihr froh sein, dass sich in diesem Essen viele Vitamine befinden. Zum Beispiel Vitamin C, das dafür verantwortlich ist..."

Ich schaltete ab, denn ich konnte dem echt nicht folgen.
Nach dem wir alle satt und munter waren, mussten wir auch aufräumen. Wir spülten alles, räumten die Lebensmittel in den Kühlschrank und wischten die Tische ab.

"Elena und Amanda, könnt ihr den Müll rausbringen?", fragte Sabrina dann.
"Jap.", antwortete Amanda und nahm den schwarzen Sack nach draußen. Ich folgte Amanda mit einem Müllsack nach draußen, wo die Tonnen waren. Mal wieder kam es mir hier vor wie im Gefängnis denn die Tonnen waren sorgfältig mit hohen Zäunen umringt, damit man hier auch nicht rauskann.

"Jeden Montag morgen,", sagte Amanda sobald hinter uns die Tür geschlossen und wir draußen waren, "kommt die Müllabfuhr und holt den Müll ab."
"Wow.", antwortete ich sarkastisch. "Bei uns kommt der immer Dienstags vorbei."

Elena verdrehte die Augen. "Du bist naiv, Schätzchen. Weißt du was das heißt, wenn die Müllabfuhr kommt?"

Und dann wusste ich, was sie meinte.
Der Wagen kam rein, und ging dann wieder raus.
Raus nach draußen.

"Überleg es dir gut.", sagte Amanda während sie den Sack in die Mülltonne warf. "Du kannst immer darauf zurück kommen."
Doch der Gedanke war einfach unheimlich und nicht verlockend.

Federleicht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt