Kapitel 13

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Trotz der Wärme im Sommer trug ich lange, weite Kleidung, denn keiner sollte mein Speck sehen, erst recht nicht Jonas. Heute war der Tag, an dem wir in den Urlaub fahren. Seit wir klein sind, haben wir ein Ferienhaus in Belgien und es war jedes Jahr wunderschön, da wir keine zehn Minuten vom Strand entfernt sind. Dieses Jahr gab es aber zwei große Änderungen. Zum einen durfte ich nicht essen, zum anderen würde Jonas (!) mitkommen. Zwar als Freund von der Oberzicke Caro, aber er kam dennoch mit. Papa packte den letzten Koffer in den Kofferraum und dann stiegen wir ins Auto. Natürlich durfte Caro mit Jonas fahren, daher war ich alleine mit meinen Eltern, die kein besseres Gesprächsthema als meine Diät fanden.
Der Urlaub war schon miserabel genug, aber er konnte nicht schlimmer werden als jetzt. Ich hatte nicht nur Hunger, ich hatte zusätzlich einen elenden Schmerz den man Eifersucht und Liebeskummer nennt. In mir fühlte sich alles tot an.
Dann war noch die stickige Luft des Autos und meine nervenden Eltern. Also steckte ich mir Kopfhörer in die Ohren und hörte Musik. Das machte die Fahrt ein wenig besser und auch etwas kürzer.

"Angekommen!", rief Mama gut gelaunt zu Caro und Jonas.
Ach ja das süße Pärchen. Kaum sind die aus dem Auto, halten sie schon Händchen. Ich wand den Blick ab, denn sonst würde ich noch zu weinen anfangen.
"Wow es sieht wirklich toll aus.", sagte Jonas und deutet auf unser Ferienhaus. Ja er hatte recht. Unser Ferienhaus war wirklich schön. Man hätte fast schon ein Ausblick zum Meer und die Atmosphäre war schön.
Aber trotzdem hatte ich überhaupt kein Bock. Überhaupt keinen.

Also wand ich mein Blick vom Haus ab und musste natürlich genau dann zu Caro und Jonas gucken, als die sich küssten (weil Caro ihn gebeten hatte).
"Ich zeig dir mal das Haus.", sagte sie dann und zog ihn mit sich rein.
Während dessen sollte ich Papa mit den Koffern helfen, und dann landete es am Ende so, dass ich auch Caros und Jonas Koffer vor die Tür stellte.

"Danke, Liebes.", sagte Papa. "Vielleicht kannst du deiner Mutter in der Küche helfen? Nach der Fahrt haben wir doch alle Hunger." Ich hungere schon seit einer langen Zeit, dachte ich, sagte ich aber nicht. Das hätte unnötig Ärger gegeben.
Aber ich merkte, dass Papa sich nur bemühte nett zu mir zu sein und mich zum Essen zu bringen. Da ich gerade eh nichts zu tun hatte half ich Mama. Vielleicht mag es sich auch komisch anhören, aber in irgendeiner Weise befriedigte es mich, zu kochen.
Zwar durfte ich nichts davon essen und ich bekam Appetit und mehr Hunger, aber der Geruch und das Wissen, dass es lecker schmeckt, befriedigte mich irgendwie.

Mama bemühte sich während des Kochens wieder ein Gespräch mit mir zu beginnen, und ich fragte mich, wann sie endlich merkte, dass ich darauf keinen Nerv hatte. Ich konnte dieses oberflächliche Reden und so tun als sei alles gut, überhaupt nicht ab.

Irgendwann deckten wir auch den Tisch, diesmal für fünf Personen.
Und ich konnte es eigentlich kaum erwarten mit Jonas an einem Tisch zu sitzen, aber gleichzeitig hasste ich ihn auch, da er etwas mit Caro anfing.
Caro, die selbstsüchtige, eingebildete und total arrogante Caro.
Sollte ich nun sitzen bleiben oder gehen?
Wollte ich ein Streit mit meinen Eltern vor Jonas oder lieber nicht?

Jonas und Caro kamen gerade (händchenhaltend) runter und dieser Anblick schmerzte wieder so sehr, dass ich entschied zu gehen.
"Elena, du bleibst hier.", zischte Mama bevor Jonas es hören konnte. Und dann machte es bei mir Klick.

Vor Jonas würde sie mich nicht anschreien, erst recht da sie auch mit seiner Mutter in Konkurrenz stand. Wenn er wieder zu Hause ist soll er seiner Mama erzählen wie schön doch alles war und das ich konnte für mich nutzen. Also verzichtete ich auf den Moment ihm ganz nahe zu sein und ging in mein Zimmer.

"Ich habe keine Hunger, ihr könnt ohne mich essen.", sagte ich so beiläufig wie möglich beim gehen und hörte auch nicht mehr was man danach sagte. Aber vielleicht hatte Mama auch gar nichts gesagt. In diesem Moment wusste ich, dass die Ferien doch nicht so schlimm werden wie erwartet.

*

Pünktlich zu jeder Abenddämmerung dieser zwei Wochen Ferien waren Caro und Jonas zum Strand gegangen, um einen romantischen Spaziergang zu haben. Jeden Abend, wenn die dann weg waren bekam ich Ärger von Mama und heute sagte sie mir sogar, dass ich ihr peinlich sei. Jeden Tag gingen wir alle zusammen zum Strand, und während die anderen schwammen, saß ich vollbekleidet auf dem Strandtuch und las irgendwelche Bücher. Jeden Tag wenn wir draußen essen gingen, bestellte ich nur Rohkost und Mama konnte vor Jonas nicht gemein zu mir werden. Jeden Tag sah ich die Turteltäubchen küssen. Und jeder Tag schmerzte elend.
Es war schrecklich, bisher der schlimmste Urlaub meines Lebens. Ich hatte starke Minderwertigkeitskomplexe auf Grund meines Gewichts. Ich war unerträglich in Jonas verliebt  und grün vor Neid.

Und noch dazu musste ich mir jeden Tag Mamas Gerede anhören. Ihre Theorie, Analyse und Interpretation war, dass ich in die Pubertät käme und mich nur anstellen würde. In ihren Augen tat ich das alles nur um sie zu belasten, wegen Aufmerksamkeit. Dabei ging es hier nicht um Mama. Es ging um mich.

Ich lag auf meinem Bett und starrte auf die Decke, Langeweile ließ Grüßen. Und auch Hunger und auch Trauer.
Plötzlich klopfte es an meiner Tür und ich erwartete, dass Mama mit Essen reinkommt und mich zwingt zu essen. Aber selbst da würde ich mich weigern.
Jedoch war es nicht Mama. Nach dem ich herein rief und zur Türe schaute, blieb mein Herz stehen.
Es war nämlich Jonas, der an der Türe stand.

"Kann ich reinkommen?", fragte er vorsichtig und lächelte leicht.
"Ja.", sagte ich und setzte mich rasch hin.
Wie sah ich aus?
Meine Haare waren zu einem unordentlichen Dutt gemacht und ich trug schon mein Schlafanzug.
"Mir ist aufgefallen, dass wir die ganze Zeit nicht geredet haben.", sagte er und setzte sich auf einen Stuhl.
"Stimmt.", erwiderte ich. In den ganzen zwei Wochen hat ihn Caro bewacht wie ein Wachhund.
"Wo ist denn Caro?", fragte ich.
"Sie duscht."
"Wie geht es dir eigentlich?", fragte er dann, was mich etwas verdutzen ließ. Naja die ganze Lage war zum verdutzen.
Und auch mein Herzrasen.
"Ähm gut, und dir?"
Er nickte nur. "Mir ist aufgefallen, dass du kaum isst. Wie schaffst du das?"
"Doch ich esse.", sagte ich, merkte aber gleich darauf, dass es nicht so glaubwürdig rüberkam.
"Okay.", sagte er und lächelte.
Es war so traumhaft.
Eigentlich beobachtete ich ihn nur aus meinem Zimmer und er war dann Meter weit von mir entfernt.
Aber jetzt? Er saß ein Paar Schritte vor mir. Und ich würde ganz sicher nicht mit ihm über's Abnehmen reden.
Wo man gerade davon denkt. "Nimmst du ab?", fragte er.

Es war beschämend.
Ich schaute zur Seite in der Hoffnung, dass er meine Röte auf Grund von Scham nicht sah.

"Okay, wir müssen nicht darüber reden. Nur Caro hatte gesagt, dass du abnimmst. Ich wollte dir aber einen kleinen Tipp geben. Du weißt schon... zwischen Freunden. Ich würde nicht den ganzen Tag hungern. Das tut dem Körper nicht gut, und dir fehlt es dann an Vitaminen."

Ich hörte nicht zu. Denn das wollte ich nicht hören.
Ich brauchte keine Vitamine, mir ging es doch gut!
Und seit wann war Jonas so bekümmert?
Seit wann war es ihm wichtig wie es mir geht?

Am liebsten würde ich ganz tief seufzen, vor Liebe und Glück.
Zwar wollte ich mehr als nur "Freundschaft", aber es war immerhin ein Anfang.

"Jonas?" Das war Caros nervende Stimme, die mich aus meinen Gedanken riss.
Sie zerstörte den Moment.
Sie zerstörte meine Unterhaltung mit Jonas.
Sie zerstörte mein Leben.

"Was machst du hier?", fragte sie skeptisch und angewidert, als sie reinkam.

Sie trug eine sehr knappe Schorts, ein Top und hatte ihre Haare in einem Handtuch gewickelt.

"Hab mich nur mit Elena unterhalten.", sagte er und zuckte mit den Schultern.

Dann drehte er sich erneut zu mir.
Mir wurde warm ums Herz und meine Knie wurden weich.
"Gute Nacht.", sagte er lächelnd.
"Gute Nacht.", antwortete ich.
Sobald sie draußen waren bemerkte ich, dass ich grinste wie ein Idiot.

Jonas konnte mir auch noch den letzten Tag des Urlaubs versüßen und ich ignorierte die Tatsache, dass er mit Caro zusammen war.
Ich konzentrierte mich nur darauf, wie süß er zu mir gewesen war.

Und dann lohnte es sich wieder zu hungern. Schließlich schlief ich mit leeren Magen ein.

Federleicht Where stories live. Discover now