Kapitel 44

3.3K 141 13
                                    

Es störte mich gewaltig, dass sie flüsterten. Es war Nacht, wir sollten schlafen, und sie tratschten noch über irgendwas, was nicht bis morgen warten konnte. Irgendwann hörte ich hintereinander "Gute Nacht" und da war ich erleichtert. Am nächsten Morgen hatte ich also das Recht dazu ihre Ruhe zu stören, redete ich mir ein. Ich wollte Sport treiben und dabei nicht auf die so netten Mädchen achten.
Gerade legte ich mich auf den Boden und machte den ersten Sit Ups. Aber ich fand, dass ich zu laut atmete und ließ es sein. Also beschäftigte ich mich anders, schrieb Mama und Jonas, surfte im Internet und las ein Buch. Irgendwann wachten die anderen auf, und wir mussten uns für das Frühstück fertig machten. Wieder beachtete mich keiner und ich konnte genüsslich an meinem fett- und kalorienarmen Essen halten. Nach dem Essen entschied der Lehrer, dass wir ein Museum besuchen sollten und es war todlangweilig. Allein die Tatsache, dass ich alleine war und mir anhörte was der Typ da vorne laberte war schon ätzend. Dann war es ja auch noch langweilig was er sagte. Nach der endlos langen Tour durften wir uns selbst beschäftigen.
Ein Blick auf Julias Gruppe verriet mir, dass sie zum Schoppingcenter gingen. Tina und Lisa gingen in eine Richtung, mit einem Plan in der Hand, aber wo sie genau hingingen, wusste ich nicht.
Und bei Nicole und co wusste ich auch nicht wo sie hingehen wollten. Sie haben mich auch nicht gefragt, ob ich sie begleiten wollte. Wunderte mich das? Nicht wirklich.
"Elena wo willst denn du hin?", fragte mich plötzlich Herr Schröder, obwohl ich mit meinem Gedanken vertieft bei Nicole und co war.
"Zurück zu unseren Zimmern."
"Sicher? Du könntest doch auch shoppen gehen. Oder zum Strand..." er gab mir weitere Vorschläge, aber ich hörte nicht richtig zu.

"Nein, ich will wirklich zurück."
"Okay.", sagte er. "Aber du solltest den Aufenthalt hier genießen."
Von wegen. Ich war nicht einmal die einzige die wieder zurück auf die Zimmer wollte. Naja, es waren Jungs, die an ihren Konsolen spielten, aber auch sie zählten. Jetzt wo kaum einer hier war konnte ich in Ruhe meinen Sport treiben und ich entschied mich den in meinen Augen effektivsten Sport zu machen- Joggen.
Mit Kopfhörern in den Ohren ging ich also raus und joggte um das Hotel herum.
Es war total warm. Die Sonnenstrahlen verbrannten ja schon fast meine Haut. Ich schwitzte schon bevor ich mich richtig ins Zeug legte. Auch mein Atem geriet sehr schnell ins Schwanken. Zu schnell. Plötzlich spürte ich meine Beine und Füße nicht mehr. Sie waren taub, wie als hätte ich keine. Auch in meinem Kopf spielte sich gerade ein Desaster ab- ein ganz schlimmer Schwindel. Ich wollte stark bleiben. Ich musste stark bleiben, aber es ging nicht.
Ich spürte selbst noch wie ich das Gleichgewicht verlor und meine Beine nicht mehr Imstande wären meinem Gewicht zu halten.
Alles wurde plötzlich schwarz und ich bemerkte selbst noch, wie ich zu Boden fiel.

*

Wo war ich? Langsam öffnete ich meine Augen und musste mich gleich am grellen Licht gewöhnen. Sah ich richtig? Ich geriet in Panik, denn ich war in einem Krankenhaus.
"Elena du bist wach."
Herr Schröder war hier. Was sollte das? Was ist noch mal geschehen? Vielleicht bemerkte Herr Schröder meine Verwirrung, denn er sprach weiter. "Du bist umgekippt und keiner weiß wie lange du in der heißen Sonne auf dem Boden lagst."
Ach ja stimmt, ich erinnerte mich. Es war so warm und ich hab meine Beine nicht mehr gespürt, bis alles schwarz wurde.
"Die Ärzte haben eine Diagnose.", führte er fort. "Und leider musste ich sofort deine Mutter benachrichtigen, du wirst heute noch zurück fliegen."
Ich schaute in ungläubig an.
"Die Ärzte hier sind sich einig, dass du zu dünn bist. Deinem Essverhalten nach zu urteilen, leidest du unter Magersucht."
Nein. Unabhängig davon, dass es mir immer noch schlecht ging, wurde mir nochmal mehr schwindelig. Es wurde aufgedeckt. Mama würde jetzt bemerken, dass ich sie die ganze Zeit hinters Licht geführt habe. Jonas auch. Er hatte mich vor Magersucht sogar gewarnt.
Ich schaute zu den Ärzten, die in unverständlicher Sprache drauf los babbelten. Sie zeigten zu mir, und besprachen irgendwas.
"que usted se da a menudo?"
Ich schaute verwirrt zu Herr Schröder. "Er fragte, ob du dich oft übergibst."
Was war das für eine Zirkusattraktion? Jetzt würde ich wohl nicht über mein Leben erzählen.
"No.", antwortete ich.
Beide Ärzte schauten mich an, und man sah ihnen wirklich im Gesicht geschrieben, dass sie mir nicht glaubten. Der eine Arzt fragte diesmal direkt Herr Schröder, dieser wieder übersetzte.
"Er fragt, wie du isst."
"Normal.", antwortete ich.
Sogar Herr Schröder schaute misstrauisch. "Neben wem saßt du denn beim Essen? Damit ich da nachhaken kann."

Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht mehr." Herr Schröder seufzte. Einer der Ärzte wand sich ihm wieder zu und redete etwas mir unverständliches."
Herr Schröder nickte zustimmend.
"Wir sind uns einig, dass du sofort nach Hause musst, damit deine Mutter entscheidet, was mit dir geschieht."
"Was mit mir geschieht?" Wie sich das anhörte.
"Ob du zu ärztlicher Behandlung kommst. In eine Klinik oder so was in der Richtung."
Was...?!
Mein Herz blieb für einen Moment stehen.
Ärztliche Behandlung? Klinik?
Bitte nicht.

In mir stürzte grad die ganze Welt zusammen. Mein Leben würde enden, wenn ich zu so etwas gezwungen werde. Ich schaute zu den Ärzten die unbekümmert über einen Witz los lachten. Als wäre alles okay. Als hätten sie nichts falsches gemacht obwohl sie soeben meine Klassenfahrt als auch meine Zukunft verdauten.
Von wegen ich könnte hemmungslos abnehmen.

*

"Als ob du gehen musst.", sagte Nicole und schaute mich fassungslos an.
Nicht nur sie, auch die anderen Zimmergenossinnen.
"Warum denn?"
"Weil ich umgekippt bin."
"Ja na und, das passiert.", wand Judith ein. "Was haben die Ärzte gesagt?"
"Gar nichts.", sagte ich diesmal sehr gereizt und es hat geholfen.
Keiner von ihnen fragte mich noch irgendwas.
Herr Schröder wollte, dass ich gleich losging. Und komischerweise stand dann die ganze Stufe da und schaute mir dabei zu.
"Es tut mir wirklich leid, Elena.", sagte er. "Aber Gesundheit geht vor."
Halt den Mund, dachte ich.
Denn dank ihm, fingen alle, nicht gerade leise an darüber zu spekulieren, was ich habe.
"Ist die schwanger?"
"Hat die Aids?"
"Bestimmt weil die so dünn ist."
Und so weiter.

*

Gleich nach dem ich, mit dem Koffer in der Hand, nach draußen ging, entgegnete mich Mama. Und ich hatte überhaupt keine Lust mehr.
"Elena bleib stehen.", sagte sie gleich. Sie wirkte mega gereizt und auf Streit aus.
"Was ist?", fragte ich ging aber trotzdem Richtung Auto.
"Du wurdest gerade von der Klassenfahrt suspendiert. Aus gesundheitlichen Gründen. Komm mir dann nicht mit 'Was ist'!"
"Die Ärzte haben übertrieben." Mittlerweile stand ich vor dem Auto und Mama öffnete weder Kofferraum noch die Türen.
"Die Ärzte haben nicht übertrieben. Du hast Magersucht. Und sobald wir ins Auto steigen gehen wir zu deinem Hausarzt."
Ich seufzte tief. Denn die Hölle begann.

Federleicht Where stories live. Discover now