Kapitel 23

4.2K 159 7
                                    

Kaum hat die Schule wieder begonnen, setzten die Lehrer Druck auf uns mit Tests und Klausuren. Denn dieses Jahr war das letzte vor dem Abitur. Wir mussten ordentlich Gas geben um in die Qualifikationsphase zu kommen. Mit meinen bisher guten Noten (oft war ich Klassenbeste) wusste ich, dass dies kein Problem sei. Und ehrlich gesagt war ich sogar etwas froh, dass die Lehrer uns Beschäftigung für zu Hause gaben. Dann wurde ich vom Hunger abgelenkt.
Ich packte meine Schulsachen aus und machte mich ran an die Hausaufgaben.
Mathe, Englisch, Wirtschaft. Leider war ich nicht ganz so bei der Sache, meine Gedanken schweiften immer ab, sobald ich mich konzentrieren wollte. Diese Konzentrationsprobleme hatte ich noch nie gehabt, ich konnte mich kein bisschen auf die Zahlen konzentrieren, geschweige denn ein Text lesen und den Inhalt aufnehmen.
Ich schaute auf mein Handy und sah, dass Paul mir eine Nachricht schrieb.
"Kann ich zu dir kommen? Ich hab dich vermisst"
Nein. Nein, nein! Caro war da. Mama war da.
"Ich kann nicht. Muss lernen", antwortete ich.
"Ich helfe dir" schrieb er darauf hin.

Ich seufzte tief. Ihn würde ich jetzt nicht loswerden. Bevor er kam, musste ich mich vorbereiten. Mich umziehen, die Haare kämmen und mein Zimmer etwas aufräumen.
Und dann ging ich runter zu Mama.
"Mama?", fragte ich sie.
Sie war im Wohnzimmer irgendwas am nähen, schaute zu mir hoch, ohne dabei durch ihre Brille zu gucken, die sie immer beim Nähen trug.
"Ja, Schatz?"
"Ich habe dir ja mal von meinem Freund Paul erzählt...."
"Kommt er?", fragte Mama gleich.
"Ja."
"Super.", sagte sie dann und lächelte. "Wird ja auch Zeit, dass ich ihn kennenlerne."
Sie stand auf, zog den Stecker der Nähmaschine raus und ging in die Küche, ich hinterher.

"Soll ich irgendwas kochen oder vorbereiten oder so? Was mag Paul denn am liebsten essen?"
Unabhängig davon, dass ich nicht wollte, dass sie kochte- ich wusste auch gar nicht, was Paul am liebsten aß. "Nein, Danke Mama, du brauchst dir keine Mühe machen."
"Bist du Dir sicher? Du möchtest doch bestimmt einen guten Eindruck bei deinem ersten Freund hinterlassen."
"Ja sicher.", antwortete ich gelassen.
Die ganze Zeit hatte ich gehofft, dass es nicht so kommen würde, aber ich hörte wie die Tür von Caros Zimmer aufging und sie die Treppen runter kam.

"Was macht ihr hier?", fragte sie in Mamas Richtung. "Ist irgendwas?" Sie hatte leider ein Riecher für heikle Situationen.
"Ja.", antwortete Mama daraufhin wobei ich ihr am liebsten den Mund zugehalten hätte. "Paul, Elenas Freund, kommt heute zu Besuch."
"Ui, schön.", erwiderte Caro und lächelte. "Dann können wir ihn endlich kennenlernen."
Ich wollte ihr am liebsten die Augen auskratzen. Denn ich wusste ganz genau, was sie im Schilde führte.
"Finde ich auch.", bestätigte Mama.
Und in dem Moment klingelte es.
"Ich gehe schon!", rief Caro.
"Es ist mein Freund, ich mache die Tür auf.", sagte ich dann schnell.
Wir beide standen auf.
"Aha und nur weil er dein Freund ist, darf ich die Tür nicht öffnen?", fragte sie schnippisch auf dem Weg zur Türe. Sie war als erstes an der Tür und öffnete sie auch.
"Hallo.", sagte sie und ich sah sie lächeln. Es war ein breites, schönes Lächeln worauf ich eine kurze Zeit eifersüchtig war.
"Oh, hallo Caro.", hörte ich Paul höflich sagen.

"Hallo." Sie lächelte süß und scheu und bevor sie sich noch näher kamen ging ich dazwischen und küsste Paul, obwohl er dies nicht so ganz erwiderte.
"Hallo Schatz.", sagte er, schenkte mir ein kurzes Lächeln, widmete sich dann jedoch wieder Caro zu.
Sie führten einen perfekten Smalltalk. Einen den ich mit solch Lockerheit und Freundlichkeit, wie Caro es ausstrahlte, nie führen könnte.
"Willkommen bei uns zu Hause.", sagte sie schließlich.
"Danke."
Caro öffnete die Tür ganz, sodass er eintrat. Dann schloss sie die Türe und Paul drehte sich zu mir.
"Ich wusste ja gar nicht, dass deine Schwester so nett ist."
"Hat sie jemals was anderes gesagt?", fragte Caro dann lachend. Wenn Paul nur wüsste, was Caro für ein Biest eigentlich ist.
Also jetzt wunderte mich dieser Moment wirklich. Caro legte einen Arm um mich und tat so, als ob wir Schwestern wären, die total dicke sind. Schwestern, die sich alles erzählen. Schwestern die sich total lieben. Aber so war es nicht. Sie hasste mich, und ließ es mich richtig spüren.
Als ich dick war, konnte Caro mich auf Grund ihrer Arroganz nicht leiden. Sie wollte draußen nicht mit mir gesehen werden, weil ich ihr 'zu peinlich war'.
Und heute hatte sie, obwohl ich abgenommen habe und nicht mehr peinlich war, immer noch diesen Hass und Distanz mir gegenüber. Warum? Weil sie auf mich eifersüchtig war. Weil sie wollte, dass ich die fette, hässliche, kleine Schwester bleibe. Sie konnte sich einfach nicht entscheiden.
Deswegen war mir dieser Moment zu viel, ich ging nicht darauf ein, was Paul gesagt hat und führte ihn direkt zu Mama, dicht gefolgt von Caro.
"Hallo.", sagte Mama ebenfalls freundlich und sie und Paul tauschten ein paar nette Worte aus.
"Kann ich dir jetzt mein Zimmer zeigen?", fragte ich Paul.
Ich wusste, dass Caro sonst wieder im Mittelpunkt stehen würde.
"Ja gerne.", sagte Paul und ich war erleichtert darüber.
Caro folgte uns schon wieder, aber ihr Zimmer war ja direkt gegenüber von meinem, also könnte sie dort hingehen.
"Stört euch das wenn ich etwas mit euch chille?", fragte Caro als wir vor meiner Tür waren.
"Ja." und "Nein.", sagten Paul und ich gleichzeitig. Ich schaute Paul an, dieser mich in dem Moment auch anschaute.

"Was ist so schlimm daran, wenn sie etwas Zeit mit uns verbringt?", fragte er.
Am liebsten wollte ich Caro aus meinem Leben verschwinden lassen.
Das war total ungerecht, was sie jetzt tat, ich mischte mich nie bei ihr und Jonas ein.
"Ist schon okay, wenn Elena das nicht möchte, kann ich auch gehen.", sagte Caro und zuckte mit den Schultern.
Danke. Jetzt sah es so aus, als sei ich die böse Schwester, wobei Caro nur nett sein wollte.
"Nein, ist doch überhaupt kein Problem, bleib ruhig.", sagte dann Paul und das versetze mir einen schrecklichen Schmerz. Was zur...?!
Wir gingen in mein Zimmer, Paul schaute sich um und Caro saß an meinem Schreibtisch wohl zufrieden mit der ganzen Situation.
Ich schaute sie an, sie zurück, aber sie verzog keine Miene.
"Das ist schön dein Zimmer.", sagte Paul.
"Danke." Ich setzte mich auf mein Bett und Paul tat dergleichen.
"Auf welche Schule gehst du Caro?"
Warum ging es hier jetzt um sie?! Ich war seine Freundin, warum schenkte er Caro alle Aufmerksamkeit?!
Es machte mich rasend eifersüchtig, wie die sich über Schulen, Lehrern und Sport unterhielten.
Caro war ja mal Cheerleaderin gewesen, und sie sprachen die ganze Zeit darüber. Irgendwann wurde es mir zu blöd.
In einem Raum mit meinem Freund und meiner Schwester, kann es doch nicht sein, dass ich ignoriert wurde und nicht dazu gehörte?

Entweder musste ich mit Paul Caro ignorieren, da er mich verdammt noch mal liebt. Oder ich könnte meinen Freund mit einer Schwester ignorieren und ausschließen, weil wir verdammt noch mal Schwestern sind.
Es war aber genau anders. Mein Freund und meine Schwester schlossen mich aus.
Und es tat schrecklich weh. Ich stand auf und machte mich wieder an meinen Hausaufgaben zu schaffen. Währenddessen hörte ich den beiden beim Unterhalten zu, sagte aber kein Wort.
Es wurde immer später. Und irgendwann klingelte Caros Handy.

"Oh, das sind meine Freunde. Wir sind verabredet. War schön dich kennengelernt zu haben, Paul."
"Ganz meinerseits." Sie ging und schloss die Tür hinter sich.
"Ich dachte Caro wäre voll gemein.", war das erste was Paul sagte.
"Obwohl sie nicht hier ist, willst du immer noch über die reden und ihr die Aufmerksamkeit geben?", fragte ich und bemühte mich auf einen neutralen Ton.
"Bist du etwa eifersüchtig?"
"Nein!" Auch ich merkte, dass dies nicht glaubwürdig klang.
"Ich finde du reagierst über. Du hättest dich ja mit einbringen können."
Ich drehte mich zu ihm um. "Selbst da, hättet ihr mich ignoriert."
Paul stand auf und trat zu mir.
"Ich finde es zwar äußerst verehrend, dass du eifersüchtig wirst, nur wenn ich mich mit einem Mädchen unterhalte, aber so muss es nicht sein." Er beugte sich zu mir vor und küsste mich.
"Eine Entschuldigung wäre jetzt gut.", sagte ich.
Obwohl es absolut nicht genug war. Ich wusste nicht, was er tun könnte um den Fehler wieder gut zu machen, er betrachtete es selbst noch nicht mal als Fehler.
"Entschuldige, Baby." Er trug mich hoch und setzte mich aufs Bett. Dann küsste er mich wieder. Er wurde immer leidenschaftlicher bis er mir meine Bluse aufknöpfte.
Obwohl er es nicht verdient hat, ließ ich es geschehen. Ich wollte ihm alles geben, sodass er Caro im Stich lässt. Ich wollte, dass er mich mehr mochte als Caro. Und dafür konnte ich ihm keine Bitte verschlagen. Ich musste ihm alles geben was er wollte.

Federleicht Where stories live. Discover now