Kapitel 69

4.9K 182 61
                                    

Ich schaute schon das sechste mal hintereinander auf meine Uhr und wünschte mir ich könnte sie vorstellen.
Dann fing mein Herz an schneller zu schlagen, weil ich sah wie Sabrina zur Türe kam und sie öffnete.
"Ich habe gute und schlechte Nachrichten für dich Elena."
Oh nein. Was für eine schlechte Nachricht?
Es ging doch nur darum, ob ich von hier gehen durfte oder nicht.
Ich wolle nicht länger warten, auf keinen Fall. Nicht nach all dem was ich hier durchgestanden habe und wie viel Zeit ich hier schon verbrachte.
"Und die wären?", fragte ich Sabrina.

"Die gute Nachricht ist..", sie lächelte. "dass du gehen kannst. Die schlechte, dass du eine Stunde warten musst bis du abgeholt wirst."

Letzteres habe ich kaum noch gehört da ich einfach nur glücklich war. So glücklich, dass ich Sabrina umarmte und sie meine Umarmung erwiderte.

"Also pack deine Sachen und verabschiede dich bei denen, die dir fehlen werden."

Die Liste beschränkte sich auf eine Person- und zwar ihr. Sonst wollte ich keinem Tschö sagen.
Ich ließ es mir nicht zweimal sagen und packte meine Sachen in den Koffer.
Als ich mich in den Foyer setzte, musste ich an meinem ersten Tag hier denken. Wie Mama mich gegen meinen Willen hierher gebracht hat und Tränen in den Augen hatte, als sie ging. Ich war stinksauer und völlig unzufrieden mit der Entscheidung. Und da wusste ich gar nicht, was ich alles hier erleben würde.
Ich wusste nicht, dass ich von allen gehasst werde und dass ich schlimme Sachen machen würde. Und ich wusste nicht, dass hier jemand stirbt. Jemand, der Magersucht hat und meine Freundin ist.

Allein der Gedanke an Amanda ließ mein Herz reißen. Ich wünschte sie wäre hier, sodass ich mich bei ihr verabschieden könnte.
Ich würde sagen, guck mal Amanda was ich geschafft habe! Ich habe deinen Rat befolgt.

"Hey du.", sage plötzlich jemand neben dir. "Och, Elena ich wollte dich nicht so erschrecken!" Sabrina lachte. "An was hast du denn gedacht?"
"An Amanda."
"Oh. Ich verstehe.", sagte sie und ihr Lächeln war weg.
"Lässt das irgendwann nach?", fragte ich sie dann. Denn Sabrina kannte sich damit am besten aus, sie hat nämlich genau das gleiche durchstanden.
"Der Schmerz wegen des Verlusts? Er lässt nach ja, aber er bleibt für immer. Beziehungsweise bis jetzt. Ich weiß nicht, ob das in Zukunft auch der Fall ist, aber ich gehe davon aus."
Ich seufzte.
"Konzentrier dich jetzt nicht darauf. Du wirst abgeholt. Deine Zeit hier ist vorbei."
Ich lächelte sie an. "Hast du das auch gedacht als du von hier wegkommen bist?"
"Nein... Oder doch."
"Etwas dazwischen?"
"Ich war froh hier als Patienten zu gehen. Aber ich habe mir fest vorgenommen als Therapeutin zurück zu kommen. Ich wollte Leute vom Gegenteil überzeugen, damit sie zu nehmen."
"Das finde ich super."
"Ja. Es ist anstrengend, und funktioniert nicht immer, aber wenn ich es schaffe, fühle ich mich so als hätte ich ein Leben gerettet, das nicht so wie Andreas geendet ist. Oder Amandas."
"Es tut mir leid, dass ich nicht einer solcher Patienten war. Ich brauchte eine tote Person um den Ernst der Lage zu sehen."
"Ich auch.", sagte sie. "Sei froh, dass du es überhaupt geschafft hast. Es gibt Leute, die es nie sehen. Die nur anhand von Sondentherapien, Krankenhäusern und weiteres am Leben gehalten werden."
"Traurig."

Ich schaute Sabrina an, wie sie gedankenverloren auf ihre Schuhe starrte. "Woran denkst du?"
"Daran, dass Amanda das wusste. Sie war sehr schlau, und wusste ganz genau was sie mit weiterem abnehmen riskierte."
"Also meinst du es war... gewollter Selbstmord?"
"Sie sagte dir bei deiner letzten Begegnung, dass du zunehmen sollst und dass sie ihre Mutter besucht.." Sabrina brauchte diesen Gedankengang nicht weiter zu führen, ich verstand schon.
"Auch wenn sie diese Fassade einer starken Persönlichkeit hatte, tief drinnen war sie verletzlich und fühlte sich in ihrem Körper und Leben nicht wohl."
Ich schwieg, da ich nicht wusste was man dazu erwidern könnte.

Federleicht Where stories live. Discover now