Kapitel 34

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Ich wollte heute eigentlich die Schule schwänzen, denn ich hatte überhaupt kein Bock Julia oder irgendjemand anderes zu sehen. Denn eine Sache war klar- wenn Julia etwas wollte, dann hat sie es immer gekriegt. Und so war es dann auch mit Jonas. Welcher Junge konnte denn schon Julia widerstehen?
Als ich in der Küche war, und sah wie Mama sich fleißig um meine Brotdose kümmerte, entschied ich doch zur Schule zu gehen. Sonst müsste ich diese 'ich fütter' dich, damit du fett wirst'- Art den ganzen Tag ausstehen. Zum Frühstück knabberte ich an einem Knäckebrot und trank einen zuckerfreien Schwarztee. Mein Magen knurrte schon wieder, aber mehr durfte ich mir nicht erlauben.

"Bitteschön.", sagte Mama und gab mir die Pinke Brotdose. "Hab einen schönen Tag!"
Mittlerweile habe ich mich schon an Mamas Art gewöhnt. Früher hatte ich nur davon geträumt von ihr Aufmerksamkeit zu bekommen, da komischerweise nur Caro davon genoss. Es nervte mich, dass Mama zur Zeit mir die ganze Aufmerksamkeit widmete und auch immer so nett zu mir war.
Jedenfalls nahm ich die Brotdose entgegen und ging dann raus. Sowie in jedem Schultag gab ich das Essen dann an den Obdachlosen, auf dem Weg. Aber darum machte ich mir keine Sorgen. Meine Gedanken kreisten sich um Julia und Jonas, den ich diesen Morgen gar nicht gesehen haben. Ich stellte mein Fahrrad ab und ging dann zu der Ecke, wo Julia und die anderen immer waren.

"Guten Morgen!", rief sie mir gut gelaunt zu. Sie sah wieder toll aus, mit der Jeans- Latzhose und ihren Haaren, die zu einem Fischgrätenzopf geflochten waren.
"Morgen.", antwortete ich weniger gut gelaunt.
Dann wand sie sich ganz an mich. "Warum bist du gestern einfach gegangen?", fragte sie dann etwas gereizt.
"Ähm... mir ging's nicht gut." Sie runzelte unglaubwürdig die Stirn.
"Doch nicht etwa wegen Jonas oder? Er hat lange nach dir gesucht, bis ich ihn irgendwann nach Hause begleitet bin."
"Nene, nicht wegen ihm.", log ich, und das was sie sagte traf mich wie ein Messer ins Herz.
Jetzt zog sie die Brauen zusammen und schaute mich an wie noch nie- sauer.
"Lass die Finger von ihm. Er gehört mir.", flüsterte sie in einem bedrohlichen Ton. Und im nächsten Moment lächelte sie mich wieder an und fing an, von Jonas und ihr zu erzählen, als hätte sie mir gerade nicht gedroht.

"...Dann hat er die ganze Zeit darauf geachtet, dass ich gemütlich sitze und hat mich die ganze Zeit nach meinem Wohlbefinden gefragt..." sie redete weiter aber ich konnte ihr nicht zuhören.
Ich kämpfte mit Tränen und hatte einen unausstehlichen Herzschmerz. Am liebsten würde ich sterben oder von Erdboden verschluckt werden. Denn das hier war nicht gerecht.

"... Er hat dann seine Lippen auf meine gelegt und direkt beim ersten Mal gab es einen heftigen Zungenkuss!" Sie biss sich die Lippe und schaute genüsslich vor sich hin. Und ich stand kurz davor zusammenzubrechen. Zum einen aus Eifersucht und Wut, zum anderen weil ich so wenig gefrühstückt habe.
"Ich muss mal dringend auf's Klo.", brachte ich hervor, und merkte dabei selbst wie zittrig meine Stimme klang.

Ich war froh weg von ihr zu sein. Es war mir lieber als meine jetzige Situation: Mit Tränen in den Augen von vielen Schülern gesehen zu werden, wie ich den Weg zum Klo suche. Denn durch die Tränen sah ich alles verschwommen. Letztendlich fand ich den Weg und schloss mich hinter einer Tür ein.Ich hielt mir die Hand vorm Mund, damit man nur gedämpft hörte, dass ich bitterlich weinte. Manchmal hielt ich kurz inne, wenn es Mädchen gab, die fragten, ob es jemand gibt der weint. Aber sobald die dann raus gingen, hielt ich mir erneut die Hand vorm Mund und heulte.
Zum Naseputzen und Tränen wegwischen nutzte ich praktischerweise das Klopapier und irgendwann häufte es sich zu ganz viel auf.
Der Unterricht begann. Dann klingelte es zur ersten Pause. Und ich konnte nicht fassen, dass ich die ganze Zeit hier verbracht habe, doch ich fühlte mich auch wie versteinert, ich konnte gar nicht raus. Da jetzt die Pause war, kamen erneut ganz viele Mädchen, Türen gingen auf, Türen gingen zu. Klospülung lief, man hörte das Waschbecken.
Ein paar Stimmen erkannte ich wieder, zwar lauschte ich denen, aber mir war egal, was sie sagten. Bis ich eine sehr vertraute Stimme hörte.
"Das ist mir sowas von egal. Wer bin ich, dass ich nach ihr suchen soll?" Das war Julia und ich musste unwillkürlich die Luft anhalten.
"Hat die nicht gesagt, die geht aufs Klo?" Das war Bella.
Ich wusste nicht wer von beiden auf Klo war und wer von den beiden wartete. Aber ganz sicher, waren die beide sich am unterhalten.
"Die geht mir richtig auf die Nerven.", hörte ich Julia sagen. Julia war direkt neben meiner Toilette, ich hörte sie ganz deutlich und sie wusste es nicht. Es durfte mich eigentlich nicht schockieren was sie sagte, aber dennoch war ich es.
"Mir auch. Ich hab gar nicht verstanden wieso du sie an erster Stelle zu uns geholt hast.", sagte Bella.
"Nur weil sie so hübsch aussah, an dem Tag. Aber die fette Kuh muss noch dringend abnehmen."
Bella kicherte darauf.
"Und die denkt sie hat Chancen bei Jonas.", murmelte sie.
„Jonas ist viel zu perfekt für sie.", sagte Julia abwertend.
"Und genau richtig für dich.", erwiderte Bella um zu schleimen.
"Also? Das nächste Mal wenn wir Elena sehen- ignorieren. Einfach wie Luft behandeln. Sie hat sich nicht verdient zu uns zu gehören."
Sie öffnete die Tür, ich hörte das Klacken beider Schuhe auf dem Weg zum Waschbecken. Weiter konnte ich nicht zuhören, ich hörte nur, wie sie rausgingen. Meine Tränen war ich alle schon los. Ich schaute nur auf in Schockstarre den Boden und ließ alles Revue passieren.

Julia wollte mich nicht mehr bei ihr haben. Die ganze Zeit hat sie mir ihre Freundschaft vorgetäuscht. Und jetzt, wo sie Jonas hatte, ließ sie mich hängen. Genau wie Bella und vermutlich auch Amma. Ich wusste nicht was ich tun sollte, außer mein Gesicht in meinen Händen zu verbergen und mich elend zu fühlen. Denn ich traute mich nicht raus, da ich befürchtete, Julia oder die anderen zu treffen. 
Als es zum Unterricht klingelte machte ich mich auf dem Weg nach Hause, obwohl ich ganz genau wusste, dass Mama nerven würde. Aber sonst hatte ich kein Bleibe.
Keine Lisa. Keine Julia.
Ich war allein.
Seit mehreren Stunden lag ich hier auf meinem Bett und wartete. Ich wartete hungrig, und gelangweilt. Ich wollte eine Nachricht. Ein Anruf. Etwas, was welterschütterndes passiert ist.
Aber nichts war los.
Nur die kahle, weiße Decke auf die ich schaute.
Am liebsten würde ich jetzt essen, um meinen Schmerz zu lindern und zu kompensieren.
Ein leckeres Erdbeereis würde mich bestimmt von dem brennenden Schmerz meiner Wunden an den Armen ablenken. Dies kam aber nicht in Frage, da ich eine fette Kuh war. Mein Magen knurrte und ich legte meine Hand darauf, als würde es was bringen. Bald würde ich es nicht mehr aushalten. Der Hunger war zu groß, genau wie die Langeweile.
Ich stand auf und lief vergeblich eine Runde in meinem Zimmer rum. Dann verließ ich es und blieb kurz vor Caros abgeschlossener Tür stehen.
Sollte ich klopfen und sie um Rat fragen? Ich fühlte mich alleine und wollte einfach nur ein Körper und eine Seele, die nicht Mama hieß, an meiner Seite haben. Jedoch beließ ich es dabei und ging wieder in mein Zimmer. An der Tür blieb ich stehen und schaute mich um, vielleicht würde ich etwas zur Beschäftigung finden.
Aus meiner Tasche lächelten mich die Hefte und Bücher an- ich musste lernen und Hausaufgaben machen.
Da ich ja jetzt offiziell keine Freunde mehr hatte, konnte mir keiner sagen, was ich heute in der Schule verpasst habe, obwohl ich bald meine letzten Prüfungen hatte.
Die obere Schranke des Integrals war sieben. Die untere drei. Ich tippte die Formel in den Taschenrechner und dieser spuckte mir ein nichtssagenden Ergebnis aus.
Es war so frustrierend.

Mein Blick wandert durch das Fenster. Und da kamen mir die Tränen- denn ich sah Jonas.
Jonas, der jetzt an Julia vergeben war.

"Caro ist ja deine Schwester. Wenn du herausfindest wer es ist, sagst du es mir?"

Jonas Worte, als er hier war.
Ich sollte ihm sagen wer seine heimliche Verehrerin war, die Caro eifersüchtig machen wollte.
Ob er es jetzt immer noch wissen wollte, obwohl er jetzt mit Julia war? Ich stand auf, wusch mir mein Gesicht und ging raus. Ich würde es ihm sagen, mehr konnte ich nicht verlieren. Und ich konnte es in meinem Zimmer nicht mehr aushalten.
Dafür würde er Heute erfahren, dass ich ihn die ganze Zeit geliebt habe.

Federleicht Where stories live. Discover now