Teil47

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"Bitte, Ben..."

Tränen rannten mir verzweifelt über meine Wangen, doch das Bild wie er mich umarmte ließ mich ausatmen. Ich habs versprochen. Ich kämpfe einfach weiter, komme was wolle. Ich schaffe das. Ich habs sonst doch auch immer geschafft.

Ich drückte meinen Kloß und meine Tränen runtern und wartete ein paar Minuten, bis der Schmerz versiegte. Danach startete ich den Motor und fuhr mit einem starken Taubheitsgefühl los. Jetzt mit einem Ziel. Am anderen Ende der Stadt gab es ein Bed and Breakfast. Das war der Laden von Elisabeth. Ich habe sie auf Joes Beerdigung kennengelernt. Ich würde mir da einfach ein Zimmer mieten, was auch ganz gut klappte. 

Das Wochenende über schaltete ich mein Handy ab und versuchte an alles zu denken, nur nicht an das was passiert ist. Jeremy, Cole, Matt, Logan, Kyle, May und Liam, Kate, Jack und mein Onkel und seine Kumpel. Ich weiß unterdrücken ist keine gesunde Art mit Gefühlen umzugehen, aber Gott weiß, dass ich dafür keine Kraft habe. Mit dem Festnetz rief ich dann noch Dr. Rose an, zur monatlichen "Begutachtung" meines Herzens und hab mit ihr einen Termin vereinbart. Danach habe ich, auch wenn es dämlich klingt ein Geschenk für Stacy ausgesucht. Sie kann ja schließlich nichts für ihren Bruder. Über Amazone bestellte ich dann ein Fotoalbum und ließ auch ein paar Fotos ausdrucken, von ihren social Mediaaccounts und den paar Bildern die wir zusammen gemacht haben. Ich dachte mir das wäre ein nettes Geschenk zum 18. Dazu noch eine Karte und ein Gutschein, damit sie sich noch selbst was aussuchen konnte. Ihr Geburtstag ist ja schon in ein paar Tagen und meiner gleich eine Woche darauf. Witziger Zufall...

Am Montag Morgen verabschiedete ich mich schließlich von Elisabeth, die mich das ganze Wochenende liebevollerweise nicht bedrängt hatte und fuhr nachhause, um meine Schulsachen zu holen. Leise öffnete ich das Schloss, schlich nach oben und holte meine Sachen, doch als ich vor der Haustür stand wurde ich plötzlich an der Schulter gepackt und nach hinten geschleudert. Mein Kopf schlug hart auf dem Boden auf. Für einen Moment sah ich nur schwarze Flecke, bis sich meine Sicht klärte und ich meinen Onkel sah.

"Hast du schon die Rede für Paul geschrieben!" fuhr er mich an.

Wackelig und trotzig stand ich auf: "Nein und das werde ich auch nicht!" zischte ich, wofür er mich schlagen wollte, doch auch verletzt hatte ich inzwischen eine gute Reaktionszeit und konnte ausweichen.

Allerdings machte ihn das nur wütender. Es drehte sich immer noch alles, weshalb ich aus dem Augenwinkel nicht sah, wie er mit einem Messer auf mich zu raste. Ich schaffte es noch gerade so nicht groß verletzt zu werden, sondern nur eine, wenn auch etwas tiefe, Schnittwunde am Bauch zu haben. Ich packte seine Hand und schlug auf seinen Arm. Mit einem stöhnen ließ er das Messer fallen. Schnell schubste ich ihn von mir weg. 

Warnend hob er seinen Finger: "Wenn du diese verdammte Rede nicht schreibst, werde ich persönlich dafür sorgen, dass deine geliebte Tante Meura wegen Gefährdung von sich und anderen in die Klapse kommt und dass deine Jennifer nie eine Stelle an der Uni bekommt!" begann er mir zu drohen "Ich habe gehört sie will unbedingt auf die Yale!" grinste er triumphierend, weil er wusste, dass ich jetzt tun würde was er verlangte.

"Ich schick sie dir!" knickte ich ein und lief schnell nach draußen.

Auf dem Weg zur Tür begann er aber wieder mit Messern zu werfen, weshalb ich nun auch Schnittwunden an Armen und Beinen und meiner rechten Wange habe. Wenigstens habe ich noch einen Pullover in meiner Tasche. Da ich so nur aufsehen erregen würde nahm ich den Hintereingang der Schule und verkroch mich gleich in eine der Toiletten für Lehrer und schloss ab. Kurz untersuchte ich meine Wunden, aber ich brauchte nur ein paar Pflaster, um das Nötigste abzudecken. Mit einem ziehen in meiner Brust zog ich mir den Pulli an und ging raus, um gerade rechtzeitig zum Unterricht zu kommen. Absichtlich setzte ich mich nach vorne, um von der Gruppe Jungs und vor allem Cole weit weg zu sein. 

Der Schultag war eigentlich recht ereignislos, was sowohl Liams Abwesenheit und meine herrvoragenden Fluchtstrategie zu verdanken habe. Sobald der Unterricht zu Ende war verzog ich mich einfach in die Bibliothek oder in mein Auto, damit ich den anderen nicht über den Weg lief. Hat gut funktioniert, bis zum Schulende. Da wurde ich nämlich von Stacy abgefangen und die konnte ich nicht so einfach abschütteln. Gott, die Kleine war vielleicht hartnäckig.

"Warte bitte! Die Jungs wollen dir was sagen!" meinte sie und ich drehte mich schlagartig um, nur um wieder einen stechenden Schmerz zu fühlen. 

Einer nach dem anderen entschuldigte sich, aber ich unterbrach bei Logan, damit ich nicht auch noch Cole hören müsste.

"Stacy, ich will nicht das sie sich bei mir entschuldigen, weil du sie dazu zwingst. Außerdem sehe ich nicht, dass es ihnen wirklich leid tut."

"Natürlich tut es das!" widersprach Matt sofort.

"Ach ja? Dann sag mir entschuldigst du dich, weil du es bereust oder weil du dich schuldig fühlst?" 

Er schwieg, doch schweigen war auch eine Antwort. Logan setzte an etwas zu sagen, aber ich konnte ihn nicht hören: "Wenn ihr unbedingt wollt, dass ich eure Entschuldigung annehme, bitte! Ich akzeptiere eure entschuldigung, aber das ändert nichts. Ich weiß nicht wie es bei euren Flittchen ist, aber ich habe in meinem Leben ein kleines Vertrauensproblem enttwickelt, weshalb es mir wirklich schwer fällt euch jetzt in die Augen zu sehen ohne euch in die Fresse zu schlagen!" gab ich offen zu "Ich will auch..."

"Stacy? Cole? Was ist denn hier los?" fragte eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam.

Stacy lief der Stimme ohne zu zögern direkt entgegen und selbst Coles dunkle Miene hellte sich um 5% auf. Mit ungutem Gefühl drehte ich mich um. Ich stockte. Mein Herz setzte aus. Nein! Wie...? Ich erstarrte und sah ihn mit trüben Blick an. Er war größer geworden. Nun war er gute 1,85. Aber er hatte immer noch diese braunen Haare und grünen Augen, wie jeder in unserer Familie.... Was macht mein Bruder hier? Und warum umarmte Stacy ihn? Und warum lächelte er mich freundlich an? 

Er ließ von Stacy ab und ging auf mich zu und streckte mir dann allen ernstes seine Hand entgegen: "Hi, ich bin Brandon, ein Freund von Stacy und Cole." stellte er sich vor.

Ich konnte nichts tun, ich stand nur da und suchte nach dem Scherz. Der Lüge, dass er mich doch erkannte. Das er mich, seine kleine Schwester doch wiedererkannte. Aber dem war nicht so. Er meinte das ernst. Unfähig seine Hand zu ergreifen kullerte die erste Träne aus meinen Augen, was ihn wirklich die Stirn runzeln ließ. Ich stolperte zwei meter zurück, während ich versuchte wieder zu atmen, aber ich bekam meinen Mund einfach nicht auf. Ohne ein weiteres Wort lief ich an ihm vorbei ins Freie und hinter die Schule. Ich stützte mich an einer Wand ab und brach in Tränen aus. Ich weinte richtig, dass erste Mal seit etwas mehr als zwei Jahren. Es wurde einfach zu viel. Ich kann das nicht mehr. Es brach alles über mir zusammen. Ich bin doch auch nur ein Mensch. Ich kann nicht alles ertragen. Mein Bruder?! Ausgerechnet er? Ich schluchzte und japste nach Luft und begann zu verzweifeln.

"Bitte, Ben, bitte. Ich kann nicht mehr." flehte ich in die Luft, in der Hoffnung er würde es irgendwie merken, so wie er es immer tat "bitte, komm!"

Ein Kampf ums LebenWhere stories live. Discover now