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LILLIAN

Ich zucke bei jedem Knall zusammen. Der Kerl stürmt an mir vorbei und schaut aus dem Fenster hinunter auf die Straße. Es ist so dunkel in meiner Wohnung, dass man einen perfekten Ausblick auf das Geschehen hat. Dort unten tobt ein Bandenkrieg und ich bin mittendrin. Ich habe all die Tage gehofft, dass es nicht in mein Viertel kommt, doch da war ich wohl zu naiv. Ausgerechnet einer von diesen Kerlen steht in meiner Wohnung. Hat er jemanden umgebracht? Der Schuss vorhin, war der aus seiner Pistole? Wird er mich auch töten? Er wird sicher nicht davor zurückschrecken, wenn ich nicht tue, was er mir sagt. Kriminelle wie er, die interessiert es nicht, ob ich ein weiteres Opfer bin. Sie fühlen nichts, wenn sie abdrücken. »Scheiße«, brummt er. Ich stehe unschlüssig drei Meter hinter ihm in der Dunkelheit und lasse meine Augen an seinem Körper entlangwandern. Seine Arme sind mit schwarzen Tätowierungen übersäht und so muskulös, dass es fast schon wieder heiß aussieht. Verdammt was denkst du da, Lillian?

»Du blutest«, stelle ich schluckend fest und starre wie angewurzelt auf den dunkelroten Fleck, der immer größer wird und beginnt sein Shirt zu tränken. Das auf der Vorderseite schaut trotzdem nicht aus wie seines, aber da könnte ich mich auch irren. Der Unbekannte dreht sich zu mir um und fährt dabei zusammen. »Fuck«, brummt er und hält sich mit einer Hand die Seite. Mit der anderen hebt er die Waffe an und richtet sie auf mich. Seine markanten Züge und die eiskalten Augen brennen sich in mein Gedächtnis. Ich glaube nicht, dass ich sie je wieder vergessen werde. Der Lauf der Waffe zeigt auf meinen Kopf und der Fremde stiert mich an. »Geh ins Bad«, brummt er und ich nicke. Mit langsamen Schritten laufe ich in mein Badezimmer, taste die Wand nach dem Lichtschalter ab. Gerade als ich ihn umlegen will, drückt er die Pistole in mein Schulterblatt und schubst mich in den Raum. »Denk nicht mal dran«, warnt er und kickt die Tür mit seinem Fuß zu. Sie scheppert ins Schloss und der Fremde sinkt auf den Rand meiner Badewanne, zieht sich umständlich sein Blut getränktes Shirt über den Kopf, das achtlos hinter ihm landet. Die Waffe lässt er nicht einmal sinken. Ich ziehe unter dem Waschbecken ein kleines Kästchen hervor und lege es auf den geschlossenen Toilettendeckel. Ich krame ein paar sterile Mullbinden hervor und wende mich wieder dem dunkelhaarigen zu. »Ist nur ein Streifschuss«, zischt er dennoch unter Schmerzen, selbst wenn er einen auf harten Kerl machen will. »Darf ich?«, frage ich leise und deute auf die Wunde. Er hebt seine silberne Pistole wieder an und blickt mir ernst in die Augen. »Aber keine Spielchen«, rät er mir und ich knie mich vor ihn. Natürlich werde ich nichts Unüberlegtes tun. Ich bin schließlich nicht dumm.

Mit einem Lappen befreie ich seine Seite vom Blut und stelle fest, dass die Wunde nicht tief ist und sie dennoch genäht werden muss. Schockiert presse ich ein paar Kompressen auf seine Seite und er stöhnt auf. »Pass gefälligst auf!«, schnauzt er und lässt mich nicht aus den Augen. Er vertraut mir nicht. Denkt er wirklich, ich wäre so blöd und würde versuchen ihm die Waffe abzunehmen?
»Das muss genäht werden«, lasse ich ihn mit dünner Stimme wissen und schniefe ein letztes Mal. Vorsichtig wickle ich zwei Verbände um seinen definierten Oberkörper und stelle so sicher, dass es aufhört zu bluten und kein Dreck in die Wunde kommt. »Ich werd's überleben«, knurrt er und scheucht mich weg. Ich erhebe mich wieder und mache mich daran, alles wegzupacken und mir das Blut von den Fingern zu waschen. Es färbt das Wasser, das ins Waschbecken rinnt, dunkelrot. Gedankenverloren schaue ich dabei zu wie es im Abfluss verschwindet. Derweil lugt der Kriminelle neben mir aus dem Fenster und beobachtet das Geschehen auf der Straße. Noch immer höre ich Kugeln durch die Luft fliegen. Zum Glück liegt meine Wohnung weit genug oben und nicht im ersten Stock. Ich sollte hier normalerweise sicher sein, wenn nicht gerade einer von dieser Bande hinter mir sitzen würde, verletzt. »Die Cops werden gleich hier auftauchen. Ich kann erst morgen früh weg, wenn sich die Sache gelegt hat. Ich kann nicht riskieren runterzugehen. Außerdem werden sie alles durchkämmen«, lässt er mich wissen und erhebt sich stöhnend, mit schmerzverzogenem Gesicht. Er will hierbleiben? Ich soll eine Nacht mit diesem Verbrecher in meiner Wohnung verbringen?

»Nein!«, stoße ich mutig hervor und drehe mich um. Der Fremde kommt mir misstrauisch ein paar Schritte näher und blickt finster auf mich hinab. Er überragt mich haushoch im Stehen. Er will mich einschüchtern. »Wie bitte?«
»I-ich meine ich- also... suchen diese Männer dich? Was hast du getan? Wer bist du?«, hake ich nach. Der große dunkelhaarige hält sich seine Seite und stützt sich mit der Hand, in der er die Waffe hält, neben mir am Waschbecken ab. »Und wer bist du?«, raunt er mir aus gefährlicher Nähe entgegen. Ich schlucke, was meine Staubtrockene Kehle kein bisschen feuchter macht. »Lillian. Lillian Jones«, stelle ich mich ihm vor. Vielleicht kann ich die Situation so entschärfen. Der Schreck sitzt immer noch tief in meinen Knochen und ich will auf keinen Fall, dass dies hier in Blutbad wird. Ich will das er geht. Irgendwie muss ich ihn dazu bekommen zu verschwinden. Dieser Typ bedeutet Unheil, das spüre ich wie eine Eiseskälte, die mir in die Knochen kriecht. Wie ein Eissturm oder Hagel.
»Ich werde nicht gehen, Lillian«, stellt dieser muskulöse dunkelhaarige klar. Er legt seinen Kopf schief und mustert mich, als wäre ich seine Beute und er ein ausgehungertes Raubtier.
»Wieso nicht? Sind diese Männer von den Vallians?«, frage ich weiter. Ich weiß nicht viel über das was dort vor sich geht. Die Clans interessieren mich noch weniger, aber es war ein Vallian, den sie Tod aufgefunden haben.
»Was weißt du über die Vallians?«
»Nichts«, beteuere ihr ehrlich, »ich kenne ihren Namen aus den Nachrichten.«

Er schnaubt belustigt und stößt sich vom Waschbecken ab. »Zeig mir das Wohnzimmer«, verlangt er und deutet mit der Pistole in Richtung Tür. Es ist eine Geste, die mir sagen soll, dass ich nun loslaufen sollte. Das tue ich zur zögerlich. Voran laufe ich durch meine dunkle Wohnung ins Wohnzimmer, wie befohlen. Ich halte mich nicht damit auf das Licht einzuschalten. Der Fremde lässt sich auf mein Sofa fallen und stöhnt erneut vor Schmerzen auf. »Ich habe Tabletten«, erzähle ich und weiß nicht, wieso ich das tue. Ich sollte diesem Mörder nicht auch noch helfen seine schmerzen zu lindern. Das verdient er nicht. »Wie stark?«
»Verschreibungspflichtig«, antworte ich und stehe unschlüssig neben dem Türrahmen. Misstrauisch schaut er sich in meinen vier Wänden um. »Hast du eine Waffe?«
»Nein.«
»Wo ist die Küche?«
»Gegenüber, der Messerblock ist auf der linken Seite, falls du das Wissen willst. Ich bin nicht so dumm wie du vielleicht denkst und ein Telefon habe ich auch nicht mehr. Ich könnte nicht mal die Polizei anrufen...« murmle ich und beiße mir auf die Zunge. Verdammt, der Gedanke das der bewaffnete tätowierte nicht vor morgen früh gehen wird jagt mir so viel Angst ein wie die Schüsse, die ich noch immer von unten höre. Als ich zusammenzucke atmet der Fremde aus. »Wenn du dich doch dazu entscheidest, dumm zu sein, knall ich dich ab. Jetzt hol diese verfickten Pillen«, knurrt er und ich setze mich in Bewegung. In meinem Schlafzimmer angekommen sinke ich auf mein Bett und lasse die Schultern sacken. Tief durchatmend schließe ich meine Augen und nehme mir einen Moment, um mich zu sammeln. Ich will vor diesem Kerl nicht heulen, damit er nicht denkt ich sei schwach. Aber das alles macht mir Angst. Ich wünschte mein Adoptivdad wäre hier. Er hat mir immer das Gefühl gegeben, das er mich beschützt, komme was wolle. Er war es sogar der mir davon abriet in diese Gegend zu ziehen. Ironisch, wenn man bedenkt in welcher Situation ich nun stecke. Gott, bitte lass mich diese Nacht unversehrt überstehen.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now