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SANTINO

Das Piepen ist erträglicher geworden.
Ich fühle mich nicht grauenhaft wie zuvor, sondern schon etwas besser, wenn ich im Krankenhaus bin. Der Geruch und die kahle Atmosphäre erinnern mich zwar immer noch daran, was damals passiert ist, aber im Gegensatz zu meiner Mom, geht es Lillian etwas besser und ihr Herz schlägt noch. Vor ein paar Stunden hat einer der Männer, die vor ihrer Tür Wache halten sollen, mich angerufen, um mir mitzuteilen, dass sie langsam wach wird. Gestern Abend soll sie wohl zweimal geblinzelt haben und auf die Schwester reagiert haben, aber ihre Werte waren so hoch, dass sie sie mit Beruhigungsmittel schlafen legen mussten. Heute sieht das schon ganz anders aus. Zarte Sonnenstrahlen der tief stehenden Wintersonne fallen durch die Lamellen ins Zimmer und erhellen ihre blassen Wangen. Das Piepen der Monitore ist gleichmäßiger und nicht so holprig wie die Tage zuvor. Die Blässe ist ihr noch nicht aus dem Gesicht gewichen, aber sie ist im Vergleich rosiger als zuvor. Auf dem Kiefer mahlend lehne ich gegen der weißen Wand zwischen den Fenstern und betrachte die schlafende Lillian gedankenlos. Sie schaut aus wie Dornröschen in diesem Bett.
Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier stehe oder sie anschaue, geschweige denn wann ich das Krankenhaus überhaupt betreten habe. Es war direkt nach dem Frühstück, und nun ist die Sonne so niedrig, dass sie bald wieder untergeht. Schwestern kamen und verschwanden wieder. Sie tauschten ihre Infusionen und hingen ihr Blutreserven an. Auch jetzt ist eine im Zimmer, die die letzte Reserve gerade vom Haken nimmt und eine klare Flüssigkeit an den Tropf anschließt. Auf der linken Seite bekommt sie Blut, an ihrem rechten Arm Antibiotika, habe ich mir sagen lassen. Immer wenn etwas durch das feine Röhrchen zum ersten Mal in ihren Körper fließt, geht ihr Herzschlag für einen Moment nach oben, bevor er sich wieder beruhigt.
»Wie viele bekommt sie noch von denen?«, frage ich mit rauer Stimme, sie ist ganz kratzig von den Stunden, in denen ich kein Wort gesagt habe. Die rothaarige Schwester versenkt den leeren Beutel in einem Mülleimer und prüft die Monitore, die um das Bett platziert wurden. »Das richtet sich nach ihrem Zustand, aber es wird besser, das sieht man bereits«, erklärt sie und schenkt mir ein beruhigendes Lächeln. Ein einfaches Nicken kommt von mir. Ich starre auf Lillian hinab und hoffe, dass sie bald aufwacht. »Wollen sie sich nicht einen Kaffee holen? Die Infusion mit Schmerzmittel läuft und solange die noch nicht ausgelaufen ist, wird sie nicht aufwachen. Es ist zu stark«, erkundigt die Schwester sich mit dem Rücken zu mir stehend. »Ja«, murmle ich fertig mit den Nerven und reibe mir übers Gesicht, wieso eigentlich nicht.
Als ich ins Zimmer zurückkehre ist sie verschwunden und Lillian und ich sind wieder allein. Ich sinke auf den Stuhl zwischen Fenster und Bett und nippe an dem heißen Becher Kaffee. Dafür das er aus einem Krankenhausautomaten ist, ist er nicht übel. Er hält mich wach, das ist das Wichtigste. Bei dem regelmäßigen piepen wird mir langsam müde.

~

Irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen, obwohl ich den ganzen Becher Kaffee geleert habe. Zusammengesunken sitze ich im Stuhl, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und die Hände in den schwarzen Bauchtaschen vergraben. Es ist so gemütlich, wie ein harter Plastikstuhl eben sein kann. Stöhnend hebe ich den Kopf mit geschlossenen Augen und lege ihn in den Nacken. Mein Rücken schmerzt und von meinem Kopf gar nicht erst angefangen. Ich will einfach nur, dass es bald vorbei ist. Mittlerweile ist mir klar, dass Lillian es nie vor unserem Rückreisedatum schaffen wird, flugtauglich zu werden. Der Arzt erklärte mir bereits, dass sie nicht fliegen darf, solange ihre inneren Verletzungen nicht geheilt sind, da sonst die Nähte wegen des Drucks reißen könnten. Bei James habe ich meinen Aufenthalt also um einige Wochen verlängert. Meinen Vater habe ich davon noch nicht in Kenntnis gesetzt, der wird ohnehin nicht sehr erfreut sein.
In New York ist die Kacke am Dampfen. Ein paar Mal habe ich mir Zeitungsberichte zur aktuellen Lage durchgelesen und es gleich wieder sein lassen. Nichts hat sich verändert, seit wir weg sind. Die Straßenkämpfe sind blutig und brutal. Es ist noch lang kein Ende in Sicht.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now