63

11.4K 349 9
                                    

LILLIAN

Am nächsten Morgen erwache ich in Santinos Armen liegend. Sein heißer Atem schlägt gegen meine Halsbeuge und seine Arme halten mich an Ort und Stelle halten. Ich könnte nicht entkommen, selbst wenn ich das wollte. Unter der dicken Bettdecke hat sich eine Wärme ausgebreitet, die mich glatt wieder müde macht. Seine Brust hebt und senkt sich an meinen Rücken gepresst und ich beobachte die Schneeflocken beim Fallen, durch das Fenster gleich neben dem Bett. Draußen muss es eisig kalt sein, und ich bin froh nicht mehr in diesem Keller zu sein. Noch einen Tag länger, hätte ich nicht ausgehalten.

Nachdenklich betrachte ich meine eingewickelten Handgelenke und streiche über meinen weißen Verband. Für eine Weile wird mich dies noch daran erinnern, was geschehen ist. Ich kann nur beten, dass die Bilder aus meinem Kopf bald verschwinden. Sie quälten mich die ganze Nacht.
Ausatmend bewegt der muskulöse Italiener sich hinter mir und legt seine Hand auf mein verwundetes Handgelenk. Seine Finger streichen bedacht über den Stoff, so wie meine zuvor. Er sagt nichts, stattdessen treffen seine Lippen meinen Hals und lassen mich seufzen. »Habe ich dich geweckt?«, frage ich ihn flüsternd. »Deinen inneren Konflikt höre ich bis hierher, mia bella«, nuschelt er mit schlafbelegter Stimme in mein Haar. »Tut mir leid«, entschuldige ich mich ehrlich und greife nach seiner Hand, um sie an mein Gesicht zu ziehen. Seine Fingerkuppen kitzeln meine Haut und lassen mich meine Augen schließen.
»Dir muss überhaupt nichts leidtun, bella.«
»Dir auch nicht«, erwidere ich aus dem gefrosteten Fenster schauend. Die Skyline von New York City ist atemberaubend, selbst bei Tag. Er schnaubt an meinen Hals. »Ich hätte-«
»Hör auf Santino.« Sauer drehe ich mich in seinen Armen um und runzle meine Stirn. Ich lege meine kalten Finger an seine Wangen, halte sein Gesicht in den Händen und lehne meine Stirn gegen seine. »Hör auf damit«, krächze ich und vergieße eine Träne. »Das ist nicht deine Schuld... Bitte mach dir keine Vorwürfe Santino. Ich will es nur vergessen und nicht, dass du dir alle Schuld gibst. Du-«, meine Stimme bricht kratzend ab. Der Italiener zieht mich enger gegen sich und küsst meine tränennasse Wange. »Du warst nur wegen mir in dieser Lage, Lillian. Das werde ich mir nie verzeihen können«, macht er mir klar. Seine Worte verletzten mich, weil ich seinen Schmerz plötzlich fühle. Es überwältigt mich, reißt mich mit sich und stößt mich eine Klippe herunter. Ich kneife meine Augen zusammen und bete, dass dieses Gefühl schnell verschwindet. Ich will es vergessen, genau wie ich die letzten Tage vergessen will. Nichts zählt, außer hier zu liegen. Hier neben ihm und die Welt zu vergessen.
»Ich liebe dich«, rutscht es mir ehrlich heraus und bringt mein Herz zum Stillstehen, da die Stille die folgt mich fast umbringt. Eine Last fällt gleichzeitig von meinen Schultern. Es fühlt sich gut an, es endlich gesagt zu haben, aber auch so unglaublich falsch.Wieso sagt er nichts? Fühlt er es nicht auch, oder-
Seine Hand an meiner Wange bringt meine Augen zu öffnen. Seine dunklen Iriden fressen sich in die meine, dringen tief in meine Seele ein. Das Zimmer um uns verblasst, die Zeit droht stehenzubleiben. Santinos schwarze Augen füllt ein Funkeln, dass zu einer lodernden Flamme heranwächst. Es ist intensiv, gefühlvoll, mitreißend. Ich versinke in den tiefen seiner Augen und fühle seine Antwort, ohne dass er sie aussprechen muss. Auf seinen Lippen breitet sich ein wunderschönes Lächeln aus, eines das breiter und heller ist, als ich es je bei ihm gesehen habe. Er zieht meinen Kopf näher vor seinen, dreht mich auf den Rücken und küsst mich über mir beugend so intensiv wie nie zuvor. Ich fühle seine Liebe, seine Wärme, das Prickeln in meinen Knochen. Seufzend gebe ich mich diesem aufregendem Gefühl hin, dass mich so müde und glücklich macht.
»Ti amo, mia bella«, raunt er mir zu und mein Herz explodiert wie ein buntes Feuerwerk im Himmel.

~

Stunden später begreife ich noch immer nicht, was geschehen ist. Ich sitze am Küchentisch im Penthouse zusammen mit Fergus, während Ewan und Santino hinter der Kücheninsel stehen und kochen. Schon längst habe ich vergessen, was es überhaupt gibt. Ich bin viel zu sehr in Gedanken versunken und muss an die letzten Stunden denken. An das, was Santino gesagt hat. Daran, dass er das gleiche fühlt, wie ich auch. Nichts könnte noch zwischen uns kommen.
»Hat der irgendwas mit dir gemacht?«, reißt Fergus mich aus meinen Gedanken und mustert mich akribisch von Kopf bis Sohle. Er ist misstrauisch, und sein restlos verwirrter Blick urkomisch. »Nichts«, schmunzle ich und beiße mir auf die Unterlippe, »ich war nur in Gedanken versunken.«
Das klingt tatsächlich plausibel. Mein Bruder ist dennoch skeptisch und brummt etwas, das ich nicht verstehe. Er wirft Santino einen düsteren Blick zu, der ihn nicht beachtet. Er ist dafür zu sehr in das Gespräch mit Ewan vertieft, dass sie führen. Ich ahne, dass es um gestern geht. Die beiden sprechen sehr leise und schauen immer wieder, ob wir -besser gesagt ich- es mitbekomme. Sie haben Geheimnisse. Will ich wissen, was mit dem Mann geschehen ist, der mich festhielt? Ich weiß, dass er ein Vallian war. Julian, wenn ich mich recht an einen Artikel in der Zeitung erinnere, der mir vor ein paar Wochen über den Tisch gerutscht ist. Der Feind der Benellis hatte mich, um Rache an ihnen zu üben. Ich will mir nicht vorstellen, was die mit mir getan hätten, wenn...
Die Zähne aufeinanderpressend senke ich meinen Kopf hinab und starre in die warme Tasse Kakao zwischen meinen Fingern. Den Gedanken, kann ich nicht zu Ende spinnen. Es läuft mir bereits kalt die Wirbelsäule hinab und ich habe nicht vor, mehr Zeit daran zu vergeuden, an das was wäre, wenn zu denken. Das schwöre ich mir in diesem einen Moment. Mein Zeigefinger kreist im gleichen Zügen über den Rand der Tasse und ich versinke tiefer in meinen Gedanken. Irgendwann werden die Gespräche leiser und ich starre in das dampfende schokoladige Getränk hinein, bis die Stimmen verstummen und ich endlich Ruhe habe.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now