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LILLIAN

Freitagabend, überredet mich eine Arbeitskollegin schließlich, etwas mit ihr trinken zu gehen. Nach reichlicher Überlegung, musste sie mir versprechen, dass wir beide vor dem Beginn der Ausgangssperre wieder zuhause sein werden.
Und tatsächlich ist es halb so übel, wie ich zu Beginn dachte. Sie hat ein wirklich schönes Lokal nicht weit von der Arbeit ausgesucht, in dem wir eine Kleinigkeit gegessen und zwei Cocktails getrunken haben. Maya Collins ist noch nicht lang bei der General, aber bis jetzt finde ich sie recht nett.
»...Also bin ich in die Stadt gezogen und naja, es ist verdammt schwer hier Freunde zu finden«, nuschelt sie und stopft sich eine Salzstange in den Mund. Zustimmend nippe ich an meinem Minz Cocktail. »Ja, ich arbeite ein paar Jahre für die Zeitung, aber die meisten wollen nur ihren Job machen. Sie sind zwar nett, aber-«
»Aber wollen sich nicht auf ein paar Drinks treffen«, beendet Maya meinen Satz und wir beide lachen. Die blondierte Journalistin mit den roten Lippen und der neugierig wirkenden Brille, ist anders als der Rest meiner Kollegen. Ich fühle mich wohl, hier mit ihr zu sitzen und hätte nicht gedacht, dass wir auf der selben Wellenlänge sind. Es stimmt was sie sagt, auch mir ist es schwergefallen Anschluss zu finden. Die Anonymität der pulsierenden Metropole kann deprimierend sein. Irgendwann habe ich mich damit abgefunden, doch dass bedeutet nicht, dass ich es mag, keine Freunde zu haben. Maya ist die erste seit Jahren, mit der ich verabredet habe. Sie erzählte mir, dass sie erst ein paar Monate in der Stadt wohnt, und davor bei einer Agentur arbeitete. Journalistin ist ihr Kindheitstraum gewesen und sie wirkt tatsächlich wie eine rasende Reporterin auf mich. Ihre Aura hat etwas magisches und unglaublich sympathisches. Ich mag es, Zeit mit ihr zu verbringen. Es scheint als, wäre der Stress der letzten paar Tage von mir abgefallen und ich kann endlich wieder klar denken. Ob das nicht vielleicht doch an dem Cocktail liegt? Nein. Ich schiebe es nicht auf den Alkohol. Es wird unser Gespräch sein.

»Also, hattest du bis jetzt einige Aufträge? Ich habe noch keinen Artikel von dir über meinen Tisch gehen sehen«, erkundige ich mich neugierig und schnappe mir ebenfalls eine Salzstange. »Ein paar, aber nichts, dass schon fertig wäre. Nächste Woche lege ich den ersten Artikel meinem Chef vor. Falls er ihn mag, wird er erscheinen.«
»Ich werde ihn auf jeden Fall lesen«, versichere ich ihr. Lächelnd röten sich ihre Wangen. »Danke, ich fühle mich geehrt. Du kümmerst dich um das Layout, oder?«
»Ja und um einige andere Dinge... Es ist nicht so vielfältig wie dein Job, aber er macht Spaß«, gebe ich zu und schiebe mir die nächste Salzstange in den Mund. Maya zuckt mit den Schultern. »Manchmal ist es schön, nicht bei Wind und Wetter unterwegs sein zu müssen«, erinnert sie mich. »Stimmt«, erwidere ich mit vollem Mund, daran habe ich gar nicht gedacht.

~

»Also«, sagt Maya nach über einer Stunde und blickt auf den leeren Boden ihres Glases, »kennst du hier irgendwelche Clubs?«
Grübelnd setze ich meinen dritten Cocktail an und nehme einen großen Schluck. »Nein«, schüttle ich anschließend meinen Kopf, »sehe ich aus, wie jemand, der irgendwelche Nachtclubs kennt?«, frage ich sie und die blonde kichert angetrunken. »Okay«, winkt sie ab und rutscht von dem hohen Barstuhl auf die Füße, »dann lass uns einen suchen. Vielleicht-« ihre Augen fahren den Raum entlang, »weiß der Barkeeper einen.« Entschlossen marschiert sie auf ihn zu und stützt ihre Unterarme auf den braunen Holztresen des Restaurants und spricht ihn an. Der dunkelhaarige schaut von ihr zu mir, nickt schließlich und wechselt ein paar Worte mit ihr. Irgendwoher kenne ich ihn, da bin ich mir sicher. Er sieht wirklich gut aus, verboten gut, aber nicht besser als- wow, woher kommt dass denn? Blinzelnd schüttle ich mich und leere meinem Alkohol, bevor Maya zurück ist. Sie strahlt über beide Ohren und hängt sich ihre braune Ledertasche über die Schultern. »Bex hat uns die Adresse von einem Club gegeben, in dem er nachher noch arbeitet«, grinst sie breit und hält mir den hellen Bildschirm ihres Telefons unter die Nase, auf dem eine Adresse bei Maps eingegeben wurde. Herolds Nightclub. Irgendwoher kenne ich diesen Namen...
»Ist das... weit?«, frage ich angetrunken und rutsche ebenfalls auf meine Füße. Gott sind die Tische und Stühle hier hoch...
»Mhm nein, es liegt noch auf Manhattan, nur ein paar hundert Meter weiter«, murmelt sie und schnappt meine Hand. Ich kann gerade noch so nach meiner Tasche schnappen, bevor sie mich aus dem Lokal schleppt.
»Taxi!«, ruft sie durch die kalte Nacht hinein und ich bereue es, nicht nochmal zurück in mein Büro gegangen zu sein, nachdem ich merkte, dass ich meine Jacke vergessen hatte. Mist.
Maya wirft die Hand in die Luft und wippt am Bordstein von einem auf das andere Bein, bis schließlich eines der typischen gelben Taxis vor uns parkt. Aufgeregt quietschend reißt sie die hintere Tür auf und wir stolpern hinein. »Gott«, murmle ich als ich Bekanntschaft mit den Sitzen mache und merke, wie angetrunken ich mittlerweile bin. Eine ganz blöde Idee Lillian... eine ganz blöde.
»Wo soll's hingehen, Ladies?«, erkundigt der ältere Taxifahrer sich bei uns und wirft uns einen knappen Blick durch den Rückspiegel zu. »Herolds Nightclub«, nuschelt Maya und schnallt sich umständlich an. Nickend fädelt der Fahrer sich wieder in den Verkehr ein.

Es dauert eine schier endlos lange Zeit, bis wir an unserem Ziel ankommen und ich fast auf allen Vieren auf dem Bordstein liege, da ich beim aussteigen mit dem Fuß hängen bleibe. Zum Glück kann ich mich noch anfangen und atme tief durch. Mensch, dass wäre wirklich peinlich gewesen.
»Danke fürs fahren, hier«, unterhält Maya sich noch mit dem Fahrer, der sich bedankt und weiterfährt, als wir beide ausgestiegen sind. Anmutig erhebt sich das hohe Gebäude in New Yorks Straßen in den Himmel. An der unscheinbaren Fassade des Nachtclubs prangt Herolds in Versalien und beleuchtet die vorangeschrittene Nacht. Wie spät es wohl ist?
Maya zieht mich bis zum Gebäude, an dem zwei schaurig wirkende Türsteher den Eingang flankieren. »Ausweis«, verlangt der eine und Maya verdreht ihre Augen. »Bitte, ich bin fünfundzwanzig«, nuschelt sie frustriert und kramt in ihrer Tasche herum. Ich hingegen habe ich binnen weniger Sekunden gezückt. Der rechte Türsteher nimmt ihn mir ab und funkelt ihn mit einer Taschenlampe an. »Viel Spaß«, wünscht er mir und öffnet mir die Tür. Auch Maya wird hereingelassen. Zufrieden quietscht sie neben mir auf und hängt sich ihre Tasche wieder um. Wir passieren eine kleine Garderobe, die ich zuvor noch nie in einem Nachtclub in der Stadt gesehen habe. Eine nette Frau nimmt uns die Taschen ab und verstaut sie sicher in einem Schließfach, zu dem nimmt sie unsere Ausweise und klebt einen kleinen Zettel mit der Nummer des Fachs dazu. »Die bekommt ihr wieder, wenn ihr geht«, erklärt sie und wir laufen weiter. Komisch.

Je tiefer wir in das Gebäude laufen, desto lauter dröhnt mir die Musik und der tiefe Bass in den Ohren. Lichter flackern, mein Herz pulsiert. Maya schleppt mich durch die Masse auf der Tanzfläche, bis zur Bar auf der anderen Seite des Raumes. Ich wundere mich, wie viele Menschen trotz der bald in Kraft tretenden Ausgangssperre noch hier sind. Kümmern sie sich nicht darum, oder ist es ihnen einfach nur egal, ob sie zwischen die Fronten geraten?
»Zwei Tequila Sunrise und zwei Shots Vodka«, bestellt uns Maya über die laute Musik hinweg bei der rothaarigen hinter der Bar. Die Frau nickt sofort und beginnt unsere Drinks zu mischen. In der Zwischenzeit sinke ich auf den freien Barhocker und schaue mich ein wenig im Herolds um. Die Wände sind schwarz gefärbt und werden immer wieder von bunten Lichtern gestreift. Von der Decke hängt ein monströser moderner Kronleuchter mit Spiegelglas, das den Lichtstrahl in Millionen teilt und den ganzen Raum funkeln lässt. Der erste Stock liegt offen über der Tanzfläche und ist von einem gläsernen Geländer umgeben. Ich entdecke eine weitere Bar dort oben, sowieso einige Sitzmöglichkeiten. Allen in allem, ist der Nachtclub recht hübsch und modern eingerichtet. Die Musik ist gut und den Drink den ich mir soeben die Kehle runterkippe, ebenfalls. Der Vodka brennt wie Feuer, doch das könnte mir im Moment nicht egaler sein. »Auf den Freitagabend«, kreischt Maya betrunken und bestellt die nächsten Shots. Wir stoßen mit unserem Cocktails an, trinken einige schlucke und die Zeit verfliegt.

Die nächsten Stunden betrinken wir uns an der Bar und ich habe so viel Spaß wie schon lange nicht mehr. Tatsächlich tauchte dieser Bex nach einer Weile hinter der Bar auf und war sehr erfreut, als er uns sah. Er hat ein paar Worte mit Maya gewechselt, die immer wieder errötet ist. Irgendwann haben sie sich fast mit ihren Blicken ausgezogen. Das ist mir zu viel geworden, also bin ich auf die Tanzfläche. Dicht an dicht drängen sich die Körper und wackeln im Takt der Musik. Ich werfe die Arme in die Luft, genieße wie der Beat der Musik meinen Körper beherrscht und singe leise mit. Ich fühle mich frei, losgelöst und glücklich. Ich muss einen Moment mal nicht an die Benellis oder Santino denken, nicht an meine Arbeit und auch nicht an meine restlichen Probleme. Ich kann ich sein, und das ist noch viel wichtiger. Ich lebe mein Leben, dass dank Maya. Ich glaube, wir werden gute Freunde werden. Ja, da bin ich mir zu tausend Prozent sicher. Lächelnd bewege ich meine Hüften, drehe mich im Kreis und blicke gen Decke. Die bunten Lichter huschen über mein Gesicht, mein Herz schlägt kräftig auf. So viel Spaß hatte ich die letzten fünf Jahre nicht mehr.
Blöd nur, dass mir völlig entgeht, wie spät es schon geworden  ist...

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now