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SANTINO

Es tut mir ehrlich leid für sie, dass wir bereits gehen müssen. Den ganzen Tag hat sie mit ihrem Bruder verbracht, bis es hieß Abschied nehmen und sie ihn so herzlich umarmt hat, dass ich glatt ein bisschen eifersüchtig geworden bin. Aber er ist ihr Bruder, daher geht keinerlei Gefahr von ihm aus. Ewan hat mir seine Hilfe versichert wenn wir sie brauchen, und ich habe versprochen ihn nur im äußersten Notfall zu kontaktieren. Er ist glücklich mit seiner Frau und ich will ihr Familienglück nicht stören, wenn es nicht sein muss. Es gibt genug Verbündete, die wir in den Staaten haben, und doch muss ich - müssen die Benellis- diesen Kampf allein ausführen. Sobald wir zurück in NYC sind, wird es ernst werden, dass spürt auch Lillian. Nach dem Blowjob den sie mir gestern Abend gegeben hat haben wir heute morgen nur wenige Worte gewechselt, und auch auf der Fahrt vom Castle bis zum Flughafen sich sie schweigsamer denn je. Die gesamte Zeit über weiß ich nicht, was ich zu ihr sagen soll. Sie ist traurig, was mir das Herz bricht. Ich weiß wie sehr sie bleiben will, auch wenn sie behauptet es macht ihr nichts aus. Natürlich tut es das. Wem will sie damit ein besseres Gefühl geben? Mir? Das muss sie sicher nicht. Ich schwöre mir, dass ich dafür sorgen werde, dass sie sie bald wieder sehen kann, auch wenn wir vielleicht nicht mehr gemeinsame Wege gehen.

Im Flugzeug ist die Stimmung zwischen uns ebenfalls angespannt, so interpretiere ich es jeden falls. Sie sitzt mit angezogenen Knien auf dem Sessel mir gegenüber unter einer dicken Decke und mit einem Kissen im Nacken. Es dauert nicht lang, bis sie einschläft. Ich sollte während des Fluges die Zeit nutzen um einige Dinge was den Konflikt betrifft nachholen, aber ich schaffe es nicht, meine Augen von ihrem schlafenden Gesicht zu nehmen. Ihre Lippen sind so voll, die Wimpern so natürlich dunkel. Sie wirkt friedlich. Allein diese Tatsache flacht meinen Herzschlag beruhigt ab und mein Körper sinkt tiefer ins Leder.
»Du magst sie, hm?«, schaltet Kyle sich ein und stützt mit dem Ellenbogen auf der Armlehne seines Sitzes. Zwischen uns ins der Gang, den eine der Flugbegleiterinnen gerade passiert. Ohne den Schotten Beachtung zu schenken löse ich meinen Blick endlich von Lillians zartem Schlafgesicht und starre aus dem Fenster in die Wolken. Es ist düster draußen und das Festland längst verschwunden. Unter uns befindet sich die weite See, bis wir in mehr als sechs Stunden den JFK erreichen werden.
»Also nehme ich das als ein Ja«, spekuliert mein bester Freund. Mit den Fingern auf dem Sitz trommelnd lasse ich meine Augen über seine huschen. »Musst du nerven?«, brumme ich kehlig und ist mehr eine Feststellung. Natürlich muss er das...
»Mhm, ich spreche das offensichtliche aus«, zuckt er unbeeindruckt mit seinen Schultern. Meine Zähne reiben knirschend aufeinander. »Wenn es so offensichtlich ist wie du sagst, wieso fragst du dann?«, fahre ich ihn an und bilde meine Hände zu Fäusten. Kyles Brauen zucken in die Höhe und sein Gesichtsausdruck verwandelt sich in ein provozierendes grinsen. »Weil deine Reaktion mich wahrlich amüsiert, Santo. Ehrlich, wenn du sie weiter so anstarrst, hat bald der ganze Flieger mitbekommen, was da läuft.«
Ich schnaube und winke die Blonde Bedienung heran. Bei ihr bestelle ich mir einen Drink und deute ihr mit der Hand zu verschwinden, bevor ich mich wieder an Kyle wende. »Da läuft nichts und jetzt halt dein dummes Maul. Wir fliegen nachhause und dann werden wir uns nicht wieder über den Weg laufen. Zumindest, solang das NYPD uns noch an den Fersen ist. Die werden sie sonst ausquetschen wie eine Fliege«, schnauze ich ihn genervt an und nehme meinen Drink entgegen. Einen großen Schluck genehmige ich mir, stelle ihn auf dem Tisch zwischen Lillians und meinem Sitz ab und betätige einige Knöpfe am Sitz, die die Lehne etwas nach hinten fahren lassen. Entspannt lehne ich mich zurück und schaue weiter aus den Ovalen Fenstern in die anbrechende Nacht.
»Weiß sie das auch schon?«, hakt Kyle leiser nach und mustert die Brünette skeptisch. Ich gehe nicht weiter auf seine Worte ein. Natürlich wird sie es noch erfahren, uns bleibt nichts anders übrig. Nach dem was passiert ist, werden sich unsere Wege irgendwann wieder kreuzen, aber fürs erste ist es besser, dass wir getrennte einschlagen. So kann ich mich endlich voll auf die Fehde mit den Vallians konzentrieren und sie kann sicher sein, dass das NYPD ihr nicht länger an den Füßen hängt. Sie wird es verstehen. Zumindest hoffe ich das. 

~

Das Schneegestöber in Schottland kommt mir plötzlich wahnsinnig schön vor, als der Flieger in New York auf der nassen Landebahn aufsetzt und mir eine eisige Mischung aus Schnee und Regen ins Gesicht schlägt, beim verlassen des Privatjets. Hier geht gerade die Sonne unter und so bleibt mir noch etwas Zeit, bevor ich ins Geschehen einsteigen muss. Meinem Vater texte ich kurz, das wir gelandet sind, und ich mich auf den Weg mache. Kyle und ich werden gleich wieder mitmischen.
»Home Sweet Home.«
Lillian kommt neben mir zum stehen und ich ignoriere ihre Worte, auf den Geländewagen zulaufend. Kyle biegt zum zweiten ab. Wir werden getrennt fahren, da ich noch Lillian an ihrem Apartment absetzen muss. »Kommst du?«, hake ich nach und schwinge mich auf den Sitz. Keine Minute später sitzt auch sie im Wagen. Während der Chauffeur unser Gepäck im Kofferaum unterbringt wühlt Lillian konzentriert in ihrer Tasche, bis sie schließlich einen Schlüssel herausfischt und ihn in ihre Jackentasche steckt. Wir haben die letzten Stunden nicht viel miteinander gesprochen, da es zwischen uns ziemlich viele Spannungen gibt. Nicht im Guten Sinne leider. Es liegt etwas in der Luft.
Selbst als der SUV vom Rollfeld fährt und wir der Stadt Näherkommen, herrscht eisige Stille auf dem Rücksitz. Sie starrt aus dem Fenster, und ich glaube, dass es ein Versuch ist, sich abzulenken. Ich sehe die Rädchen die sich in ihrem Kopf drehen fast und hoffe, dass ihr Gehirn nicht im qualmen untergeht. Ihre Miene ist angestrengt, so habe ich sie selten erlebt. Ich kann nur über das, was ihr durchs Gedächtnis geht, spekulieren, doch weis mit Sicherheit, dass es sich um die Situation handeln muss. Denkt sie, ich sehe nicht wie penetrant sie am Anhänger der goldenen Kette um ihren Hals fummelt? Es ist ein verzweifelter Versuch sich abzulenken und zu beruhigen. Der Gedanke, dass wir uns vielleicht nie wiedersehen, scheint ihr nicht zu bekommen. Aber so ist das Leben. Man muss Opfer bringen, wenn man die richtigen Leute beschützen will.

Finger trommelnd wende ich mein Gesicht ebenfalls aus dem Fenster und reibe mir die Schläfe. Meine Stirn schmerzt und ich würde mir am liebsten mit Alkohol die Kante geben, doch der Tag hat gerade erst begonnen, obwohl es schon sieben Uhr abends ist. Für die Vallians und uns, geht es gerade erst richtig los. Ich muss dringend mit meinem Vater ein Meeting abhalten, damit er mich über alles auf den neusten Stand bringt, bevor ich mit den anderen zurück auf die Straßen gehe und gegen sie in den Krieg ziehe. Es wird Zeit, dass wir Julian Vallian ein für alle mal ausknipsen. Es muss sein, um den Frieden wieder herzustellen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.

Der Chauffeur meines Vaters parkt nach einer Ewigkeit, vor einem der typischen New Yorker Backsteingebäuden und ich mache ihn als Lillians Apartmentkomplex aus. Die Brünette greift sich ihre Tasche und unsere Blicke kreuzen sich. »Willst du ... deine Kette?«, fragt sie mit kratziger Stimme und ich erkenne in ihren Iriden, wie schwer es ihr fällt. Kopfschüttelnd lehne ich ab. »Behalte sie, vielleicht hilft sie dir bald nochmal«, antworte ich und sie lässt den Anhänger in ihren Händen sinken. »Ein weiterer Gefallen?«, will sie mit großen Augen wissen. Ich zucke schmunzelnd mit den Schultern. »Egal für was. Du weist, wo du mich findest mia bella.« Ich würde ihr nie einen Wunsch abschlagen. Nicht nachdem, was geschehen ist.
»D-danke. Du hast meine Nummer oder?«, vergewissert sie sich und ich nicke erneut. Natürlich habe ich die, und sie meine. Benutzen werde ich sie nicht. Nicht bevor die Fehde zu Ende ist und wieder Ruhe eingekehrt ist.
»Also war es das?«
»Fürs erste, Ja.«
»Danke für alles Santino, wirklich. Ich hätte meine Familie ohne dich nie gefunden«, wispert sie mit dünner Stimme und zwingt sich ein Lächeln auf, das allerdings nicht ihre Augen erreicht. Je länger ich sie anschaue, desto mehr Kraft erfordert es, die Sache nicht abzublasen, und meine Meinung bezüglich unseres Kontaktes ändern. Doch die Vernunft sagt mir, dass es falsch ist. Ich werde nicht nur mir damit schaden, nein damit komme ich klar, sondern vor allem ihr. Und das will ich auf keinen Fall. Sie legt ihre Hand an den Türhebel und öffnet sie. Sie nuschelt etwas, das ich nicht verstehe, hält inne und lässt die Schultern hängen. Bevor ich mich versehe, hat sie sich umgedreht und die Distanz zwischen uns überwunden. Sie küsst mich so fordernd und gierig, dass sich mein kleiner Freund bereits regt. Ich schiebe meine Hand in ihren Nacken, ziehe sie näher, meine Zunge zwischen ihre Lippen und sie küsst mich mit so viel Gefühl und Lust, dass ich Sterne vor meinen Augen tanzen sehe. Gott, ich will sie so sehr, wäre da nicht die Reue die mein Herz flutet wie ein Wasserfall. Ich fühle mich schuldig, so so schuldig.
So abrupt wie es begonnen hat, endet es allerdings auch wieder. Sie lässt von mir ab, schlägt die Tür zu und als ich meine Augen öffne, ist sie bereits fluchtartig mitsamt ihren Koffern im Haus verschwunden. Und wir beide wissen, dies war ein Abschiedskuss.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now