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SANTINO

Whisky brennt mir wie Feuer die Kehle hinab.
Die uralte Flasche, einst ein Geschenk unserer schottischen Verbündeten, bringt mich von innen zum kochen. Er ist herb, und so verdammt heiß wie glühende Lava. Kein Wunder, dass mein Vater ihn nicht oft trinkt.
Cedar Benelli sitzt mir gegenüber am großen ovalen Tisch im Zimmer, gleich neben seinem Büro. Mit dem Rücken zum Fenster drückt er die Asche seines Zigarillos auf dem dafür vorgesehenen kleinen Schieferteller ab. Der Raum ist verraucht, es riecht nach einer Mischung aus Zigarillo, Kaffee und Whisky. Ein Geruch, der mich schon immer an meinen Vater erinnert hat. Seine Züge sind streng und wütend, aber keinesfalls verbittert. Heute hat er tatsächlich einen guten Tag. Er sitzt mürrisch in seinem Sessel und starrt auf die lange Tafel, während Kyle und ein paar andere wichtige Männer, zwischen uns auf den Stühlen sitzend, diskutieren. Ich kann in seinem Gesicht ablesen, das er innerlich kocht. Die Aktion der Vallians mit Marco ist nur ein Fünkchen, dass den Sturm in seinen Augen auslöst, als er aufschaut. Mein Vater hegt zu allein seiner Männer ein inniges Verhältnis. Er schätzt was sie für ihn und die Familie tun und sieht sie selbst als einen Teil davon an. Einige sind Mitglieder der fünften Generation. Es ist eine alte Tradition, dass die Ältesten und die die Veteranen älterer Generationen sind, ein Vetorecht haben, dass sich auf bestimmte Entscheidungen bezieht. Einmal im Moment diskutieren die Männer ausführlich, was geschehen ist und passieren wird. Das ich dabei anwesend bin, ist meine Pflicht als künftiger Erbe der Familie, doch ich könnte mir meine Freizeit wahrlich besser gestalten, als dieser Diskussion beizuwohnen.
Fakt ist, dass wir nun an der Reihe sind, unseren Schachzug zu tätigen. Die Vallians sind mit Marco zu weit gegangen und ihnen gehört ein Denkzettel verpasst. Wie dieser aussehen soll, ist den Männern am Tisch nur noch nicht klar. Sie reden und reden, aber ich bringe mich nicht wirklich ein. Meine Gedanken gelten allem möglichen, doch nicht dem Gespräch.
Es dauert eine unsagbare Zeit, bis ich meinen Fokus zurück in den Raum lenken kann und die Männer am Tisch mustere. Einige Gesicht mürrisch, andere ohne jeglichen Gefühle, andere gestikulieren wild mit den Händen. Meine Augen schweifen über Marco hinweg. Er ist kein Veteranen Mitglied und besitzt kein Vetorecht, aber um ihn ging es und es war nur fair, direkt von ihm zu hören, was passiert ist. Er sitzt neben Kyle, hat ein noch immer lädiertes Gesicht und schweigt seit ein paar Minuten eisern. Er scheint genau so abwesend wie ich zu sein.

»Was hältst du davon?«
Ich streiche mein Kinn mit den Fingern entlang und starre auf die Tischplatte, bis meine Augen das Holz verschwimmen lassen. Wann das wohl ein Ende hat?
»Santino?«, durchschneidet die messerscharfe Stimme meines Vaters die Luft. »Mhm?« Verwundert schaue ich auf und straffe seine Schultern. Cedar schüttelt missbilligend über meine Unachtsamkeit seinen Kopf, fährt dann fort. Natürlich ist er nicht begeistert davon, dass ich nicht Ohr war. »Wir sollten den nächsten Gang einlegen, sonst geht diese Fehde ewig«, erklärt der ältere und fuchtelt mit seiner rechten Hand durch die Luft.
»Und wie?«, möchte ich neugierig wissen. Was ist der Plan meines Vaters?
»Wir sollten uns darauf konzentrieren, wie wir Julian am besten eliminieren können. Es muss wie ein Unfall ausschauen und-«
»Du willst ihn schon töten? Es sind noch zu viele von ihnen, Vater. Wir müssen ihnen einen gezielten Schlag an ihre Schwachstelle geben, damit sie geschwächt sind. Schwache Menschen fangen an, Fehler zu begehen. Erst dann können wir darüber nachdenken, Julian auszulöschen«, sage ich. Ob er meine Meinung wissen will, weiß ich nicht. Cedar ist ein sturer Mann mit viel Erfahrung. Wenn er denkt er weiß etwas, pocht er solange darauf, bis es als richtig erwiesen wurde. So ist es auch mit allem was die Arbeit betrifft. Wenn er sich seines Plans sicher ist, schafft man es nur mit äußerster Mühe, ihn davon abzubringen.
Grübelnd kratzt er sich seinen kurzen gepflegten Bart, in dem bereits einzelne graue Haare wachsen. Er geht auf Ende fünfzig zu und hat sich dafür wahnsinnig gut gehalten. Mein Vater hat nur wenige graue Haare und noch weniger Falten, die einstig von seiner schlechten Laune stammen. Die Sekunden in denen er über meinen Vorschlag nachdenkt, kommen mir vor wie Stunden vor. Ich schaue zu, wie sein Gesichtsausdruck von grübelnd auf eine undeutbare Weise umschlägt. Er setzt das Glas Schnaps erneut an die Lippen, nimmt einen kräftigten Schluck und wischt sich anschließend mit dem Handrücken über die Lippen, bevor er antwortet.
»Mein Sohn hat recht«, spricht er in den Raum und schaut die Männer abwechselnd an, »wir müssen seine Reihen stärker ausdünnen, um an die Quelle der Untat zu gelangen. Ich sage, wir fahren so fort wie gehabt. Julian fordert den Mörder seines Sohnes, aber den wird er nicht bekommen. Ich fordere den Mörder meines Bruders. Entweder er gibt ihn uns, oder er wird sterben.«
Mein Vater schlägt obligatorisch mit der Faust auf den Tisch, wie ein Richter mit seinem Hammer. Die Sitzung ist also beendet. Die anderen erheben sich redend, und ich mich ebenfalls. Bevor ich noch ein Wort mit Cedar sprechen kann, verwickelt ihn einer der Männer in ein Gespräch, in das ich mich nicht einmischen will.

Marco und Kyle erregen meine Aufmerksamkeit. Die beiden sind die letzten Tage oft beisammen gewesen, da Kyle sich um seinen Kindheitsfreund gekümmert hat. Er würde es auch für mich tun, dass weiß ich zu schätzen.
»Wie stets, Marco?«, möchte ich von dem dunkelhaarigen Italiener wissen und stütze meine Unterarme auf der hohen Rücklehne des Stuhles ab. Der Verletzte legt eine Hand an seine linke Seite und atmet schwer aus. »Geht so. Bernardino hat mir Schmerzmittel gegeben, aber seine Prognose war ernüchternd. Ich falle noch für mindestens fünf Wochen aus«, erzählt er und scheint darüber wirklich traurig. Ich bin es ebenfalls. Marco ist ein guter Kämpfer. Er weiß, wie er mit der Pistole umgehen muss und gerät sonst nie, wirklich nie in Schwierigkeiten. Das die Vallians ihn gefoltert haben, ist eine Schande. Marco ist wohl neben Kyle und mir die härteste Nuss der Benellis. Seine Loyalität gegenüber meiner Familie ist grenzenlos. Er würde nie etwas gegen uns äußern, nicht mal für zehn Millionen Dollar.
»Ruh dich nur weiter aus, wir bekommen das hin, oder Kyle?«, grinse ich und klopfe meinem besten Freund auf die Schulter. »Natürlich«, erwidert dieser Stolz und nickt. Nun gut. »Kommst du mit, ein paar Dinge erledigen?«
»Ja, ich bringe nur Marco auf sein Zimmer, bevor wir losfahren«, nickt er und stützt ihn. Das kommt mir recht gelegen. »Gut, in der Zeit statte ich Bernardino einen kleinen Besuch ab, um mir den Verband wechseln zu lassen. Wir treffen uns am Auto. War schön, dich zu sehen Marco, ruh dich aus«, weise ich ihn an und seine Mundwinkel Zucken aufmunternd.

~

Bernardinos Arztzimmer ist nicht weit weg von der Haustür und somit liegt es genau auf meinem Weg. Ich klopfe zweimal gegen die weiße Holztür und trete ein. Der ältere Italiener in Hemd und feiner Hose sitzt mit dem Rücken zu mir an einem Schreibtisch und notiert sich gerade etwas in einem weißen Notizbuch. »Störe ich?«, hake ich nach und der Mediziner schüttelt sofort den Kopf. Er wirft den Stift zur Seite, dreht den Hocker auf dem er sitzt in meine Richtung und deutet mit einer ausschweifenden Geste auf die Liege neben ihm. »Keinesfalls. Ich nehme an, du kommst wegen deiner Wunde. Lass mich einen Blick darauf werfen«, bittet er mich und eilt zu den hohen Schränken an der Wand. Er zückt ein paar Handschuhe und rutscht sich seine Brille auf der Nase gerade, bevor er sie anzieht und mit seinem Hocker auf mich zurollt. Umständlich streife ich mir mein Shirt ab und lege es neben mich, um ihm einen vollen Ausblick auf meine Wunde zu verschaffen. Der Doktor löst meinen Verband nachsichtig und wirft ihn in den Mülleimer unweit neben uns.
Ich kann nicht hinschauen, als der Verband weg ist und die Wunde freigelegt ist. Ich fürchte, dann kommt mir der Whisky schneller wieder hoch, als mit lieb ist.

»Es schaut besser aus, aber der Verband sollte für weitere zwei Wochen getragen werden. Du musst dich weniger bewegen, dann heilt es schneller und-«
Ich unterbreche ihn schnaubend. »Du weißt, was gerade los ist und-«
»Und du solltest an dich denken, Santino. Was glaubst du, was deinem Vater mehr bringt? Wenn du für ihn arbeiten kannst, oder mit einer Sepsis im Bett liegst, hm?«, will Bernardino wissen und ich presse meine Lippen beleidigt aufeinander. Wieso fragt er, wenn er die Antwort bereits kennt? Er ist der Arzt, er sollte es wissen. Ich werde ihm die Genugtuung nicht geben, um darauf zu antworten. Stattdessen umgehe ich seine Frage. »Ich muss gleich los, kannst du sie säubern und wieder einpacken? Mein Terminkalender ist voll«, murre ich und der Arzt schüttelt nur seufzend den Kopf. Ohne Widerworte tut er was ich sage und entlässt mich schließlich. Seine Worte hallen noch einige Male in meinem Kopf nach. Natürlich bin ich nicht dumm, und weiß, wie recht er hat. Kann ich es mir jedoch in diesen Zeiten erlauben, auszufallen? Nein. Wie soll ich meinem Vater beweisen, dass er sich auf mich verlassen kann, wenn ich bei der kleinsten Schusswunde im Bett liege? Ich bin eine Woche ausgefallen, das muss reichen. Es gibt Dinge, die erledigt werden müssen, obgleich ich verletzt bin, oder die Vallians hinter mir her sind. Es ist meine Verpflichtung.
Ich nehme neben Kyle im hinteren Teil des SUVs Platz und der Fahrer startet ihn sofort, nachdem meine Tür zugefallen ist. Erschöpft massiere ich mir meinen Nasenrücken und schließe die Augen einen Moment lang. Kyle fragt nicht, was passiert ist, und genau dafür bin ich ihm dankbar.
Er weiß wann er schweigen muss, und wann er etwas sagen kann. Mein bester Freund kennt mich meistens besser als ich selbst, und es fühlt sich gut an, ihn dabei zu haben. Kyle ist einer der wenigen Menschen, auf die ich mich zu tausend Prozent verlassen kann.
Müde bekomme ich die Kette um meinen Hals zu greifen. Der Anhänger wiegt mir schwer in der Hand und erinnert mich an die kleine Brünette, die bei der Zeitung arbeitet. Ob meine Kontakte schon etwas über ihren Eltern in Erfahrung bringen konnten? Hoffentlich habe ich bis heute Abend eine Antwort von der Adoptionsvermittlung aus England, wenn nicht, muss ich mich an alte Bekannte wenden...
»Wohin geht es, Boss?«, erkundigt der Fahrer sich.
»Downtown, ein paar Schutzgeld Schulden eintreiben.«

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now