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SANTINO

Mein Hass auf die kalte Jahreszeit ist nicht vergangen. Es hat bereits die ganzen letzten Wochen geschneit und man sollte meinen, dass es nun genug ist. Als ich heute morgen aufgewacht bin, hatte sich die Masse verdoppelt. Es macht es schwerer für uns, keine Spuren zu hinterlassen, da man das rote Blut im Schnee sieht, sowohl als auch Fußabdrücke.
Die Vallians haben ihre Ruhe nicht beendet und sich ungewöhnlich stumm. Es ist merkwürdig, am Hafen zu stehen und die Stille des Windes um meine Ohren brausen zu hören. Bald wird die Ausgangssperre in Kraft treten und die Straßen werden leerer. Schon bald haben sie sich alle in ihren Häusern verkrochen und die Stadt schläft. Ob das auch Julian und seine Männer tun?
»Die haben sich in den letzten Tagen nicht einmal blicken lassen«, fällt auch Kyle auf. Er und ich haben unseren Zwist zwar nicht ganz abgelegt, aber für die Sache reißen wir uns zusammen. Wenigstens solange wir hier draußen sind. Es ist gefährlich, unachtsam zu sein. »Was denkst du?«, fragt er mich und ich spüre seine Augen auf mir ruhen. »Das sie etwas planen«, offenbare ich das, was mir durch den Kopf geht. Kyle stößt ein zustimmendes Brummen aus und zieht an seiner Kippe. »Glaubst du sie machen es heute?«
Schulterzuckend bringe ich die Zigarette zum glühen und genieße wie der Rauch meine Lungen füllt, die Ruhe die meinen Körper flutet und mein Herz ruhig zum schlagen bringt.
»Irgendwann werden sie es tun.«
»Vielleicht sollten wir ein bisschen rumfahren und die Gegend auskundschaften, sobald die Sperre in Kraft tritt. Falls sie etwas geplant haben für heute Abend, werden sie erst dann wie Ratten aus ihren Löchern gekrochen kommen«, schlage ich vor und trete den Stummel der Zigarette knirschend im Schnee mit der Sohle aus. Kyle tut es mir gleich. Wir setzen uns zurück in die Wärme des schwarzen unauffälligen Jeeps mit kopierten Kennzeichen und warten, bis die Ausgangssperre in Kraft tritt.

~

»Willst du dann noch in die Pizzeria?«, erkundigt Kyle sich nach ein paar Stunden, in denen wir quer durch die Stadt gefahren sind. Bis jetzt war es ruhig, doch das könnte sich jeden Moment ändern. »Um mir anzuschauen welche Frauen mein Vater heute eingeladen hat?«, schnaube ich angewidert und lehne mich im Beifahrersitz zurück. Unweigerlich kommen die Bilder der letzten Party in mir auf und ich muss mich angewidert schütteln, um sie zu vertreiben. Gott, ich will wirklich nie wieder erleben, wie eine halbnackte Nutte auf dem Schoß meines Vaters sitzt und ihm säuselnd ins Ohr flüstert. Er hat sie fast ausgezogen mit seinen Blicken und ich wünschte, dass die Bilder endlich verblassen. Merda, ich könnte kotzen.
»Wir müssen uns ja nicht zu ihnen setzen«, wendet Kyle ein. Schulterzuckend atme ich aus und reibe mir mit den Fingern meine Nasenwurzel. »Wieso nicht. Vielleicht haben sie die neue Flasche Sambuca von meiner Tante geöffnet«, gebe ich nach und mein bester Freund spitzt seine Ohren. »Ach ja? Woher?«
»Hat sie uns aus Catania geschickt, aus der Brauerei ihres Mannes«, erkläre ich. Meine Familie besitzt auf Sizilien und in Kalabrien einige Brauerein, die das klassisch italienische Getränk und einige anderen Güter herstellen. Er schmeckt tausend mal besser als das billige Gesöff, dass man hier in den Staaten mit gleichem Namen kaufen kann. »Du wirst mir diesen Genuss hoffentlich nicht unterschlagen«, grinst Kyle und leckt sich die Lippen. Er fährt auf dieses Zeug ab wie Babys auf Muttermilch.
Bei dem Gedanken muss ich belustigt schmunzeln.
»Bieg hier ab«, sage ich und deute mit der Hand auf die Kreuzung, um nicht zu vergessen, was wir hier tun. Nur ein Fehler, könnte uns beiden teuer zu stehen kommen, oder uns das Leben kosten.
Unterbewusst lege ich meine Hand an den Kragen meines Shirts, habe kurz vergessen, dass dort keine Kette mehr hängt. Diese Kette ist mein Glücksbringer gewesen. Mein Familienzeichen. Das Erbe meiner Mutter. Sie ist mehr wert als mein ganzes Leben und ich hoffe, dass Lillian gut auf sie aufpasst. Wenn das hier vorbei ist, werde ich sie mir bei ihr wieder holen. Aber im Moment, ist sie in guten Händen. Immerhin habe ich noch die Kette von Lillian, die sie sicher auch gern wiederhaben möchte. Es wäre also ein fairer Tausch, doch im Moment kann ich ihr nicht zu nah kommen, ohne dass es Aufmerksamkeit erregen würde. Ich halte mich bedeckt, bis die Sache mit Julian vorüber ist.

»Du versinkst mal wieder in Gedanken«, bemerkt Kyle, was mir ein schnauben entlockt. Mit genervtem Blick schaue ich ihn an und lasse ihm einen eindeutigen Blick zukommen. Mir geht auf den Nerv, dass er immer abliest, wie es mir geht oder was ich habe. Kann er nicht einmal nicht in meinen Kopf schauen? Wahrscheinlich kennen wir uns dafür zu gut.
»Hab nur an die Sache gedacht«, lüge ich, da ich es für besser halte, als ihm erklären zu müssen, wieso ich pausenlos an die Brünette denke. Sie ist wie ein Virus, dass sich in meine Festplatte gebrannt hat. Vermutlich werde ich ihn nie wieder los. Vielleicht will ich das auch nicht. Vielleicht will ich sie nicht vergessen, auch wenn es besser für sie wäre. Ihr Leben wäre so viel einfacher ohne mich.
»Wie auch immer«, murmelt Kyle und biegt erneut ab. Wir fahren den Central Park entlang, bis jetzt haben wir nichts verdächtiges gesichtet. »Wenn das so weiter geht, verschwenden wir Sprit«, merke ich an und Kyle stimmt mir nickend zu. Wir beide könnten uns bessere Sachen vorstellen, als hier durch die Gegend zu kutschen. Offensichtlich sind die Vallians nicht in Sicht. Sie haben sich in ihre Höhle zurückgezogen und warten, bis ihr Anführer ihnen sein verrückten Plan mitteilt. Irgendwas liegt in der Luft und das gefällt mir überhaupt nicht. Es stinkt nach Unruhe, obwohl es heute Nacht so ruhig ist.

~

Ein Uhr entscheiden Kyle und ich uns dafür, nach Little Italy zurückzukehren. Die Straßen sind wie ausgestorben und wohl jeder Vallian hat inzwischen mitbekommen, dass unsere Autos auf den Straßen sind. Hätten sie uns heute Abend angreifen wollen, hätten sie es getan. Nein, Julian wird die Beine heute Abend stillhalten.
Mit ruhigen Gewissen kehren wir nach Little Italy zurück und fahren in die versteckte Tiefgarage unter meinem Familienhaus, gleich gegenüber der Pizzeria. Wir machen uns gleich auf den Weg dorthin, durch die beißende Kälte und den Schnee.

Die Tür öffnet sich mit einem kleinen klingeln als wir in die Wärme treten. Zwei Dutzend der Männer meines Vaters sitzen noch an den Tischen, es spielt Musik und die Stimmung ist ausgelassen. Freundlich grüßen wir den Barkeeper, Kelly und zwei weitere Bedienstete auf dem Weg nach hinten. Dort ist die Party in vollem Gange. Die Nutte von letztens sitzt auch diesmal auf dem Schoß meines Vaters. Ich sage ihm kurz hallo, entscheide mich schließlich wieder nach vorn zu gehen. Die Betrunkenen Pokerspieler und die halbe Orgie auf den Sofas muss ich mir heute nicht geben. Und auch Kyle hat kein Bedürfnis länger als nötig dort zu sein. Wir verkrümeln uns in ein stilles Eckchen der Pizzeria und bestellen etwas zu essen. Nach der langen Ausfahrt knurrt mein Magen, als hätte ich zwei Wochen nichts gegessen.
»Marco kommt später noch«, lässt mein bester Freund mich wissen, als unser Essen ankommt. »Ist er noch unterwegs?«, frage ich. Kyle nickt mit vollem Mund. Ich weiß nicht, was die zwei füreinander sind, und es ist mir auch egal, aber ich habe bemerkt, dass da was läuft. Ich bin nicht dumm, und ich hoffe das Kyle weis, dass seine Versuche mich davon abzulenken kläglich gescheitert sind. Er spricht nicht darüber, was ich akzeptiere, aber er sollte nicht so geheimnisvoll tun. Ich habe Augen im Kopf und bin nicht blind.
»Seine Gruppe war näher an Julians Gebiet, dein Vater hat sie wohl angewiesen, ihn ein wenig auszukundschaften«, nuschelt der Schotte mit vollem Mund. »Richtig, er... er hat sowas erwähnt gestern. Hab aber nicht richtig zugehört.«
»Öfters in letzter Zeit?«
Kommentarlos exe ich mein Glas Sambucca und knalle es auf den Tisch. Das sollte Antwort genug für Kyle sein. Er muss mir nicht ständig unter die Nase reiben, wie stinkig meine Laune in letzter Zeit ist. Ich merke es, aber kann nichts dagegen machen. Alles fuckt mich ab. Jeder geht mir auf die Eier. Manchmal will ich mich besinnungslos trinken, nur weil ich dann für einen Moment nicht an die Schottin denken muss.
Die Tür der Pizzeria schwingt krachend auf und meine Alarmglocken schrillen sofort. Erschrocken zucke ich auf und entdecke Marco mit entsetztem Gesicht auf uns zukommen, dicht gefolgt von den Männern in seinem Team. Sie steuern zielstrebig auf unseren Tisch zu. Verwundert schlucke ich meinen letzten Bissen hinunter und wische mir die Finger an einer Serviette ab. Was ist denen denn für eine Laus über die Leber gelaufen?
Schweratmend knallt der Italiener sein schwarzes eckiges Telefon auf den Tisch und stützt seine Hände auf die Platte. »Was habt ihr?«, fragt Kyle und ich werfe einen Blick auf den leuchtenden Bildschirm. Mit gefriert sofort das Blut in den Adern, mein Hals schwillt an und der Klos in meiner Kehle wird so groß, das ich Kraft aufbringen muss, atmen zu können. Die Wut, die mein Körper aufbringt, steigt ins Unermessliche. Ich drücke die Spitze des scharfen Messers, mit der linken Hand ins weiche Holz des Tisches, was bereits nachgibt. Ich fühle mich taub, beginne alles nur noch wie in einem Film wahrzunehmen. Als würde alles an mir vorbeiziehen, obwohl ich mittendrin sitze.
Es ist ein Foto, geschossen in der Dunkelheit. Es zeigt zwei Personen, die etwas tragen. Nein, jemanden. Es ist Lillian. Und sie ist bewusstlos.
»Sie haben deine kleine.«

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now