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LILLIAN

Mein Urlaub fällt auf die Mitte des Novembers. Ändern kann ich es nicht, ich war froh, dass mein Chef ihn mir überhaupt genehmigt hat. Bis Thanksgiving muss ich zurück sein, da ich es meiner Mom versprochen hatte. Enttäuschen will ich sie nicht, wir sehen uns ohnehin viel zu wenig.
Ich habe tagelang Überstunden geschoben und geschuftet, bis die Sonne wieder aufging, damit ich mir diese freie Zeit so kurzfristig ermöglichen kann. Von dem Trip nach London habe ich natürlich in der Firma nichts erwähnt. Auch Maya habe ich nichts davon erzählt, sondern dass es in meiner Familie einen Notfall gäbe und ich dringend nachhause müsste. In letzter Zeit ist sie sowieso etwas neugierig. Trotzdessen verbringen wir viel Zeit miteinander und haben eine Menge Spaß. Mindestens einmal die Woche essen wir zusammen, letzten Freitag waren wir zusammen im Kino. Ja sogar in Herolds Nightclub waren wir wieder, doch diesmal kannte ich meine Grenzen. Es war lustig, Maya flirtete mit Bex, der Barkeeper von letztens. Ich glaube sogar, dass die beiden Nummern ausgetauscht haben.

In meiner Wohnung ist es kühl, was vermutlich an der kalten Heizung liegt, da ich vergessen hatte meine Strom- und Wasserrechnung zu bezahlen und die Stadt mir den Saft abgedreht hat. Mein Akku ist fast leer, genau wie mein Konto. Ich konnte gerade noch so eine Nachricht von Santino empfangen, der mir schrieb, dass sie mich gleich abholen würden. Es ist sehr früh am Morgen, und wenn wir in London landen, wird es bereits abends sein. Ich freue mich, das erste mal die Staaten zu verlassen. Bisher bin ich noch nie geflogen. Mir und Dad bevorzugten es stets an den Erie Lake zu fahren, um dort den Sommer zu verbringen. In Europa war ich noch nie, obwohl ich dort geboren wurde.

Der typische schwarze SUV fährt gerade vor, als ich im Badezimmer meine Zahnbürste in die kleine Kosmetiktasche stecke und zurück ins Zimmer eile, um sie als letztes in meinen Koffer zu stopfen. Geschlafen habe ich diese Nacht nicht sonderlich viel, deshalb stecke ich auch nur in einer Stoffhose und einem Pullover. Das muss reichen für den Flug. Geschafft wuchte ich meinen Koffer aufrecht, bis er auf den Rollen zum stehen kommt. Es klingelt zweimal und ich stoße ein Stöhnen aus, da ich so fertig bin. »Moment!«, rufe ich in den Flur und eile aus meinem Schlafzimmer um die Tür zu öffnen. Ein gut-aussehender Kyle in Hemd und schicker Hose lehnt gegen dem Türrahmen und schiebt sich seine Sonnenbrille vom Gesicht, als er mich erblickt. »Guten Morgen«, lächelt er und tritt ein. »Bist du fertig?«
»Morgen, ja bin ich. Es ist nur der eine Koffer und die Tasche«, erkläre ich ihm und deute auf meine beiden Gepäckstücke. Nickend rollt er sich den Koffer über den Boden und hebt ihn an. Meine Tasche wirft er sich über die Schulter. Erstaunt schaue ich zu, wie er beides die Treppen hinunter wuchtet. »Soll ich dir nicht helfen?«, rufe ich ihm nach. »Wenn du den Fahrstuhl reparieren kannst, ja, tue dir keinen Zwang an.«
Witzig. Kyle ist ein echter Scherzbold. Augen verdrehend schlüpfe ich in meine Sneaker und werfe mir meinen Mantel über, dessen dicker Stoff mir die nötige Wärme verschafft, um die Gänsehaut auf meinem Körper endlich zu vertreiben. Ich schnappe mir meine Schlüssel und schiebe mein Telefon in die Jackentasche, schließe mein Apartment ab und eile die Treppen hinab, sicher warten sie schon auf mich. Direkt vor der Haustür steht das schwarze Auto, auf dessen Rücksitz ich klettere, da wird es gerade hell in New York City und die Sonne kommt langsam über die hohen Häuser der Stadt. Ich entdecke Santino im Wagen, auch er trägt eine Sonnenbrille und einen Anzug, dessen Jackett er auf den gegenüberliegenden Sitz abgelegt hat. Was haben die bloß mit ihren Sonnenbrillen?
»Guten Morgen«, begrüße ich ihn und ziehe die Tür hinter mir zu. Er schaut vom Display seines Handys auf und steckt es einen Moment später in seine Hosentasche. Schon so beschäftigt, dabei ist es nicht mal acht Uhr.
»Guten Morgen«, erwidert er und der Wagen setzt sich in Bewegung.

Bis zum Flughafen dauert es eine gute Stunde, da der Verkehr schlechter wird, je näher wir unserem Ziel kommen. Entgegen meiner Erwartung fährt Kyle uns nicht bis vor das Terminal des JFK, sondern durch ein Tor direkt auf eine der Startbahnen, neben dem ein Privatflugzeug geparkt ist. Ich staune nicht schlecht als ich aussteige und das edle Teil betrachte. Wind pustet mir um die Ohren und die lauten Geräusche der Triebwerke machen es mir unmöglich, zu verstehen über was die Männer sprechen. Beeindruckt schließe ich die Tür des SUVs und halte auf dem Asphalt inne. Das Ding muss ein Vermögen gekostet haben. Ob es den Benellis gehört? Santinos Familie ist reich, aber so reich? Ich habe keine Vorstellung von den Unsummen, die auf ihren Konten liegen müssen.
»Bist du am Boden festgewachsen?«, ruft Santino mir fragend zu und nimmt sich die Sonnenbrille von der Nase, um mich in der aufgehenden Sonne zu betrachten. Er ist einige Schritte in Richtung des Jets gegangen und wartet am Fuße der Treppe auf mich. Kopfschüttelnd eile ich ihm nach, während Kyle und drei andere das Gepäck ausladen. Santino deutet mir mit einer ausladenden Geste vor ihm zu laufen und ich erklimme die Stufen des Jets mit klopfendem Herzen. Im inneren begrüßen uns zwei freundliche Flugbegleiterinnen mit heißen Tüchern. Sie geleiten mich zu einem der dicken Ledersitze, die zu beiden Seiten platziert wurden. Je zwei Stück die sich gegenüber sind und zwischen ihnen Mahagonitische mit goldenen Prägungen. Auf den Kopfenden sowohl als auch auf dem Tisch erkenne ich das Logo der Benellis und zweifle nun kein bisschen mehr daran, wem dieses Flugzeug gehören muss. Hinter den acht Sitzen zu beiden Seiten, stehen sich zwei lange Sofas gegenüber, dahinter gibt es eine Bar. Ganz hinten ist eine geöffnete Tür, die in ein kleines Schlafzimmer mit bezogenem Doppelbett führt. Wow.
»Möchten Sie ein Glas Champagner, bevor wir abheben?«, erkundigt eine der beiden dunkelhaarigen sich freundlich bei mir, während die andere Santino begrüßt. Champagner um diese Uhrzeit auf leeren Magen? »Oh nein, vielen Dank, aber ich denke, dass kann noch etwas warten«, lehne ich lächelnd ab und sie nickt. Auch Santino lehnt ab und lässt sich auf den Sessel mir gegenüber fallen. Eine der Damen verstaut sein Jackett, dass auf einem Hügel hängt in einem kleinen Schrank. Es ist dieselbe, die mir zuvor meinen Mantel abgenommen hat, und ihn ebenfalls dort verstaute. Zwei Männer bringen Handgepäck und lassen sich dann schräg hinter uns in der gegenüberliegenden Reihe nieder. Sie wirken wie Bodyguards auf mich.
»Fliegt Kyle nicht mit uns?«, frage ich den Italiener und spähe aus dem Fenster zu meiner linken. Ich sehe den Schotten am Auto stehen. Er hält sein Telefon am Ohr und steigt gerade zurück auf den Fahrersitz. »Kyle hat noch einige Dinge zu erledigen, deshalb vertreten ihn die beiden Herren dort hinten«, erklärt Santino mir und nickt mit dem Kinn auf die beiden. Dachte ich mir also doch richtig. Schade, dass Kyle uns nicht begleiten wird. Er scheint mir ein netter Kerl zu sein und ihm vertraue ich tatsächlich genau wie Santino. Schade, aber nicht zu ändern.

~

Der Start war holprig und die merkwürdigen Bewegungen des Jets, die Geräusche und das Gefühl was durch meinen Magen schoss, als wir abhoben, ist eine ganz neue Erfahrung für mich gewesen. Mein erster Flug hat mir die Tage zuvor Bauchschmerzen bereitet, ich habe viel zu oft und intensiv darüber nachgedacht. Jetzt, wo wir in der Luft sind, hoch über den Wolken, ist es ruhig und nur das leise Rauschen des Flugzeugs ist zu hören, während wir durch die Lüfte gleiten wie durch Zuckerwatte.
Wir fliegen bereits etliche Stunden, und bis jetzt ist es noch nicht langweilig geworden. Nach dem Start bin ich eingeschlafen und war für gute fünf Stunden weggetreten. Als ich aufwachte, hatte man eine große Wolldecke über mir ausgebreitet und irgendwer hatte mir ein Kissen zwischen Kopf und Seitenwand des Flugzeugs geschoben. Der Schlaf hat mir gutgetan und war sehr entspannend, was auch an den Sitzen liegt, dessen Leder sich anfühlt als würde ich auf Wolken sitzen. Sie sind so dick gepolstert, dass ich sie am liebsten mitnehmen würde. Sogar eine Fußstütze haben sie, und man kann den Sitz in die Liegeposition drehen.

Mit angezogenen Beinen die ich unter der Decke versteckt habe, esse ich genüsslich den Caesars Salat von meinem Teller. Dazu gibt es ein Glas Wasser, dass ich anstatt des Champagner gewählt habe. Auf dem Tisch zwischen Santino und mir steht neben meinem Essen ein Glas Whisky, dass er sich gelegentlich zu Gemüte führt, wenn ihn die Papiere vor ihm zur Verzweiflung bringen. »Was tust du da? Ist das was geschäftliches?«, hake ich neugierig nach und erwarte keine Antwort, denn wenn es wirklich etwas wichtiges ist, wird er nicht antworten, weil es mich nichts angeht. »Nein, es sind ein paar Dokumente die ich rausgesucht habe, die mit dem Krankenhaus in Verbindung stehen könnten. Weitergekommen bin ich aber noch nicht wirklich, vielleicht sollte ich mir das in Ruhe durch den Kopf gehen lassen«, seufzt er frustriert und klappt die Mappen zu, verstaut sie anschließend in der Tasche die eine Reihe weiter auf dem leeren Sitz liegt. »Und du? Wie ist dein Essen?«
»Lecker, du sollest mal probieren. Schnaps auf leeren Magen ist keine gute Idee«, nuschle ich mit vollem Mund und kaue die Salatblätter genüsslich. Schmunzelnd stibitzt Santino mir meine Gabel, doch mein Mund ist zu voll, um mich bei ihm zu beschweren. Entsetzt reiße ich die Augen auf und muss hilflos zuschauen, wie er sich ein Stück Hänchenstreifen und einige Salatblätter aufspießt und sie hungrig verschlingt. Überrascht lehnt er sich zurück, verzieht die Lippen anerkennungsvoll und zuckt mit den Schultern. »Gar nicht mal so übel. Fiona? Bringst du mir auch so einen Salat? Und einen bisschen Carpaccio«, bittet er die Flugbegleiterin, die seine Bitte mit einem »natürlich signore«, entgegennimmt. Amüsiert esse ich die nächste Gabel und mopse mir dafür, dass er etwas von mir hatte, ein Stück seines mitgelieferten Ciabattas. »Du hast recht, einfach köstlich«, schmunzle ich zufrieden und lehne mich entspannt zurück. Es sind noch zwei Stunden bis London, und ich kann es kaum abwarten, bis wir landen. Eine Woche kein NYPD und keine Straßenkämpfe - keine Ausgangssperre und keine Angst, im Dunkeln draußen zu sein. Das wird sicher toll werden.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now