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SANTINO

Entgegen der Ratschläge von Bernardino, spiele ich bereits wieder mit, in dem tödlichen Wettkampf um Ehre. Julian Vallian ließ für wenige Tage Ruhe in die Stadt einkehren. Ich wusste schon damals, das er nur zu einem größeren Schlag ausholen wird. Er ist an der Reihe, doch sein Zug ist bald beendet. Es wird Zeit, das ich mich wieder ins Spiel einbringe.
Kyle ist nicht nur mein bester Freund, sondern auch einer unserer wichtigsten Kämpfer. Er beherrscht das Messer wie kein anderer und auch seine Militär Ausbildung, kommt uns zugute. Er ist taktisch gesehen eine schlaue Wahl. In der Vergangenheit sind wir schon oft zusammen unterwegs gewesen. Wir sind ein eingeschweißtes Team, und ich würde ihnen sofort blind vertrauen. Kyle ist mein Bruder, ganz gleich das nicht dasselbe Blut in uns fließt.

Seine silberne Klinge spiegelt den Lichtstrahl der Laternen schummrig wieder. Im Schutz der Nacht lehnt er im Schatten an einer Hauswand und observiert konzentriert unsere Umgebung. Egal was Julian vorhat, wir wissen aus sicheren Quellen, das es heute Abend passieren wird. Er würde es nie wagen, uns in Little Italy anzugreifen, schließlich ist das Viertel für eine lange Zeit auch sein Zuhause gewesen. Nein, niemals dort. Er weiß, dass wir dort zu viele Männer haben. Es wäre unklug, eine Schiesserei auszulösen. Unsere Männer würden aus allen Ecken und Gassen kriechen wie Ratten.
Nein.
Tief luftholend lege ich meine Hände an die Reling des Hafens und starre hinaus auf den Hudson. Hinter mir die Wolkenkratzer Manhattans, vor mir die endlose See. Ground Zero ist zu dieser Uhrzeit wie eine Geisterstadt. Die Straßen des Viertels leer und verlassen. Jeder der nun noch draußen ist, gehört den Gangs oder den Cops, und die mischen sich nicht ein, wenn Benellis und Vallians in den Straßen New Yorks aufeinandertreffen. Vielleicht haben sie Angst, oder hecken einen Plan im geheimen aus. Julian ist die größere Plage und so widmen wir uns alleinig ihm. Die Waffen werden nicht ruhen, ehe Vergeltung verübet wurde. Grausame, blutige Vergeltung.

»Sie werden vermutlich am Central Park sein«, durchbreche ich die Stille, die sich zwischen uns aufgetan hat. Kyle betrachtet mich und ich spüre beinahe seine stechenden Augen auf meinem Rücken. Ein paar Meter weiter, parkt ein schwarzer SUV am Straßenrand, in dem zwei Männer meines Vaters warten. Wir warten noch auf ein Zeichen der Vallians. »Wieso bist du dir da so sicher?«, möchte der Schotte mit rauen Akzent wissen. Ohne ihn anzusehen, sehe ich seinen skeptischen Blick vor meinem inneren Auge. »Die Bäume-«, erkläre ich und werfe ihm über die Schulter einen Blick zu, »sie verdecken uns vor Schaulustigen. Dort, an den richtigen Stellen, ist es wie in einem geschlossenen Raum ohne Fenster.«
»Verstehe. Warten wir? Oder machen wir den ersten Schritt?«
»Wir warten. Es wird nicht mehr lang dauern, bis die Vallians sich zeigen. In zwei Minuten tritt die Ausgangssperre in Kraft«, murmle ich und fische mir eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche. Für einen Moment erhellt die kleine Flamme des Feuerzeuges mein Gesicht, bevor es sich erneut in Schatten legt. Ich gönne mir einen tiefen Zug, starre auf den Hudson und nehme mir einen Augenblick, um zur Ruhe zu kommen.

~

Tatsächlich dauert es eine Stunde, ehe ich eine Nachricht erhalten. Wie vermutet, haben unsere Späher einige der Vallians am östlichen Eingang des Central Parks gesichtet. Nachdem ich meinen Vater informiert habe, sind wir aufgebrochen. Das Auto ist weitaus das einzige, was die Fifth Avenue um kurz nach elf passiert. Die Stadt, die nie schläft, ist zum erliegen gekommen. Es hat etwas melancholisches, die leeren Straßen entlangzufahren und zu wissen, das man allein ist. Jeder der uns vielleicht begegnen würde, könnte von den Vallians und der Polizei sein. Die Kameras an den Ampeln sind ihre Augen und Ohren. Vermutlich sitzen gerade ein Dutzend Polizisten vor den Bildschirmen des NYPDs. Es könnte uns nicht egaler sein. Der schwarze SUV hat so dunkle Scheiben, das man von draußen nichts sieht und das Nummernschild ist kopiert. Sie haben also keine Spur.

Am Rande des Central Parks direkt hinter dem West Gate endet die letzte Kamera, die Live Bilder aufzeichnet. Um die im Park haben wir uns gekümmert, es läuft eine Dauerschleife einer ruhigen Nacht vor ein paar Jahren. Sich in das System der Parkaufsicht zu hacken, war leichter als gedacht.
Ich schiebe mir den schwarzen Stoff der Sturmhaube übers Gesicht, als wir im Schatten einer Laterne parken. In meinem Schoß liegt die dunkle Kimber, mein Vater schenkte mir die Pistole, nachdem ich offiziell mit meiner Volljährigkeit in seine Reihen aufgenommen wurde. Ich mag sie, sie ist präzise - alles was ich brauche um mich zu verteidigen. Nachdenklich greife ich sie mir und steige aus in die kalte Herbst Nacht. Der Wind peitscht uns um die Ohren und saust heulend durch die Bäume. Unwohl schiebe ich den Lauf der Pistole in den Bund meiner Jeans und sehe mich um. Keine Sicht von den Vallians. Ich atme aus und schlucke. Grübelnd neige ich meinen Kopf zu Kyle, als ich um die Motorhaube laufe und meine kalten Hände in die Tasche meiner Kapuzenjacke schiebe. »Die anderen?«, erkundige ich mich bei ihm und den zwei Männern meines Vaters. Kyle schwingt sein Messer zwischen den Fingern und steckt es elegant zwischen Jeans und Gürtel. »Sind schon da, sie Kundschaften die Gegend aus. Wir sollten los«, schlägt er vor und blickt auf den grellen Bildschirm seines Telefons, das augenblicklich ein wenig düsterer wird. Kyle wird uns den Weg zeigen.

Die dichten Kronen der Laubbäume verlieren langsam ihr buntes Laub, was uns gerade so noch genug Schutz bietet, ungesehen an unserer Ziel zu kommen. Je tiefer wir in den Park gelangen, desto einsamer wird es. Die verlassen Wiesen, Wege, Spielplätze. Es ist wie in einem Thriller, der gerade erst richtig losgeht. Der feuchte Kies knirscht unter meinen Schuhsohlen bei jedem Schritt, ich bin froh, als wir auf die asphaltierten Spazierwege abbiegen und uns lautlos bewegen. Bei jeder verstreichenden Minute, gesellen sich ein paar mehr Männer meines Vaters zu uns - verhüllt, vermummt, angsteinflößend. Die meisten würden schreiend davon laufen, würden sie uns sehen, mir geben sie etwas wie Sicherheit. Es fühlt sich gut an, nicht nur Kyle auf meiner Seite zu haben. Was heute Abend auch immer passiert, uns allen ist bewusst, das Blut vergossen werden wird. Wir werden keine großen Reden schwingen, sondern tun, was getan werden muss. Gewalt, es ist das, wofür wir gekommen sind, das was unser Blut beherrscht, das was wir seit kleinauf kennen.
Mein Vater war nicht erfreut als ich verkündete, früher aus meiner Krankenpause zurückzukehren. Auch wenn er die meiste Zeit ein Arsch ist, in seiner Brust schlägt sein kaltes Herz ein Stück für mich. Wir teilen unser Blut, und selbst nach all dem was wir durchgemacht haben, liebt er mich. Benellis halten zusammen. Es ist eine Frage der Ehre, den Tod seines Bruders zu rächen.

Neben einem größeren See auf dem zwei Boote am Steg angebunden liegen und der Mond sich im Wasser spiegelt, entdecken wir eine Gruppe der Vallians, und sie uns. Sie scheinen bereits gewartet zu haben. Es überrascht mich nicht, das sie wussten, das wir kommen werden. Immerhin wussten wir ebenfalls, wo sie sind.
»Credo di avere le allucinazioni. I ratti sono arrivati«, erklingt plötzlich eine Stimme aus dem Schatten der Bäume. Angespannt ziehe ich meine Hände aus den Taschen und bilde sie zu Fäusten. Acht Vallians stehen uns gegenüber, schwarz gekleidet, vermummt, wie ein Ebenbild unserer selbst. Jetzt gibt es kein zurück mehr.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now