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LILLIAN

vier Wochen später...

Seit ich aus Santinos Wohnung gestürmt bin, herrscht Funkstille zwischen uns. Jeder Tag der verstreicht, trägt dazu bei, dass ich noch mehr Schuldgefühle habe als sonst schon. Es ist falsch, ich sollte sowas nicht für jemanden wie ihn empfinden. Aber es war auch falsch, ihn einfach so anzuschreien. Ich war gestresst und das ganze Drama mit dem NYPD ist mir zu Kopf gestiegen. Ich wollte Santino nicht so anschreien und einfach abhauen, aber dass lässt sich nun nicht mehr rückgängig machen und solange er mir nicht schreibt, kann ich mich nicht entschuldigen. Er hat zwar meine Nummer, aber ich seine nicht und um nach Little Italy zu fahren, bräuchte ich Mut, den ich ebenfalls nicht habe. Ich bin zu feige, und ehrlich gesagt will ich nicht mehr dorthin zurück. Seit Mrs Mitchell und ihr gruseliger Kollege bei mir waren, fühle ich mich ständig beobachtet. Auf dem Weg zur Arbeit, wenn ich mir einen Kaffee hole, einfach überall. Es ist, als observieren sie mich. Die wollen sicher rausbekommen, was ich mit den Benellis zu tun habe. Wenn ich mich nicht mal mehr vor der Polizei in Sicherheit wiegen kann, wohin soll ich dann gehen, wenn es ernst wird? Sie treiben mich förmlich zurück in die Arme der Benellis. Ist es das, was sie wollen? Dass ich für sie spioniere? Das können sie knicken.

»Hey Lillian«, lächelt Maya die gerade die Küche der Etage betritt, in der ich mir einen Kaffee zubereite. »Hey, ich habe dich diese Woche noch gar nicht gesehen«, merke ich lächelnd an und nehme die volle Tasse unter dem Automaten weg. »Oh ja«, winkt Maya ab und streift sich eine Strähne ihres langen blonden Bobs hinter die Ohren, der ihr bis auf die Schultern reicht. Sie trägt eine Bluse, eine schwarze Hose und einen Schlüsselanhänger um den Hals, an dem ihr Ausweis für das Gebäude hängt. »Ich war für eine Sonderberichterstattung in Florida und bin erst gestern Abend zurückgekommen«, erzählt sie und nimmt sich aus dem Kühlschrank eine Packung Mandelmilch. »Wegen des Hurricanes?«, hake ich nach und mache ihr Platz, damit sie ihre Tasse ebenfalls befüllen kann. »Genau«, erwidert sie und presst den Cappuccino Knopf. Während der Automat vor sich her brummt und beginnt ihr Getränk aufzubrühen, lehnt sie sich gegen die Küchenzeile und schaut mir zu, wie ich mich am Tisch niederlasse. »Stundenlang im knietiefen Wasser stehen ist nicht die dankbarste Aufgabe, aber wir haben ein paar gute Szenen Filmen können und ich lebe noch«, erzählt sie und bringt meine Mundwinkel zum Zucken. »Ja, dass freut mich.«
»Wie war deine Woche bis jetzt?«
»Nicht sonderlich aufregend. Büroarbeit und zwei Meetings bezüglich der zweihundert Jahre Ausgabe für nächsten Monat«, erzähle ich Schulterzuckend und nippe an dem braunen Getränk, dass mich sofort von innen wärmt und wieder wach macht. Genau, was ich jetzt gebrauchen konnte...
Das Wetter in New York ist bereits seit Wochen so schlecht. Die letzten Blätter sind von den Bäumen gefallen und langsam aber sicher sollte der Winter Einzug finden. Meine Suche nach etwas Schnee war allerdings vergeblich - es regnet seit Wochen fast durchgehend. Anfang November ist ein bisschen Schnee doch nicht zu viel verlangt, oder?
Maya gesellt sich zu mir an den Tisch und schiebt mir eine Metalldose gefüllt mit Cookies unter die Nase. »Danke«, nuschle ich von einem abbeißend und überschlage meine Beine unter dem Tisch. In den letzten Wochen sind wir gute Freunde geworden und ich fühle mich nach all den Jahren endlich angekommen in der Stadt. Wir plaudern viel, telefonieren sogar ab und zu und schreiben gelegentlich. Einige von Mayas Artikeln sind bereits über meinen Tisch gegangen und ich finde, dass sie wirklich eine talentierte Journalistin ist. Sie erzählte mir, dass sie aus Kentucky stammt, was mich ehrlich verwundet hat, da sie nicht in diesem südlichen Akzent spricht. Außerdem mag sie den Sommer mehr als den Winter, mag keinen Zimt und liebt Oliven, was ich nicht nachvollziehen kann. Wer mag schon Oliven?
»Wollen wir vielleicht heute zusammen essen gehen? Ich hätte Lust auf Pasta und in Little Italy gibt es-«

Mein Gesichtsausdruck bringt sie zum schweigen. »Magst du keine italienische Küche?«, fragt sie mit vollem Mund und ich muss mir schleunigst eine plausible Ausrede einfallen lassen. Bitte alles, aber nicht Little Italy! Ich will von Santino und seiner Familie im Moment nichts wissen. Wenn ich jetzt in ihr Viertel fahre, denken die beim NYPD sofort, dass ich mit ihnen unter einer Decke stecke. Nein danke, dass kann ich mir wahrlich sparen.
»Ach«, sage ich nervös und streiche mir eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr, »das ist doch viel zu weit, oder? Ich meine wir würden nie vor der Ausgangssperre wieder zuhause sein...«, rede ich mich schnell raus und Maya grübelt sichtlich. Ihre Augen erhellen sich, die Brauen Zucken nach oben und sie nickt. »Natürlich«, kichert sie und winkt ab, »daran habe ich gar nicht gedacht. Also etwas in der Nähe? Ich schaue gleich mal im Internet«, beschließt sie und erhebt sich vom Tisch. Auch ich tue es ihr gleich, stibitze mir noch einen Cookie und verabschiede mich vorerst mit meiner Kaffeetasse in der Hand, zurück in mein Büro. Es stapeln sich noch einige Dinge auf meiner To-Do Liste, die ich abarbeiten muss, bevor es heißt Feierabend.

~

Das einzige, dass ich neben der Kälte am Winter nicht mag, ist dass es schon so bald dunkel wird. Maya und ich haben ein schnuckliges Restaurant nur ein paar Blocks von der Zeitung gefunden und machen uns einen gemütlichen Abend, während es draußen noch immer regnet. Ich starre aus den Schaufenstern im ersten Stock des Restaurants hinaus auf die Straße und beobachte die vorbeifahrenden Autos, die dass Wasser bis auf die Gehwege befördern. Wind saust durch die Straßen und die Menschen eilen über das Pflaster. Im inneren des Restaurants ist es angenehm warm und leise Musik spielt. Einige Gespräche werden geführt, Besteck klappert. Zwischen uns brennt eine Kerze, die sich im Fensterglas widerspiegelt und mich in ihren Bann zieht, bis die Welt um die kleine Flamme verschwimmt.
»Darf ich fragen, wieso du vorhin so reagiert hast, als ich Little Italy erwähnte?«
»Mhm?«
Blinzelnd wende ich mich vom Fenster ab und widme mich Maya. Die Blondine mir gegenüber nippt sporadisch an ihrem Aperol und wartet mit großen Augen auf eine Antwort. Nervös fummle ich an den Ärmeln meiner Bluse herum, um meinen Fingern eine Beschäftigung zu geben. Wenn ich nervös bin, merkt man dies sofort.
»Verbindest du etwas mit diesem Ort?«
Kopfschüttelnd greife auch ich nach meinem Glas und nehme einen Schluck. Wieso muss sie so lang auf dem Thema rumreiten?
»Wie gesagt es ist zu weit und-«
»Achso, naja egal. Dieses Lokal gefällt mir sowieso besser und du hast ja recht, jetzt noch bis Little Italy zu fahren hätte eine Ewigkeit gedauert«, winkt sie ab, aber ich sehe in ihren Augen, dass noch etwas anderes dahintersteckt. Ihr liegt noch etwas auf dem Herzen. Wieso beschäftigt sie das Thema so? Fragend schaue ich sie an und lege den Kopf schief. »Verbindet dich irgendwas mit dem Ort?«
Sie schüttelt viel zu schnell den Kopf, als dass ich es ihr abnehmen würde. Nachfragen werde ich trotzdem nicht, dann genau in diesem Augenblick wird uns unser Essen gebracht. Die nette Kellnerin stellt frische Pasta mit einer cremigen Tomatensoße vor mich, und einen gut dufteten Gemüse Auflauf vor Maya.

Der Abend schreitet voran und ich nehme mir fest vor, keinen Alkohol nach meinem Glas Erdbeer Champagner zu trinken. Immerhin ist es mitten in der Woche und ich bin nicht sonderlich trinkfest. Maya und ich hatten trotz der merkwürdigen Stimmung zu Beginn einen tollen Abend. Sie erzählte mir, wie ihr Bruder letztes Thanksgiving den Braten ruinierte und wie ihr Onkel mit dem Pie die Treppen runterfiel. Wir lachten - wir lachten so viel, dass mir nun meine Wangen wehtun.
»Es war wirklich schön heute Abend«, lächle ich als wir in die beißende Kälte vor dem Restaurant treten. Die Straßen sind fast leer, was an der kürzlich in Kraft tretenden Ausgangssperre liegen muss. Maya und ich haben uns verquatscht und nun habe ich nur noch vierzig Minuten, bis nach Brooklyn zu gelangen. Bei dem Gedanken dreht sich mein voller Magen unangenehm um.
Die blonde Journalistin zieht mich zum Abschied in ihre Arme und grinst zufrieden. »Fand ich auch, und sorry nochmal wegen dem Thema vorhin, ich wollte dir nicht zu nahe treten«, entschuldigt sie sich. Meine Mundwinkel Zucken abwinkend und die Höhe. »Schon in Ordnung Maya. Es war sehr schön. Wir sollten dass definitiv wiederholen«, schlage ich vor und in ihren Augen macht sich ein funkeln breit. »Hundert Prozent, bis morgen Lillian!«
»Bis morgen!«
Ich winke ihr, bevor sie um die nächste Ecke verschwindet.

Ausatmend mache ich auf dem Absatz kehrt und schaue ein letztes Mal auf mein Telefon. Die Route bis zur nächsten U-Bahn zeigt nur fünf Minuten an. Das sollte ich also schaffen.
Gerade als ich loslaufen will, fällt mir jemand ins Auge. Links im düsteren Schatten der Bäume verborgen, steht ein Mann. Seine Statur und sein Anzug kommen mir verdächtig bekannt vor. Schluckend halte ich inne und betrachte ihn. Es ist Kyle, der rauchend an der Fahrertür des schwarzen SUVs lehnt und mich über die Straße hinweg betrachtet. Es kann kein Zufall sein, dass er hier ist. Wieso sollte er so spät abends ausgerechnet vor dem Restaurant rauchen, in dem ich sitze? Es ergibt keinen Sinn. Ich schaue mich nervös um, doch niemand ist zu sehen. Als ich sicher bin das gerade kein Auto kommt, eile ich über die Straße in seine Richtung. Er lässt die Zigarette fallen, tritt sie mit seiner Schuhsohle aus und strafft seinen Anzug. Verdammt, der will sicher was von mir, sonst würde er hier nicht stehen. Ob Santino ihn geschickt hat? Aber wieso will er jetzt mit mir sprechen? Es sind fünf Wochen vergangen, in denen wir kein Wort mehr miteinander gewechselt haben.
»Kyle?«, spreche ich ihn an und mein heißer Atem steigt rauchend in die kalte Luft. Er öffnet mir die hintere Autotür ohne mich anzuschauen. »Steig ein«, fordert er monoton und in der Dunkelheit des Autos erkenne ich vage die Züge einer weiteren Person auf dem Rücksitz sitzen.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now