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SANTINO

Je näher sie mir kam, desto gefährlicher wurde ihr Leben.
Ich kann mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, was geschehen ist. Nicht, weil ich weiß, zu was sie fähig sind. Weil ich weiß, dass sie ihr wehtun werden, und das nur wegen mir. Es scheint, als hätte Gott es nicht als genug Schmerz empfunden, dass sie in London fast umgekommen ist. Nein, er hat zugelassen, dass sie entführt wird. Ich habe zugelassen, dass sie sie mir nehmen.
Verzeihen werde ich mir das niemals mehr. Es war egoistisch von mir you glauben, sie von mir fernzuhalten könnte die Aufmerksamkeit von ihr fort leiten. Dabei habe ich sie nur zur größten Zielscheibe New York Citys gemacht. Ohne meinen Schutz, ohne den Schutz meiner Familie. Ich hasse mich mit jeder Faser meines Körpers dafür.

Nachdem Marco mir die Nachricht überbrachte, zerlegte ich das halbe Restaurant in Einzelteile, habe die billige Nutte vom Schwanz meines Vaters gezerrt und ihn angeschrien, bis seine Männer mit zu viert von ihm bekamen. Kyle und Marco haben endlos lang auf mich eingeredet, bis ich mich halbwegs beruhigt hatte. Selbst jetzt fühle ich mein brodelndes Blut durch meine Adern, die sich in einen kochenden Strom aus Lava verwandelt haben. Ich will Julians Kopf, ich will ihn umbringen, ihm die Kehle aufschlitzen, seine Leiche an ein Auto hängen und-
»Gib dem Tisch eine Auszeit.«
Kyle betrachtet seufzend die spitze Klinge des Messers, das ich in die Holzplatte ramme. Ausatmend löse ich meine Finger nur schwer vom Griff und lege es schließlich beiseite. Ich will Julian damit die Augen ausstechen. Dass er es auch nur wagt, sie anzurühren, sie zu entführen. Ich werde ihn sezieren wie ein Frosch, wenn ich ihn in die Finger bekomme. Er denkt, er hätte den wahren Santino Benelli schon kennengelernt, doch in Wahrheit hat er ihn gerade erst entfesselt. Ich bin ein Wirbelsturm, nein, ein Hurricane, der alle Vallians auf dem Weg zu ihr umreißen wird wie gestapelte Streichhölzer. Sie werden mich anflehen, vor mir knien und um ihr Leben betteln, bevor ich es erbarmungslos beenden werde. Julian hat eine weitere Grenze überschritten und nun gibt es nichts mehr, dass mich noch hält. Erst recht nicht mein Vater.
»Santino«, spricht mein bester Freund mit Nachdruck und nimmt mir das Messer aus den Fingern. Er wirft es unweit hinter sich auf einen der Sessel in Konferenzzimmer meines Vaters und schüttelt schwerfällig den Kopf. »Es bringt nichts, wenn du so vor dich hinstarrst. Dein Kopf qualmt bald vor lauter Zorn«, spricht Kyle, doch ihn nehme ihn nur durch Watte war. Meine Sicht verschwimmt auf dem braunen Eschenholz wie das Wasser der Niagarafälle, wenn es hinabstürzt. Das Blut rauscht mir in den Ohren, das dröhnende Pochen meines aufgeregten Herzens hallt wider. Ich bin kurz davor, die Beherrschung erneut zu verlieren und zu Julians protziger Angeber Villa zu fahren, um den alten Sack seinen mickrigen Schwanz zum Frühstück zu servieren.
»Marco und die anderen observieren das Haus bereits seit gestern, um einen möglichen Schwachpunkt zu finden«, fährt er fort. Will er damit bezwecken, dass ich etwas herunterkomme? Es hilft kein bisschen.
Geschafft reibe ich mir mit der flachen Hand über mein Gesicht und schließe meine müden Augen. Die Nacht habe ich kein Auge zugetan und vermutlich wird sich auch die nächsten Nächte daran nichts ändern. Erst wenn Lillian in Sicherheit ist, werde ich Frieden finden können. Es zerstört mich, zu wissen, dass sie in Julians Fängen ist.

»Hier«, Kyle schiebt mir sein Telefon über den Tisch zu, dessen Display mir hell entgegenleuchtet. »Was soll ich damit?«, will ich wissen.
»Ruf Fergus an.«
Ich schnaube und exe das Glas Schnaps, das zwischen uns steht mit einem großen Schluck aus. Der Whisky brennt mir die Kehle hinunter und bringt mich einen Moment auf andere Gedanken. »Damit der mich umbringt?«, keife ich und schüttle vehement meinen Kopf. Ich weiß doch, was der tun wird, wenn er erfährt, in welche prekäre Lage ich seine Schwester gebracht habe. Der wird mich, ohne zu zögern umlegen und meine Eier an seine Hunde verfüttern. Da kann ich gleich allein vors Haus der Vallians und mir eine Zielscheibe auf die Stirn malen. Dieser Tod wäre wahrscheinlich angenehmer als den, den Fergus mir bescheren würde. Ich bin doch nicht irre.
»Quatsch, der haut die maximal eine in die Fresse, Santino. Danach wird er sich besinnen und herkommen. Überleg doch mal-«, fordert mein bester Freund mich auf und rückt mit seinem Stuhl verdeutlichend näher, »zusammen seid ihr stärker. Ihr könntet die Villa stürmen, egal wie viele seiner Männer dort wären. Die Männer der Duncans und deine, die sind viel mehr als die ihre. Ihr wärt ihnen zahllos überlegen. Es wäre der einfachste Weg, um sie wiederzuholen, Santo«, trichtert er mir ein.
»Denkst du, dass weiß ich nicht?«, blaffe ich und erhebe mich aufgewühlt. Im Zimmer auf und ab stapfend versuche ich meine Gedanken zu entwirren und eine sinnvolle Reihenfolge aus ihnen zu machen. Grimmig komme ich vor den gefrosteten Fenstern zum Stehen und schaue mit ernstem Ausdruck auf die Straße hinaus. Little Italy ist zu dieser Jahreszeit ein Traum. Die geschmückten Bäume, hellen Lichterketten und festlichen Dekorationen. Nicht mal unsere Fehde kann die Vorfreude der Menschen auf Weihnachten hier trüben. Auf dem Gehweg gegenüber läuft ein Pärchen Hand in Hand durch den Schnee. Ich kann nicht anders, als an Lillian zu denken, als ich die braune Mähne der fremden Frau unter ihrer Mütze ausmache. Schwerfällig lasse ich meine Schultern hängen und schließe meine Augen. Sie hat das alles nicht verdient. Nicht, nachdem was passiert ist, nicht, weil sie das reinste Herz hat, dass ich kenne. Ich habe sie so tief in die scheiße geritten, dass ich sie da unmöglich allein wieder herausholen kann. Nicht ohne die Hilfe der Duncans. Neben mir haben sie das größte Interesse, sie dort rauszuholen.  Das Gespräch mit Fergus wird lang und schwer, doch ich muss es wagen. Hier geht es nicht darum, was ich will, oder eben nicht, sondern um Lillians Leben. Ich ertrage es nicht, sie noch einen Tag länger in den Fängen von Julian zu wissen. Nein, schon bald wird sie wieder frei sein.

~

Ich habe mir Kyles Worte zu Herzen genommen und habe mich in mein Penthouse zurückgezogen, um den richtigen Moment abzupassen, um Fergus anzurufen. In Schottland müsste es bereits zehn Uhr abends sein, aber unser Gespräch kann nicht länger warten. Es ist schon viel zu viel Zeit verstrichen, in der ich untätig herumsaß. Es wird Zeit, dass etwas passiert und wir alle Hebel in Gang setzen, um Lillian zu retten.
»Wer stört?«, brummt der Schotte kehlig in den Hörer und bringt seine Umgebung zum Rascheln. Vermutlich eine Bettdecke. »Ich bin's, Santino. Wir müssen reden«, erkläre ich meinen Anruf und höre einen belustigt genervten Ton vom anderen Ende der Leitung. »Hab gesehen, dass dein Name auf dem Display steht, du Witzbold. Was gibt es so Dringendes, dass nicht bis morgen warten kann?«, fragt er und ich höre, dass sich eine Tür schließt.
»Es geht um deine Schwester«, komme ich gleich auf den Punkt, ohne groß auszuschweifen.
»Was ist mit ihr?«, Fergus Stimme wird augenblicklich tiefer und rauer. Auf dem Sofa im Wohnzimmer zurücklehnend starre ich an die kahle Decke des Penthouses. Die Worte kommen mir nur schwer über die Lippen. »Sie wurde von den Vallians entführt«, gestehe ich ihrem Bruder. In Schottland scheppert es gewaltig durch den Hörer, als würde er mit seiner Faust einmal auf etwas hölzernes geschlagen haben. Einen Schreibtisch, vielleicht?
»Was? Wann? Das ist deine Schuld, du hast sie allein gelassen und-«
»Ich weiß«, unterbreche ich seine Wutrede bissig, »ich weiß«, wiederhole ich ruhiger. »Es war meine Schuld, das leugne ich nicht, und dafür bestrafe ich mich bereits genug. Ich brauche jemanden, der mir hilft sie wiederzubekommen. Ich kann dir nicht sagen, wie leid es mir tut, dass es so weit gekommen ist, glaub mir-«
»Du hast sie allein gelassen. Sie hat mir erzählt, dass ihr keinen Kontakt mehr habt. Du hättest auf meine Schwester aufpassen müssen, und stattdessen befindet sie sich nun in den Händen deiner Feinde? Wenn die ihr auch nur ein Haar krümmen, schwöre ich, kastriere ich dich mit einem stumpfen Messer, Santino Benelli. Gnade dir Gott, damit ich dich nicht erwische!«
Seine Stimme trieft nur so vor Zorn. Normalerweise wäre dies der Punkt, an dem ich stocksauer wäre, da er so mit mir spricht, aber im Moment verdiene ich es nicht anders. Er hat mit allem, was er sagt, recht. Ich hätte besser auf sie aufpassen müssen, nach dem, was in London passiert ist. Es muss einen Spitzel geben, der über alles Bescheid wusste, doch wer? Die Männer meines Vaters kann ich ohne Zweifeln ausschließen. Die meisten sind länger als ich alt bin bei uns und sind meiner Familie treu über Generationen ergeben. Niemand von ihnen würde es wagen, mir so zu schaden. Nein, es muss jemand sein, auf den ich fälschlicherweise kein Auge gelegt habe. Jemand, der sie kennt?
»Hilfst du mir nun, statt mich weiter über den Ozean zu verfluchen?«, frage ich ungeduldig und wippe mit dem Fuß. Irgendwie muss ich mich etwas ablenken. »Was für eine Frage, Benelli. Ewan und ich sitzen im nächsten Flieger morgen früh, worauf du wetten kannst. Ich werde diesen Typ umlegen, wenn er ihr wehgetan hat«, knurrt der Schotte zornig und es scheppert erneut. Er muss auf den Tisch geschlagen haben.

Erleichtert sinken meine Schultern entspannt in die Polster. »Danke Fergus, ich weiß, dass wir sie bald wiederhaben werden. Und es tut mir leid«, entschuldige ich mich ehrlich. Schuldgefühle über Schuldgefühle...
Früher hätte ich nie gedacht, dass ich sowas wegen einer Person hegen würde. Nicht für eine Frau, geschweige denn für jemand andren. Seit ich sie kenne, habe ich mich verändert.
»Ich tue das für meine Schwester«, erinnert der Schotte mich schroff. Seine krumme Laune ist mehr als verständlich. »Danke, also bis morgen, ich texte dir die Details«, verabschiede ich mich, tätige den roten Knopf und werfe das Telefon neben mir in die Polster. Stöhnend lege ich meinen Kopf in den Nacken und schließe einen Moment meine Augen, um abzuschalten. Ein Lichtblick am Horizont ist einstig die Ankunft der Schotten morgen, denn nun weiß ich, dass ich sie bald wiederhaben werde. Wenn Julian klug ist, rührt er sie nicht an, wenn nicht, ist er ziemlich dumm. So oder so, ich werde ihn umbringen, egal was komme, egal wie sehr ich dafür an meine Grenzen kommen werde. Lillian ist es mir wert.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now