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LILLIAN

Der Raum hüllt sich in Schweigen und ich beobachte Santino beim Durchblättern der Papiere mit großen Augen. Das, was sich in seinem Gesicht widerspiegelt, wage ich nicht zu deuten. Es ist, als läge ein großes Schloss um seine Gedanken und er selbst ist mir ein großes Rätsel. Die Stille zwischen und ist erdrückend. Er blättert durch die Papiere und ändert nicht einmal seine Mine dabei. Ich komme mir dumm vor. Wieso dachte ich wirklich, dass er mir helfen würde? Jemand wie er, dem würde es sicher leichtfallen, doch würde er mit diesen Infos auch wirklich etwas Gutes tun? Er hätte alles gegen mich in der Hand, sollten wir im schlechten auseinandergehen, dabei will ich meine Familie - meine Adoptiveltern - beschützen.
Mit ernstem Ausdruck legt er sie nach gefühlten zehn Minuten auf den Poker Tisch zwischen uns und reibt sich mit der rechten Hand über das Kinn. Er grübelt angestrengt, fast schon so intensiv, dass ich seinen Kopf qualmen sehe. Er trommelt mit den Fingern auf den Tisch, schnalzt mit der Zunge und hebt sein Gesicht zu mir. »Das ist nicht viel«, macht er mir klar und ich nicke. »Das ist mir bewusst, aber es ist das einzige, das ich habe...«, murmle ich ehrlich. Der muskulöse Italiener in feinem Hemd und vermutlich ebenso eleganter Anzughose, lehnt sich wieder in seinem gepolsterten Stuhl zurück und mustert mich ungeniert von unten bis oben. Gerade als er etwas sagen möchte, beginnt mein Bauch zu Knurren und die Miene des dunkelhaarigen ändert sich zu verwundert. »Hast du Hunger?«, fragt er, obwohl das Knurren Antwort genug war. Ohne meine Worte abzuwarten, langt er das zweite Mal heute Abend unter den Tisch und die Tür öffnet sich wenig später hinter mir. Santinos Augen schauen an mir vorbei und ich bin sicher, dass es die Bedienung von vorhin ist, die im Türrahmen steht. »Bring unserem Gast doch eine Portion Ravioli und etwas Wasser, ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ihr Magen die ganze Zeit hungrig knurrt«, weist er sie an. »Sehr wohl signore«, erklingt eine zarte Stimme und die Tür fällt ins Schloss.
Beschämt lege ich mir eine Hand über den Magen und senke mein Gesicht auf den Tisch hinab. Wenn meine Wangen nicht von der Ohrfeige vorhin glühen, werden sie vermutlich spätestens jetzt vor Scham tiefrot. »Das wäre wirklich nicht nötig gewesen«, nuschle ich und sehe nur am Rande meines Sichtfeldes, wie Santino die Blätter zurück in den Umschlag stopft und ihn anschließend auf einen der leeren Sessel befördert.
»Sei nicht albern, Lillian.«
Ein Kommentar verkneife ich mir.

Lippenbeißend harre ich aus bis mir ein tiefer Teller feinster Ravioli vor die Nase gestellt wird, garniert mit Parmesan und dazu ein Glas Wasser. Ich bedanke mich leise und warte, bis wir wieder allein sind. Santino, der in Zwischenzeit die Poker Karten durchmischt und die Geldscheine an die Seite schiebt, deutet mit der flachen Hand auf den Teller. »Iss nur, tue dir keinen Zwang an, es wird sonst kalt werden«, fordert er mich auf und ich greife zögerlich nach dem Besteck am Rande des Tellers. Ich puste zwei Ravioli kalt und sie zergehen wie Butter auf meiner Zunge. Mit entflieht ein wohliges Seufzen. »Das ist ... gut«, nuschle ich mit vollem Mund und schiebe mir direkt eine weitere Portion in den Mund. Gott, ich habe seit langem nicht mehr so gut gegessen. Neben meinem Job finde ich normalerweise nur wenig Zeit, um essen zu gehen oder zu kochen. Take-Outs und Ramennudeln sind nicht sehr nährstoffreich, aber stillen meinen Bedarf fürs erste. Vermutlich ist es nicht gesund, aber wenn ich abends erschöpft auf dem Sofa sitze, schaffe ich nicht, mich selbst zu überzeugen zu kochen. Mein Job laugt mich aus.
Eine Weile macht sich ein amüsanter Ausdruck auf seinem Gesicht breit, und ein Schmunzeln zupft an seinen Mundwinkeln. »Das beste Essen in der ganzen Stadt«, versichert er mir und zückt eine Zigarette aus der Schachtel, die zuvor auf dem Tisch lag. Dazu ein Feuerzeug und er atmet den Rauch tief in seine Lungen ein. Mir entgeht nicht, wie entspannt seine Schultern absacken, als er den Kopf in den Nacken legt und ausatmet. Er gönnt sich dieses Moment, bevor er mich wieder still beobachtet. Die Ravioli sind weich und die Soße fruchtig lecker. Ich mag es nicht das zuzugeben, aber seine Worte stimmen, dies ist tatsächlich das beste Essen, das ich je in der Stadt probiert habe.

~

»Cannoli, iss sie nur.«
Santino schiebt mir einen weißen Porzellanteller zu, als er sich selbst die Zigarette zwischen die anderen Finger klemmt und sein Glas anhebt. »Nur zu.«
Zögerlich schiele ich auf den Teller mit dem süßen Gebäck. Nach den Ravioli ist das Knurren in meinem Magen versiegt und die erste Mahlzeit dieses Tages füllt meinen Bauch wohlig. Die kleinen gefüllten Röllchen sind so verlockend, dass ich anstrengend darüber grübeln muss, ob ich mir tatsächlich eines nehmen sollte. Egal - es riecht zu gut, um nicht gegessen zu werden. Während ich genussvoll in das erste Röllchen beiße und die Beine unter dem Tisch überschlage, frage ich mich, ob es seine Taktik ist, Frauen mit Essen abzufüllen. Noch dazu Essen, was himmlisch gut schmeckt. »Tust du das für alle, die dich besuchen?«, rutscht es mir prompt aus meinem vollen Mund heraus und ich schlage mir die Hand vor die Lippen, um nichts dummes mehr zu sagen. Santinos Mundwinkel Zucken erneut. »Nur die, dessen Magen so laut knurrt, wie deiner, Mia Bella. Es lenkt mich ab.«
»Tschuldige«, murmle ich ironisch und verdrehe die Augen.
»Lass das«, brummt er scharf und schenkt mir einen mahnenden Blick. Ich schlucke den letzten Bissen Cannoli nur schwer herunter, wie einen dicken fetten Stein in meiner Speiseröhre bahnt er sich den Weg nach hinab, dabei wird mir glatt übel. »Was sagst du nun zu meiner Bitte?«, lenke ich ab und rupfe mir mit der Stoffserviette die Lippen ab. Der Italiener flippt den Stapel Karten in seinen Händen umher und schiebt sein Glas zur Seite. »Spielst du Poker?«, umgeht er meine Frage gekonnt und ich schüttle ehrlich den Kopf. Was hat Poker mit meiner Bitte zu tun? Mit gerunzelter Stirn beobachte ich, wie er die Chips auf dem Tisch umher schiebt und einige Karten austeilt. Zwei legt er vor mich. Die Rückseiten sind mattschwarz, geprägt mit einem glänzenden Logo, das ich im schummrigen Licht nicht zuordnen kann. »Wieso ist das von Belangen?«
»Weil du mir meinen Sieg vermiest hast mit deinem Auftritt. Ich mag es nicht, es nicht zu Ende spielen«, erklärt er mir konzentriert. Er stapelt die Chips neu nach Farbe, schiebt sich ein paar zu und setzt etliche vor mich. »Aber ich habe keinen Einsatz...«, merke ich an. Der Italiener mustert mich kurz. »Wenn wir nicht um Geld spielen, um was dann?«, fragt er beherrscht. Seine Augen ruhen dabei auf meinem Gesicht, selbst wenn ich ihn nicht anschauen kann und nur auf die Chips starre, die er in seinen Händen dreht. Was im Moment durch seinen Kopf geht, weiß ich nicht. Er ist wie ein verschlossenes Buch für mich.
»Hast du an etwas gedacht?«, entgegne ich und nippe nervös an meinem Wasser, das Glas Alkohol habe ich schon seit einer geraumen Weile nicht mehr angerührt. Nüchtern scheine ich doch bessere Entscheidungen zu treffen, Alkohol war nie meine Stärke.
»Du etwa, Lillian?«
Mir gefällt es nicht, wie er meinen Namen ausspricht.
»Mhm, nein«, schüttle ich meinen Kopf. An etwas gedacht habe ich tatsächlich dabei nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, um was wir spielen sollten. Santino scheint das anders zu sehen. Er leert sein Glas, schwenkt es in seiner Hand umher und setzt es anschließend auf dem Tisch ab. Auch ohne ihm in die Augen zu schauen, spüre ich seinen stechenden Blick, der auf meinem Gesicht liegt, als würde er mich studieren - sehr lang und intensiv. Unwohl rutsche ich über den Sessel und zwänge meine Beine unter dem Tisch noch etwas enger zusammen. Etwas liegt in der Luft, das fühle ich.
»Um einen weiteren gefallen vielleicht?«, schlägt der Benelli Mann mir gegenübersitzend vor. Ich brauche nicht lang, um darüber nachdenken und schüttle sofort vehement meinen Kopf. »Ich glaube nichts, das ich noch etwas von dir wollen könnte«, gebe ich zu und entlocke ihm ein kleines Lachen. Überrascht schaue ich auf und sehe das amüsierte grinsen auf seinen Lippen. »Du überraschst mich, Lillian«, gibt er zu und führt seine Hand zu seinem Kinn. Grübelnd reibt er sich über die Haut und lässt seine Augen durch die Gegend schweifen, bis sie schließlich auf mich fallen und er beginnt fies zu schmunzeln. »Meine Kette«, meint er und zeigt mit einem Finger auf sie. Das goldene Stück baumelt noch um meinen Hals. Ich schaue an mir hinab, drehe den Anhänger zwischen meinen Fingern und nicke. Es geht nur um die Kette, das scheint mir ein guter Wetteinsatz, bei dem nichts Schlimmes verlieren kann. Entweder darf ich sie behalten, oder ich verliere und er bekommt sie wieder. »Deal.«

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now