62

11.4K 365 9
                                    

LILLIAN

Das herbe Parfüm und die Wärme meines Bruders lullen mich ein wie ein Baby. Fergus hier zu haben, fühlt sich gut an. Allein das er gekommen ist, bedeutet mir unglaublich viel. Ich kann es nicht in Worte fassen.
Erschöpft lehne ich gegen seiner schwarzen Uniform und spüre wie sein Daumen beruhigende Kreise über meinen Rücken zieht. Auf dem Rücksitz des SUVs ist es dank der Heizung herrlich warm. Nach den Tagen im Keller, bin ich ausgefroren und selbst jetzt zittere ich am ganzen Leib. Zum Glück überwiegt die Erleichterung darüber, dass ich frei bin. Mal abgesehen von meinen körperlichen Wunden, geht es mir ganz gut. Kyle hat sporadisch meine Handgelenke in ein Stück Mullbinde gewickelt, Santino hat mir eine Jacke besorgt, Fergus hat mich ins Auto getragen, da meine Beine wie Wackelpudding waren, und ich keine Schuhe trug. Die letzten Tage waren die Hölle, und ich hoffe sowas nie wieder erleben zu müssen. In meinem Fall ist es noch glimpflich ausgegangen. Immerhin hätten die Vallians mich töten, oder noch viel schlimmere Dinge mit mir anstellen können. Ich hatte Glück - selbst wenn ich es nicht als dieses bezeichnen würde.
»Über was sprechen sie?«, frage ich meinen Bruder und schaue langsam blinzelnd durch die Frontscheibe zu Ewan, Santino und zwei weiteren Männern. Sie stehen in einem Kreis und diskutieren wild. »Mach dir keine Gedanken darüber«, erwidert er und streicht mir meine Haare über die Schultern. »...es wird nichts sein.  Nichts, was dir Sorgen bereiten müsste.«
Vermutlich hat er recht. Ich kuschle mich näher in seine Arme und drifte in fernere Welten ab, bis das pochen in meinem Kopf stetig langsamer wird und ich sanft einschlafe. Ich spüre noch seine Lippen auf meiner Stirn, dann bin ich restlos weggetreten.

Das nächste Mal erwache ich als die Autotür ins Schloss knallt und es raschelt. Ich schaffe es nur nicht, meine Augen offen zu halten.
»Alles erledigt?«, höre ich Fergus fragen. »Vorerst ja. Wir ... der Fahrer bringt uns in mein Penthouse, dort kann sie sich ausruhen«, erklingt Santinos raue Stimme, die kribbelnde Gänsehaut auf meinem Körper auslöst. »Wie gehts ihr?«
»Das solltest du sie fragen, wenn sie wach ist. Ihr habt sicher einige Dinge zum besprechen«, sagt der Schotte und streift mit seiner Hand meinen Oberarm. Mein Herz sprüht aufgeregter Funken, als er mich berührt. Selbst nach all den Wochen ist es noch schwer für mich zu glauben, dass er mein Bruder sein soll. Das wir uns dasselbe Blut teilen und tatsächlich verwandt sind. Es fühlt sich kurios gut an, wenn er mich hält. So natürlich und real, etwas von dem ich früher nur träumen konnte. Auch wenn weder meine Mutter noch mein Vater hier sein können, Fergus ist es und ich könnte ihm dafür nicht dankbarer sein.
»Wie lang werdet ihr bleiben?«
»Zwei Tage, dann müssen wir zurück in die Highlands, die Pflicht ruft. Aber ich würde gern länger bleiben«, flüstert Fergus und drückt mich aufs Wort enger an seine Brust. Sein Herz klopft an meinem Ohr ganz wild und ich fühle die Liebe, die er für mich übrig hat. Wir beide bedeuten einander mehr, als wir uns laut eingestehen wollen. Fergus bedeutet mir viel.
»Sie vermisst dich, dass habe ich im Flugzeug in ihren Augen gesehen. Besuch sie mal wenn du Zeit hast«, rät Santino ihm. Der Italiener überrascht mich mit seiner ruhigen, besorgten Tonlage. Vorhin im Keller hielt er mich so fest, dass ich einen Moment glaubte mit ihm zu verschmelzen. Ich war nur so glücklich ihn und die anderen zu sehen, dass ich weinen musste. Etwas, das ich ungern tue.
»Das werde ich«, erwidert Fergus leise, seine Stimme kratzig. Jemand legt etwas über meine Beine, ich nehme an er, und ich drifte tiefer in Santinos Jacke ab, die herrlich nach ihm duftet.

~

»Lillian?«, weckt mich eine tiefe Stimme. Ich weis weder wie viel Zeit vergangen ist, noch wo wir sind. Nur eines weis ich ganz sicher, es ist dunkel als ich meine Augen aufschlage. »Wir sind da«, erklärt mein Bruder mir und ich richte mich auf dem Sitz auf. Meine Arme und Beine zittern noch immer wie Wackelpudding, nachdem ich mehrere Tage an diesen Ketten hing. Mein Körper sehnt sich nach einem bisschen Schlaf und etwas Ruhe, aber erst muss ich aus dem Auto raus.
»Wo sind wir?«, räuspernd streiche ich mir meine Haare aus dem Gesicht und klemme die vordersten Strähnen hinter mein Ohr. »Little Italy«, antwortet Santino mir die Tür öffnend. Er streckt mir seine Hand entgegen, die ich dankbar annehme und mit meinen nackten Füßen auf den kalten Betonboden der soeben identifizierten Tiefgarage rutsche. Grelle Neonröhren brennen mir in den Augen, und ein kalter Wind fegt unter dem gerade zurollendem Tor hindurch. »Komm«, bittet der Italiener und legt seinen Arm um meinen Rücken, um mich zu stützen. Loslaufend schaue ich zurück zu Fergus, der mir lächelnd zunickt und kurz darauf vom Fahrer in ein Gespräch verwickelt wird. Ich lasse mich von Santino in einen Fahrstuhl führen, und wir sprechen kein Wort miteinander, bis wir im Erdgeschoss wieder hinaustreten. Es ist das Haus, in dem er wohnt, doch bis jetzt kenne ich nur seine Wohnung ganz unterm Dach. Die Flure und Zimmer hier unten sind mir fremd. Zu dieser späten Uhrzeit - ich nehme an das es mitten in der Nacht ist, da der Mond durch die Fenster einfällt - herrscht ein reges Treiben in dem mehrstöckigen Haus. Bestimmt ein Dutzend gruselig ausschauende Männer kreuzen unseren Weg. Teils bewaffnet, teils nur mit einem finsteren Ausdruck auf dem Gesicht. Hinter einer offen stehenden Flügeltür erkenne ich einen großen Tisch mit mehreren Männern, an dessen Ende einer sitzt, der Santino ähnelt. Ich erkenne ihn von dem Abend wieder, an dem ich in der Pizzeria war. Es muss sein Vater sein. Sein Blick bleibt kurz an mir hängen, bevor die Wände uns wieder trennen und Santino mich in ein warmes Zimmer schiebt. Ein steriler Geruch gemischt mit Desinfektionsmittel liegt in der Luft. Es gibt eine Liege, eine lange Reihe Raumhoher Schränke und eine Art Küchenzeile zwischen ihnen, vor der ein Mann mit dem Rücken zu uns steht und etwas präpariert. Als die Tür hinter uns ins Schloss fällt fährt er herum. »Da seid ihr ja, setzt euch«, bittet er und deutet auf die Krankenliege. Der Italiener bringt mich dorthin und ich setze mich auf das gepolsterte Stück vor der Wand. »Das ist Bernardino, er ist ein exzellenter Arzt. Er wird sich deine Wunden anschauen, damit sie sich nicht entzünden«, erklärt der dunkelhaarige mir mit ruhiger Stimme und nimmt mir seine große Jacke ab, die er über die Lehne eines Stuhles schwingt. Nickend beobachte ich den Mann und wie er näher kommt. Er stellt eine silberne Schale mit einigen Utensilien neben mir ab und zieht sich zwei weiße Latexhandschuhe über, bevor er seine Hände an meine Stirn hebt und meine Haut abtastet. Stöhnend zucke ich zurück und kneife meine Augen brennend zusammen. Es tut verdammt weh.
»Sieht übel aus«, murmelt er konzentriert, »war das eine Eisenstange?«

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now