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LILLIAN

Der Tag im Schnee war wunderschön, und wird von einem Abendessen im Gästehaus des Castles gekrönt. Ewan hat für uns gekocht. Bereits als wir durch die Haustür in die Wärme der alten Gemäuer treten schnuppere ich den lieblichen Geruch von süßem Nachtisch und dem Hauptgericht. In der großen Küche warten bereits die beiden Männer und streiten sich gerade über etwas, dass ich nicht verstehe. Erin verdreht genervt auf dem Barhocker sitzend ihre Augen und Mila lehnt an der Arbeitsplatte und kichert hinter vorgehaltener Hand. »Stören wir?«, fragt Santino und die beiden Streithähne verstummen. Fergus lässt den Kochlöffel fallen und tritt vom Ofen weg, um Ewan das Feld zu überlassen. »Schön, dass ihr gekommen seid«, lächelt Erin und erhebt sich. Sie wirft Ewan einen knappen Blick zu und der Schotte verdreht nur seine Augen genervt. Anschließend putzt er sich die Hände an einem Tuch ab und deutet auf den gedeckten Tisch. »Setzt euch schon«, bittet er uns und Erin geht selbstbewusst voran. Ihr Zuhause ist wirklich wunderschön. Die alten Sandsteinwände sind teilweise zu sehen und frisch aufgearbeitet. Bilder hängen an Schienen von der Decke, um die Wände nicht zu beschäftigen und warmes Licht erhellt die Räume des Gästehauses. Neben dem gemütlich ausschauendem Sofa liegt ein Korb mit Spielzeug und neben dem Sessel ein kleines Gitter, in dem die zwei Mädchen sich beschäftigen. Sie kichern glücklich und manchmal wünschte ich mir, auch noch ein Baby zu sein, ohne Probleme und Sorgen...
»Ihr habt es sehr schön hier«, lächle ich und sinke auf einen der Stühle, Santino nimmt links neben mir Platz und lehnt sich umschauend zurück. »Ach, danke«, winkt Erin geschmeichelt ab und umrundet den Tisch mit einer Flasche Wein. Bevor sie bei mir angelangt, lege ich meine flache Hand über das passende Glas. »Für mich nicht, Tabletten und Alkohol sind keine gute Idee«, erkläre ich und Mila taucht mit einer Karaffe Wasser neben mir auf, während Erin dafür Santino großzügig etwas von dem roten Getränk einschenkt. »Wo wart ihr den Nachmittag?«, hakt sie neugierig nach und sinkt auf einen der freien Stühle. Mila läuft in die Küche zurück und unterhält sich kurz mit Fergus, der sich schon wieder mit Ewan streitet. Amüsant die beiden zu beobachten.
»Wir waren an der Luft«, reist Santino knapp an und legt seinen Arm auf die Rücklehne meines Stuhls. »Bei der Kälte?« Erin verzieht ihre Lippen und nippt an ihrem Wein. Der Italiener schnaubt, vermutlich erinnert er sich an das, was passiert ist. »War keine Absicht«, wispere ich zu ihm und er verdreht ungläubig die Augen. Ts.
»Und wo wart ihr?« Mila stellt eine Schüssel warmes Baguette zwischen die zwei Kerzenständer auf der weißen Tischdecke ab. »Ein Stück den Berg hoch«, antwortet Santino und nimmt ebenfalls einen Schluck seines Weines. »Da war ich schon ewig nicht mehr, Ewan und ich gehen nur in Richtung Loch Ness, weil Rosys Kinderwagen bei der Steigung nicht mithalten kann«, seufzt Erin in Gedanken schwelgend und ich versuche mir gerade den großen tätowierten Ewan, der immer krumme Miene hat, mit einen Kinderwagen vorzustellen. In mich hineinschmunzelnd lege ich mir die Stoffserviette auf den Schoß. »Wenigstens wandert er mir dir«, merkt Mila an und gesellt sich zu uns. Sie wirft einen Blick hinter mich, vermutlich auf das Laufgitter in der Ferne und wirft ihrem Baby einen Kuss zu. »Überzeugungsarbeit«, begründet Erin stolz und wirft sich die Haare über die Schulter. Sie verwickelt Santino in ein Gespräch, oder etwas Gespräch-Ähnliches, in dem sie ihn neugierig über die kühnsten Sachen ausfragt. Mila und ich schweigen. Ich brauche noch etwas, um alles zu verarbeiten und mit ihr zu sprechen, wühlt mich zu sehr auf, ich hoffe das nimmt Fergus mir nicht übel.

Die Zeit vergeht und Ewan tischt einen köstlich cremigen Tomateneintopf auf. Als Hauptspeise folgen gekochte Kartoffeln, ein gutes Stück Braten und eine leckere dunkle Bratensoße dazu. Die Stimmung am Tisch ist losgelöst, sogar Santinos Kehle entflieht ab und zu ein amüsierter Ton. Ich hingegen halte mich etwas zurück. Der Gedanke schon morgen anzureisen, bedrückt mich, dabei habe ich Fergus und die anderen so liebgewonnen. Ich hoffe, dass wir uns bald Wiedersehen und ich meinem Bruder den Ort an dem ich aufwuchs, zeigen kann. Mein Magen wärmt sich als meine Augen über die Personen am Tisch schweifen. Sie sind ebenso meine Familie wie die Jones. Es ist schön, endlich zu wissen, woher ich komme. Ich bin Schottin, allein dies zu sagen, fühlt sich unglaublich fremd und falsch an. Es ist ungewohnt und dauert wohl noch eine Weile, bis es zur Normalität wird. Ich bin Kyle und Santino so unglaublich dankbar für alles. Die beiden haben mich endlich mein Blut finden lassen und mit meinem Bruder, meinem Cousin und ihren Freundinnen am Tisch zu sitzen, kommt mir vor wie ein langer Fiebertraum, der endlich zu Ende gekommen ist. Ich fühle mich glücklich, angekommen, losgelöst. Eine Hand schiebt sich auf meinen Oberschenkel und ich kreuze Santinos Blick. Sofort schnellen meine Mundwinkel in die Höhe. Er neigt sich zu mir, die Lippen dicht an mein Ohr und flüstert leise hinein. Eine gewaltige Gänsehaut löst sich wie eine Lawine und rast meinen Körper hinab. »Alles okay, mia bella?«
Nickend schiebe ich meine Hand in seine. Was sich vor Wochen noch so falsch angefühlt hat, fühlt sich jetzt so unglaublich richtig an. Genau in diesem Moment weiß ich, wie sehr ich dies hier vermissen werde. Zurück in New York werden wir getrennte Wege gehen und uns nicht mehr sehen. Nicht, solange das NYPD noch hinter ihnen her ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder bei mir vor der Tür stehen. Es war uns beiden von vornherein klar, selbst wenn die Geschehnisse uns etwas durcheinandergebracht haben. London, das Krankenhaus, Schottland. Es war schön. So schön, dass ich nicht will, dass es endet. Santinos Daumen auf meinem Handrücken verstärkt dieses Gefühl tief in meinem inneren sekündlich, während er in das ausgelassene Gespräch der anderen einsteigt und ich ihnen lächelnd zuhöre. Den Inhalt habe ich schon lange außeracht gelassen. Es fühlt sich nur gut an, bei ihnen zu sein. Das ist alles, was zählt.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now