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LILLIAN

Santino nimmt an einem massiven Schreibtisch hinter einem Computerbildschirm Platz und winkt mich herbei. Dies hier muss sein Arbeitszimmer sein. Es ist rustikal eingerichtet und passt zu ihm. Ein paar uralte Bücher stapeln sich neben der Tür in einem Regal, es gibt eine Vitrine mit allerhand interessanten Dingen, hohe Aktenschränke und welche, die mit Türen verdeckt sind. Links neben dem Fenster steht ein antiker Globus und wird von der Sonne bestrahlt. Ich umrunde das kollossale Möbelstück an dem er sitzt und trete hinter seinen Stuhl und entdecke einen Bilderrahmen neben dem Bildschirm stehen. Ein kleiner Junge und eine Frau mit langen, wunderschönen Haaren und einem strahlenden Lächeln. Sie hat Santinos Augen und die selben Züge, wenn er lächelt. In ihren Iriden glänzt so viel Liebe für den kleinen Jungen in ihren Armen wieder, das ich sie fast durch den Rahmen spüre.
»Bist du das?«, hake ich nach und deute mit meinem Zeigefinger auf das Bild. Santino folgt meinen Augen verwirrt und als er realisiert, das ich das Bild meine, schnappt er es sich schnell und stopft es in die erstbeste Schublade. Kommentarlos widmet er sich wieder dem Bildschirm und ich kann das seufzen aus meiner Kehle nicht verhindern. Lippenbeißend lege ich meinen linken Unterarm auf die Rücklehne seines Drehsessels und beobachte, was er tippt. Er kramt ein paar Dokumente aus seinem Email Postfach heraus, die allesamt von der Agentur aus England stammen, von der ich damals adoptiert wurde.

»Also«, beginnt der Italiener besonnen, »Ich musste etwas nachbohren und schließlich hat die Angestellte doch ein paar Informationen herausgefunden. Es gibt keine Aufzeichnungen über deine leiblichen Eltern, oder sonstiges, aber ich konnte ausfindig machen, dass ein Krankenwagen des Saint Smith Hospitals in London dich fünf Tage nach deiner Geburt zur Agentur gefahren hat«, erzählt er und sichtet die drei Dokumente. Mit gerunzelter Stirn neige ich mich dem Computer zu und lese die Zeilen, die auf der pdf geschrieben stehen. Es ist eine unterzeichnete Übergabe vom Krankenhaus in London, an die Adoptionsagentur.
»London?«, frage ich restlos verwundert, »Wie in aller Welt, komme ich nach London? Die Agentur ist doch viel nördlicher. Angeblich wurde ich Leeds geboren, oder nicht?«
Santino nickt und schaut mich über die Schulter an. »Es ergibt keinen Sinn«, spricht er meine Gedanken aus. Wie komme ich von Leeds nach London, als frischgeborenes Baby?
»Fass das jetzt nicht falsch auf-«, bittet Santino mich skeptisch, »aber die Sache stinkt bis zum Himmel, das ist dir klar, oder?«
Ich nicke. All die Jahre hoffte ich, dass alles doch klären wird. Das ist endlich Frieden finde und meine leiblichen Eltern kennenlernen kann. Dass es nur ein Katzensprung bis zur Wahrheit ist, doch stattdessen reitet dieses Thema mich immer tiefer in die Verzweiflung. »Ich verstehe das nicht...«, flüstere ich Haare raufend, »wieso gibt es keine Unterlagen über meine Eltern? Keine darüber, woher ich komme? Irgendjemand muss mich in diesem Krankenhaus doch zur Welt gebracht haben?«, stoße ich hoffnungslos hervor. Der dicke Kloß in meinem Hals raubt mir den letzten Nerv. Ich kann kaum noch atmen, geschweige denn einen klaren Gedanken fassen. Wieso kann nicht einmal alles glatt in meinem Leben laufen?

Der dunkelhaarige Benelli Sohn dreht den Sessel in meine Richtung und streckt ganz unvorhersehbar seine Hand nach mir aus. Er zieht mich an der Hüfte auf seinen Oberschenkel und ich fühle mich, als würden es plötzlich sechzig Grad im Raum sein. »Was tust du da?«, frage ich und rutsche unsicher über seinen Schoß. Der Italiener stößt ein tiefes Grollen aus und schlingt auch seinen zweiten Arm um meine Hüfte. »Beweg dich nochmal so, und du musst mit den Konsequenzen leben, und jetzt hör mir zu«, knurrt er und hebt mein Kinn sachte an, dreht es in seine Richtung, bis unsere Augen sich kreuzen. »Ich kann der Sache weiter nachgehen, aber dass, was dann vielleicht offenbart wird, gefällt die höchstwahrscheinlich nicht. Ich muss wissen, ob du dich dem bewusst bist, Lillian«, spricht er ernst und ganz ohne Zweifel. Mit blanker Panik in den Augen schaue ich ihn an. »Was?«, krächze ich heißer, da ich den dicken Kloß in meinem Hals noch immer nicht verdaut habe, »was denkst du denn, wer meine Eltern sein könnten?«
Mein Herz hämmert mir wie nie zuvor gegen die Brust und ich kann nicht anders, als erneut unwohl über seinen Schoß zu rutschen. Santino zieht uns kurzerhand an den Tisch heran und tippt etwas auf der Tastatur. »Deine Eltern könnten jeder verdammte Mensch sein, genau das scheinst du nicht zu verstehen. Entweder wollen sie nicht bekannt werden, oder jemand verschleiert ihre Identität.«
»Wer sollte das tun? Ich bin ein Niemand.«
Die Furche zwischen meinen Brauen wird tiefer. »Genau das versuche ich herauszufinden«, brummt er und klickt sich unzufrieden durch ein paar weitere in der email angehangene Dokumente. Nichts davon scheint ihm zu passen, er findet schlichtweg keine Infos mehr.
Lippenbeißend neige ich mein Gesicht zurück um ihn anzuschauen. Seine Arme liegen links und rechts von mir auf den Tisch und er hat mich eingekesselt wie ein Tier. Auf seinem Schoß zu sitzen, seine Brust in meinem Rücken zu spüren und seinen heißen Atem, machen mich ganz wuschig. Immerhin bin ich auch bloß nur eine Frau, die auf den Beinen eines hübschen Südländers sitzt und von dessen herben, himmlisch riechenden Duft eingenebelt wird. Ich kann nichts gegen das pochen in meiner Mitte ausrichten.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now