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LILLIAN

Über Nacht ist neuer Schnee gefallen und die Parklandschaft des Castles schaut aus wie in Zuckerwatte gepackt. Die weißen Flocken rieseln leise vom Himmel und gleiten sanft zur Erde hinab. Ich kann den Loch Ness von hier oben sehen. Der berühmte See zu meiner linken ist mit einer Decke aus Nebel und Eis bedeckt. Die Ufer müssen zugefroren sein. Ich würde gern einmal hinunter und ihn mir anschauen, aber das hat Zeit. Ich will nichts überstürzen. Mir tut immer noch alles weh und seit gestern nicht mehr nur mein Körper, sondern auch meine Seele. Zu wissen was damals mit meinen – unseren Eltern geschehen ist, lässt mich nicht ruhig schlafen. Allein diese Nacht bin ich vier Mal wach geworden, weil ich von ihnen geträumt habe. Weil ich sie vor mir sah, wie sie litten, wie sie starben. Diese Männer die... die haben sie umgebracht. Der Vater von Fergus' Freundin soll es gewesen sein. Ich verstehe nicht, wieso er mit ihr zusammen sein kann, nachdem was passiert ist. Sie kann nichts dafür, aber ich könnte nicht mit ihr in einem Bett schlafen, wenn ich wüsste, dass ihre Familie meine Eltern auf dem Gewissen hat. Trotzdem versuche ich sie nicht zu verurteilen. Er hat sicher auf seine Weise damit abgeschlossen, immerhin kannte er die umstände ihres Todes schon seitdem es damals passierte. Für mich hingegen ist dies neu. Es überwältigt mich und bringt meinen Magen dazu, sich unwohl zu verkrampfen. Übergeben kann ich mich nicht, dafür ist mein Magen zu leer.

Umso glücklicher bin ich, dass sich zwei Arme soeben um meine Schultern schlingen. Santino ist seitdem ich im Krankenhaus aufgewacht bin, unglaublich nachsichtig und führsorglich, was mich wahrlich überrascht hat. Er wirkte immer so kalt und beherrscht auf mich. Nicht wie jemand, den die Gefühle eines anderen interessieren. Ich spiele gedankenverloren an dem Anhänger seiner Kette, die er mir im Krankenhaus umgelegt hat. Das goldene Medaillon mit den betenden Händen wärmt sich zwischen meinen Fingern auf und schickt ein wohltuendes Kribbeln durch meine Fingerkuppen in meinen Körper. Die Kette muss ihm viel bedeuten, immerhin ist es das Zeichen seiner Familie.
»Du wirst irgendwann eine Salzsäule, wenn du weiter aus dem Fenster starrst«, raunt der Italiener mir ins Ohr und setzt einen Kuss auf meine Halsbeuge. Wohlig seufzend lehne ich mich zurück an seine Brust und schaue über die Schulter auf. »Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du ins Zimmer gelaufen bist«, murmle ich seine Worte ignorierend. Gott, er riecht so gut nach Shampoo und seinem Parfüm. »Ich bin leise wie eine Katze, mia bella. Dass dir das noch nicht aufgefallen ist, schmerzt.«
Er entlockt mir ein winziges Lachen und und bringt mich dazu, mich in seinen Armen zu drehen. Noch müde schmiege ich mich an sein weißes Hemd und lausche dem schlagen seines Herzens eine Weile. »Alles okay?«
»Ja, jetzt schon«, wispere ich ehrlich und schließe meine Augen. Der Italiener streicht mir bedacht mit einer Hand über meinen Kopf. »Willst du über das was passiert ist sprechen? Ich meine nicht das mit deinem Bruder, sondern dass, was in London passiert ist«, fragt er. Blinzelnd starre ich an die beige gestrichene Wand neben dem Sessel und denke über seine Worte nach. Sollte ich? Will ich jetzt darüber sprechen? Wenn wir es nicht tun, wird es mich belasten, dass weis er so gut wie ich. Also habe ich wohl keine Wahl. »Willst du es denn?«
»Ja«, gesteht er. Überrascht schaue ich auf. »Wirklich? Ich meine... das-«
»Wirklich«, unterbricht er mich bestätigend. Okay.
»Ich glaube ich komme klar damit. Es hätte eh nicht geändert werden können. Gegen solche Dinge kann man nichts ausrichten«, beginne ich ehrlich und schiele zu ihm hinauf. Er nickt. »Ja das hast du recht. Der Arzt sagte, dass es nur eine fünfzig prozentige Wahrscheinlichkeit gibt, dass du nachdem was passiert ist, normal ein Kind bekommen kannst. Kommst du damit auch klar?«
Seine direkte Art stört mich nicht mehr so wie früher. Ich lehne mich wieder gegen ihn, da ich ihm beim nachdenken nicht in die Augen schauen kann. »Meine Eltern konnten auch keine Kinder bekommen und waren glücklich, als sie mich adoptieren konnten«, argumentiere ich. Selbst wenn ich noch welche bekommen kann, weiß ich nicht, ob ich das wollen würde, wieder alles durchmachten zu müssen. Zu bangen, dass der Embryo sich diesmal an der richtigen Stelle einnisten würde, und nicht an einer völlig falschen. Ich hätte sterben können. Ob es mir das wert wäre, weiß ich im Moment noch nicht. Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now