66-Epilog Teil 1

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LILLIAN
Monate später...

Sommer.
Die warme Brise Wind die mir ums Gesicht pustet, füllt meine Lungen mit salziger Mittelmeerluft und die Sonne küsst meine sonst so blasse Haut wie ein Liebhaber.
Ich bin angekommen. Nicht nur in Palermo, sondern auch im Leben. Alles, was ich mir nie erträumt habe, ist in den letzten Monaten in Erfüllung gegangen. Dinge, von denen ich glaubte, dass sie für immer ein Märchen sein würden. Wir wohnen noch in der Villa und meine Eltern kommen uns recht oft besuchen. Inzwischen kennen sie auch Fergus, Ewan und co, und haben sie gut in die Familie aufgenommen. Sie verstehen sich blendend, das war mir sehr wichtig. Es scheint, als würden Dad und Fergus sich ähnlicher sein als gedacht, was mich überrascht hat. Fergus ist wie ein Sohn für ihn geworden. Auch mit Santino versteht er sich blendend und nicht gerade wenig haben die beide gemeinsame Ausflüge auf der Yacht der Benellis gemacht. Meine Eltern wissen inzwischen, wer Santino ist, und die anfänglichen Bedenken haben sich -hoffe ich zumindest- gelegt. Zumindest sagen sie es mir nicht, falls es doch ein Problem gibt. Für eine Meinungsänderung wäre es nun ohnehin deutlich zu spät. Dad sagte aber, dass es ihm egal ist, was er tut, selbst wenn er seinen Job nicht gutheißt. Solang er mich gut behandelt, ist ihm der Rest egal. Und das tut Santino. Er trägt mich auf Händen und liest mir jeden Wunsch von den Lippen ab. Ich könnte nicht glücklicher sein, ihn zu haben. Die letzten Monaten waren hart. Über meine Eileiterschwangerschaft hinwegzukommen bedurfte mehr Zeit als gedacht, und Santino hat einen großen Teil zu meiner Besserung beigetragen. Es ist mir schwergefallen, mich ihm zu öffnen, aber besonders das Gefühl danach überwog - ich fühlte mich tatsächlich frei, als hätte ich die unsichtbare Barriere in meinem Kopf überwunden. Es hat so gutgetan, mit ihm darüber zu sprechen, selbst wenn er manchmal nicht wusste, was er sagen sollte. Das war okay. Er war da. Er hat zugehört.
Je mehr ich mit ihm darüber sprach, desto mehr merkte auch ich, dass es ihn bedrückte. Irgendwie konnten wir uns beide aus dem Loch hinausziehen. Vor allem, hat er die Schuldgefühle hinter sich gelassen. Er hatte sie wegen mir, dabei habe ich mich inzwischen im Guten damit abgefunden, hier auf Sizilien zu leben. Wir wissen noch nicht, wann wir zurück in die Staaten können, aber hier ist es auch recht nett. Meine Arbeit kann ich über den Computer tätigen und Meetings per Skype abhalten. Das Leben ist schön auf Sizilien und ein wenig Sonne hat mir auch gutgetan. Die letzten Monate über haben wir die Insel erkundet und er hat mir ein paar der schönsten Stellen gezeigt. Wir sind auf den Ätna gewandert und sind von der Yacht ins warme und klare Mittelmeerwasser gesprungen. Seinen Geburtstag haben wir in Corleone bei seinen Verwandten verbracht und die haben mich herzlich aufgenommen, obwohl sie wenig englisch sprechen. In Corleone gibt es eine große Villa mit Hof und riesigem Garten, mehreren hundert Quadratmetern Obstplantagen und einen gewaltigen Gemüsegarten. Die ländliche Gegend ist bezaubernd. Seine Tante wollte mir in den Stallungen sogar zeigen, wie man reitet. Santinos Verwandtschaft besitzt zig Pferde, einige reiten sogar Turnier. Die Stallungen liegen ein paar Dutzend Meter von der Villa in Corleone entfernt und wurden kürzlich neu gemacht. Zum krönenden Abschluss gab es ein Festessen unterm Sternenhimmel, und hausgemachten Wein am Lagerfeuer. Es waren ein paar der schönsten Tage meines Lebens, dort in Corleone. Bei dem Italiener und seiner Familie fühle ich mich so wohl wie bei Fergus in Schottland, was schon was heißen muss. Nun sind wir bereits einige Wochen wieder zurück und die Temperaturen nehmen immer weiter zu.

Ich stehe vor dem Spiegel im großen Gästezimmer der Villa, ein warmer Morgenwind weht durch die offenen bodentiefen Fenster und wirbelt die schweren Vorhänge auf. Durch die geöffneten Flügel schaue ich hinaus auf Palermo und betrachte das in der aufgehenden Sonne glitzernde Wasser. Im Zimmer duftet es nach Kaffee, Tee und frischen Früchten, die in einer Schale drapiert auf dem kleinen Servierwagen steht, der zuvor hineingerollt wurde. Ich lasse meine Hände an meinen Seiten hinabgleiten und spüre den zarten weißen Stoff und die darauf genähten Applikationen deutlich auf meiner Haut. Ein kleines Fünkchen ist trotz all dem unsicher. Ich betrachte mich im Spiegel und beobachte, wie die lockige Italienerin schräg hinter mir den Rock zurecht zupft. Das exquisite Brautkleid mit der langen Schleppe, dem großen und dennoch locker ausschauendem Rock und dem schönen Ausschnitt sitzt wie angegossen an meinem Körper. Dünner Chiffon besetzt mit Spitze läuft wie dünne Ärmelchen meinen Körper entlang und zieht sich über das gesamte Kleid. Es ist so wunderschön...
Wieso zweifle ich dann also? In meinem Bauch dreht sich alles und ich habe das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Krampfhaft versuche ich auf einer Stelle still zu stehen, um die Schneiderin ihre letzten Arbeiten verrichten zu lassen. Sie korrigiert eine Kleinigkeit von Hand und kniet hinter mir. »Sie werden die schönste Braut sein, die die Gäste je gesehen haben«, prophezeit sie mit stark italienischem Akzent in der Stimme. Ich bin überrascht, dass Santino überhaupt jemanden auf der Insel gefunden hat, der als Brautausstatter fliesend meine Sprache spricht. Die meisten sind ja doch einheimische, die hier heiraten. Touristen bringen bereits Kleider, und heiraten sicher nicht mitten auf dem Land, sondern am Meer.

Als Santino mir damals den Antrag machte, war ich hin und hergerissen und habe nach kurzem Zögern ja gesagt. Es ist nicht so, dass ich nicht wollte, mich hat die Situation nur überfordert. Ich bin keine Italienerin und sein Vater hat immer klargemacht, wie es läuft. Er ist mit Santinos Entscheidung nicht einverstanden und sieht mich als das Problem an. Ich beschmutze seine Blutlinie, und doch kommt er zur Hochzeit und wird es sich nicht entgehen lassen. Einen Benelli zu heiraten hat meiner Sicht nach mehr Nach- als Vorteile. Sie werden hier geschätzt, fast schon verehrt, obwohl sie schreckliche Dinge tun. Sie investieren viel Geld in die Region und helfen den Bauern. Aber in den Staaten werden sie mich für den Ring an meinem Finger jagen. Ihnen ist egal, wer ich vorher war. Auch das NYPD wird nicht davor zurückschrecken, ganz zu schweigen von ihren Feinden, und denen, die intern gegen diese Hochzeit sind. Santino würde nie zulassen, dass mir etwas geschieht, aber allein die Tatsache, dass es geschehen könnte, jagt mir eine Heidenangst an.

Ein Klopfen reißt mich aus meinen Gedanken. »Ja?«, fragend neige ich meinen Kopf rechts über die Schulter und sehe, wie die Tür sich öffnet. »Schätzchen?« Meine Mom tritt ein und sucht den Raum nach mir ab. Als sie mich erblickt werden ihre Augen riesig und sie schlägt sich eine Hand vor den Mund. »Schätzchen...«, wiederholt sie sich mit dünner kratziger Stimme und schluckt heftig. Sie macht einige Schritte auf mich zu, die Tür fällt ganz von allein hinter ihr ins Schloss. Mit wässrigen Augen schiebt sie sich zwischen mich und den Spiegel und ergreift meine Hand. »Oh du siehst so wunderschön aus, Lillian«, wispert sie und betrachtet mich fasziniert. Die Liebe, die sie sie dabei versprüht lullt mich ein wie eine Raupe in einem Kokon. Ich quetschte ihre Hand fest und lächle ihr zu, unfähig etwas zu sagen. Ich bin restlos überfordert mit der Situation. Mein Herz pocht so schnell, dass ich glaube, gleich einen Infarkt zu erleiden.
»Danke Mom, aber bring mich nicht zum Weinen«, warne ich sie und entlocke ihr ein herzliches Lachen. Die Schneiderin reicht ihr ein Taschentuch, dass sie dankend annimmt und sich unter den Augen entlang wischt. »Oh Gott, tut mir leid, du siehst nur so bezaubernd aus. Meine Tochter heiratet und ich... für mich ist das alles so emotional«, schnieft sie und ich tätschle ihren Arm. »Schon okay Mom, schon okay. Danke dass ihr da seid, du und Dad«, bedanke ich mich. Die Blondine nickt und versenkt das weiße Taschentuch im Mülleimer. »Natürlich, das würden wir uns nie entgehen lassen. Weißt du-«, sie greift erneut nach meinen Händen und reibt ihre Daumen über meinen Handrücken, »auch wenn wir nicht das gleiche Blut teilen... Ich weiß, dass deine biologische Mutter sehr stolz auf dich wäre. Sie würde hier stehen und dich mit der gleichen Liebe anschauen, wie ich es tue.«
Ihre Worte bringen mich fast zum Weinen. Sie ist so selbstlos, eines der Dinge, die ich an ihr so bewundere. »Du bist meine Mom«, lächle ich und sie schnieft erneut. Blinzelnd zieht sie mich in ihre Arme und drückt mich so fest wie schon lang nicht mehr an sich. Ich genieße jede Sekunde davon, bis sie sich irgendwann löst. Breit lächelnd steht sie vor mir und hält meine Hände, während die Schneiderin mir die Schleppe übers Gesicht legt. Vorn reicht sie mir bis zu den Ellenbogen, nach hinten ist sie gute drei Meter feinster Chiffon mit bestickten Rändern. Sobald die Sonne den Stoff trifft, werden die Partikel zu glitzern beginnen. Sprachlos schüttelt Mom ihren Kopf und stößt einen Seufzer aus. »Drin Vater wird so stolz sein, dich zum Altar zu führen«, träumt sie und lässt mich tief durchatmen. Ich bin so schrecklich nervös. Mein Herz poltert in meiner Stirn und ich hoffe inständig, dass die Fahrt in dem schwarzen Oldtimer bis nach Corleone nicht lang dauern wird. Santino muss bereits in der Kirche auf mich warten. Mein zukünftiger Ehemann.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now