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SANTINO

In der Ferne hallen Schüsse durch die Nacht. Sie kommen irgendwo aus Manhattan. Meine Augen fallen auf die Männer, einige größer, einige kleiner. Breitbeinig steht der in der Mitte da, mustert mich als hätte er den größten Schwanz auf Erden. Ich bin sicher, er hat ein Mini-kleines Würstchen.
»Chi sei? La puttanella di Julian?«, frage ich mit gehobenen Augenbrauen. Ein lachendes Raunen geht durch die Reihe hinter mir und ein einziger Blick meinerseits genügt, um die Männer zum schweigen zu bringen. »Und du?«, spuckt der Vallian, dessen Namen ich nicht kenne, mir ekelerregend entgegen. Selbstbewusst straffe ich die Schultern und mustere ihm im schummrigen Mondlicht. »Was wollt ihr?«, umgehe ich seine Frage unbeeindruckt und betrachte meine Nägel symbolisch. Es soll ihnen zeigen, das ich mich langweile. Fuck, ich schlafe gleich ein.
»Wir haben ein Geschenk«, eröffnet der Italiener mir. Er hat einen fetteren Akzent als der Koch in der Pizzeria. Mit dem Finger schnipsend nimmt er nicht einmal seine Augen von mir. Zwischen uns baut sich solch ein intensiver Kontakt auf, das Ich spüren kann, wie sehr er mich hasst. Er weiß genau wer ich bin, auch ohne es auszusprechen. Die Männer zerren einen zehnten Mann hinter den Vallians hervor. Seine Füße schleifen über die feuchte Wiese, über dessen Gräser sanfter Nebel kriecht. Der dunkelhaarige hängt schlaff in den Armen der Männer, doch ich sehe, wie er kläglich versucht, die Beine durchzudrücken. Er ist zu schwach. In der Dunkelheit kann ich nicht erkennen, wer es ist. Der Anführer der Gruppe befehligt den beiden, ihn auf die Knie zu zwingen und ihn festzuhaken, anschließend tritt er hinter ihn und gräbt seine Finger in den dunklen Haarschopf. Er zieht sein Gesicht nach oben und mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken, als ich in die leeren Augen des blutüberströmten Mannes blicke. Es ist Marco, eine treue, ergebene Seele.
»Fuck«, raunt Kyle neben mir fluchend und spannt sich an. Ich bringe ihn mit meinen Augen zum schweigen. Marco ist schon lange Teil der Familie. So wie Kyle, ist er einer der wenigen Außenstehenden, die je aufgenommen wurden. Mein Vater erzählte mir, das er vor zwei Tagen verschwand. Ich kann mir nur schwach vorstellen, was sie mit ihm gemacht haben. Als der Mond hinter einer Wolke hervorkommt und durch das karger werdende Blätterdach fällt, glitzert das Blut das über sein Gesicht rinnt im Schein der Nacht. Die Wut in mir steigt ins Unermessliche.

»Wir haben uns euren Freund vorgeknöpft, er hat meinen Bruder umgebracht«, spricht der hinter ihm mit lauter Stimme. In seinen Augen spiegelt sich der Durst nach Blut und der Hunger nach Rache. Sie führen uns vor, versuchen uns klein zu kriegen. Jeder von uns weis, was sie gleich tun werden. Sie wollen Marco vor uns hinrichten.
»Was macht dich da so sicher?«, rufe ich ihm über die zehn Meter Entfernung zu, die uns trennen. »Ich war dabei als es passierte.«
»Ach ja? Hat einer von euch anderen das auch gesehen? Oder glaubt ihr es nur, weil er es euch erzählt hat? Ich dachte ihr seid Julian unterstellt und nicht diesem Schlappschwanz«, wende ich mich unbekümmert an seine Leute. Kyle neben mir wird immer unruhiger. Ich deute ihm mit der Hand diskret still zu halten. Alles läuft nach Plan.
»Wir haben es gesehen«, ruft einer der Männer in unsere Richtung. Ich schnalze missbilligend mit der Zunge und rümpfe die Nase. »Sicher«, murmle ich ungläubig. Dieses Treffen ist eine Farce. Wer ist der Kerl überhaupt? Er will Marco töten, doch sollte nicht vergessen was passiert, wenn er es tut. Ich glaube nicht, das er sich dem bewusst ist. Wenn er ihn tötet, wird er ebenfalls sterben.
»Wollt ihr, dass ich ihn umbringe?«, will er warnend wissen und zückt ein Klappmesser, das seine besten Tage schon hinter sich hat. Er hält es Marco an die Kehle, der panisch den Kopf in den Nacken reist und versucht seinem Schicksal zu entkommen. Ich kann nichts gegen das aufkommende Lachen tun, das mich in der Kehle kitzelt. Es schallt durch die ruhige Nacht und ich blicke kopfschüttelnd in den bewölkten Himmel. »Ach Jungs...«, seufze ich belustigt und lasse meine Augen zurück zum Geschehen gleiten. Ich trete einen Schritt über die Wiese auf ihn zu und lege den Kopf schief. Sichtlich irritiert von meiner Aktion packt der Fremde Marco fester und drückt ihm die Klinge gegen die Haut. Sein schneller Atem und die weit aufgerissenen Augen könnten ihn sein Leben kosten. Wenn er sich nur einen Millimeter bewegt, trifft die Schneide auf seine Halsschlagader. Er weiß, das er sich nun nicht mehr wehren kann.
»Ist mir eigentlich egal, wenn ihr ihn umbringen wollt«, verkünde ich und zucke mit den Schultern. Verwunderung spiegelt sich in den Augen des Vallians, doch er schweigt. »Tue es wenn du es nicht lassen kannst, aber verrate mir eines...«, bitte ich und neige mich mit dem Oberkörper ein Stück nach vorn, »bist du Julians kleine Hure?«

Das Blut des Jünglings kocht, während über mein Gesicht ein breites Grinsen huscht. Er stößt einen Schrei aus und schubst Marco zu Boden, bevor er auf mich losstürzt mit dem Messer in der Hand. Der Abend nimmt eine erfreuliche Wendung. Auch ich laufe los, ziehe das schmale Messer aus meiner Hosentasche und lasse es aufschnippen. Die Wiese wird zu einem Schlachtfeld. Mann gegen Mann, Leben um Leben. Ich weiche seinen Stichen gekonnt aus und schlitze ihm mit dem Messer über die Seite, sein Shirt in zwei geteilt. Er stößt einen Schrei aus und versucht mir die Klinge in die Schulter zu rammen. Wieder weiche ich aus, was mit meiner Verletzung nicht so leicht ist, wie es aussieht. Neben mir ringt einer meiner Männer einen anderen zu Boden. Kyle schwingt sein Messer präzise durch die Luft und auch die anderen, verzichten auf ihre Pistolen. Durch ein Messer zu sterben, ist persönlicher. Es zeigt, wie sehr du die Person gegenüber hasst, um ihr so nah zu kommen und auf sie einzustechen. Pistolen sind kurz und anonym. Messer hingegen...

Keuchend ducke ich mich ab und ramme dem dunkelhaarigen meine Faust in den Magen. Stöhnend erwischt sein Messer mich am Bizeps und streift meine Haut. Der Schnitt brennt, doch ist auszuhalten. »Bist du seine Hure? Ich habe gehört, das Julian auf kleine Jungs steht«, provoziere ich ihn weiter und kicke ihm die Beine weg. Er ringt sich schnell wieder auf beide Beine und attackiert erneut. »Woher du das wohl weist?«, schnauzt der Vallian und verpasst mir eine mit der Faust. Die Augen zusammenkneifend tanzen einige Sekunden Sterne vor meinen Augen. Eins muss man den kleinen lassen, er hat wahrlich einen festen Schlag.
»Mein Onkel hat seine Frau gefickt, schon vergessen? Beschaff ihr einen Orgasmus und sie singt wie ein Vögelchen«, keuche ich und bekomme ihn an der Schulter zu packen. Wir wirbeln herum und ich zwinge ihn auf die Knie. Mit einem Fuß trete ich ihm das Messer aus der Hand und ringe ihn endgültig zu Boden. Auf dem feuchten Gras, hustet er Blut. Sein Gesicht zerbeult, der Schnitt in seiner Seite tief. »Letzte Worte?«, frage ich ihn über ihm beugend. Der kleine Penner lacht Blut spuckend. »Morirete, figlio de puttana«, rotzt er und ich presse meine Lippen fest aufeinander. Ich schließe meine Finger fester um den Griff des Messers und schlitze ihm die Kehle auf. Röchelnd würgt er Blut, es spritzt über all hin, auf meine Kleidung und die Hände. Die Augen starr und weit aufgerissen. Selbst jetzt verschwindet die Kälte nicht aus ihnen. Ich zerre ihm die Maske vom Kopf und schmeiße sie achtlos neben ihn, während er stirbt.
Sein Körper zuckt wie ein Fisch, als ich mich erhebe ist er bereits Tod. Eine große dunkle Lage Blut hat sich unter ihm gebildet und sickert langsam in die Erde. Verachtend blicke ich auf ihn hinab, schmiere mir die blutigen Hände an seiner Kleidung ab und kehre ihm den Rücken. Zwei weitere sind gefallen, der Rest hat sich verpisst. Es sieht aus wie ein Schlachtfeld. Meine Augen halten nach Kyle Ausschau, ich entdecke ihn neben Marco knien. Mit klopfendem Herzen ziehe ich mir die Sturmhaube vom Gesicht und steige über die Leiche des Vallians hinweg auf sie zu. »Marco«, sage ich erleichtert und strecke ihm meine Hand entgegen. Er nimmt sie an und schaut dankbar auf. »Schaffen wir ihn nachhause«, beschließe ich und helfe ihm zusammen mit den anderen auf. Er lebt, das ist alles was zählt. Wir lassen die Toten zurück, weil wir Monster sind, so wie sie es wahren. Ihr Blut klebt in meinem Gesicht und ich empfinde Befriedigung, als ich in den schwarzen SUV steige. Wir konnten einen von uns retten, im Grunde sind sie selbst schuld. Ich lehne mich im Sitz zurück, stoße einen tiefen Atemzug aus und massiere mir die Schläfen. Je mehr das Adrenalin in meinen Adern abklingt, desto schlimmer werden die zurückkehrenden Schmerzen. Meine Augen fallen auf Marco und Kyle auf dem Rücksitz. Ich sehe sie durch den Spiegel und beobachte sie heimlich während der Fahrt. Ich bin nur froh, das er nicht tot ist.

Mafia King | 18+Where stories live. Discover now