7. Temperament

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In der Arena herrschte reger Betrieb, als wir wieder zurückkamen. Viele waren fast gleichzeitig mit uns aus der Mittagspause zurückgekommen. Die Meisten richteten sich für die nächste Runde, doch ich gab auf. Meine Zeit verbrachte ich mit Vito, ich wollte noch einmal reiten. Innerlich stöhnte ich auf, als ich daran dachte, den Hengst zu richten. Im selben Moment erschrak ich vor mir selber. Seit wann quälte mich der Gedanke, Zeit mit meinem Pferd zu verbringen?

Als ich vor der Box stand, wurde mir wieder klar warum. Er ignorierte mich weiterhin, behandelte mich wie eine normale Person, während ich probierte, weiter auf ihn einzureden. Mit schnellen, kräftigen Bürstenstrichen entstaubte ich sein goldenes Fell. „Hallo.", begann ich zu erzählen. Wie immer zuckte sein Ohr kurz zu mir, aber er ging nicht darauf ein. Wie immer... Seit wann betrachtete ich das als Normalzustand? Meine gleichmäßige Bewegung auf seinem Haar stockte kurz. Er schlug daraufhin unwillig mit dem Schweif. Es fühlte sich nicht angenehm für ihn an, wenn ich aus meinem Rhythmus kam. „Kannst du mich hören?", fuhr ich fort. Keine Reaktion.

„Hallo? Erde an Vito? Ich versuche dich schon zum gefühltesten tausendmal zu erreichen, kannst du wenigstens mal irgendwie zeigen, dass du mich erkennst?" Gleichgültigkeit. Idiot.

„Weißt du nicht mehr, wer wir waren, als wir jünger und freier waren? Ich habe vergessen, wie es sich anfühlte, bevor die Welt vor unsere Füße fiel!", versuchte ich diesmal die andere Schiene. Als er weiter nicht reagierte, gab ich auf und sattelte ihn. Er ließ sich alles gefallen. Nichts als Resignation.

Einige Minuten später stand ritt ich ihn schließlich auf dem Hof warm. Zog brav meine Kreise, als wäre es das Normalste der Welt.

Gerade wollte ich mit meinem Training anfangen, da hörte ich, wie jemand wild über den Hof galoppierte. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung der Geräuschquelle, sah einen dunklen Apfelschimmel über den Hof galoppieren. Auf ihm eine blonde Reiterin, deren Gesicht wutverzerrt war. „Ich muss hier raus!", hörte ich sie schon von weitem rufen, nein, sie knurrte regelrecht. Ohne Nachzudenken lenkte ich Vito hinter Encarado her, der Wallach, der jetzt von Marion geritten wurde. Er war eher ein empfindsames Pferd, ihm passte das feurige Temperament seiner Reiterin gerade gar nicht, also tat er das, was er am besten konnte. Blind nach vorne weg. Er kam frisch aus Spanien, er kannte die Umgebung noch nicht einmal. Die Aktion meiner Freundin war mehr als leichtsinnig und gefährlich und deswegen folgte ich ihr.

Sie steuerte direkt auf unsere gewöhnliche Geländestrecke zu, ich gab Vito die Zügel frei und ließ ihn somit uneingeschränkte Bewegungsfreiheit. Der Herdenzwang würde ihn jetzt so oder so zu dem anderen Tier treiben. „Marion, bleib stehen!", schrie ich nach vorne, langsam holte mein Falbe auf. Sie blickte kurz nach hinten, ihre Augen glänzten tränennass, sie zitterte regelrecht. Kaum, dass ich mit Encarado auf Augenhöhe war, beugte ich mich nach vorne, zog ihn am Zügel zu mir, damit er langsamer wurde. „Schhhht.", versuchte ich den aufgeschreckten Vierbeiner zu beruhigen. „Langsam, kleiner Junge. Lass dich nicht von ihr anstecken." Klein war er nicht, aber jung. Ungefähr so alt wie Vito, man sah ihm die Unerfahrenheit regelrecht an. Unsicher zuckte ein Ohr in meine Richtung. Ich wiederholte meine Worte immer und immer wieder, dann schien er irgendwann auf mich zu hören. Gleichzeitig mit Vito wurde er langsamer und fiel schließlich in einen unruhigen Schritt. Er keuchte, seine Flanken bebten vor Anstrengung.

Marion war unterdessen im Sattel zusammengesunken, hatte die Zügel losgelassen und stattdessen ihr Gesicht in ihren Händen vergraben. „Ich hasse ihn. Ich hasse ihn so sehr!", knurrte sie zwischen ihren Fingern hindurch. „Steig ab, Marion. Wut ist eine Empfindung, auf die Pferde sehr sensibel reagieren.", riet ich ihr und stieg ebenfalls ab. Ich nahm beide Tiere in meine Hand, schob sie etwas von mir, damit sich ihre ungebändigte Wut nicht auch noch auf mich übertrug. Das konnte ich genauso wenig gebrauchen. Leider war ich mit dem pferdigen Teil in mir anfälliger dafür als normale Menschen. „Und jetzt gehst du da ins Feld hinein und schreist deine Wut hinaus. Wenn du fertig bist, kommst du wieder zu mir und wir reden in aller Ruhe darüber. Ok?" Es war kein Angebot, es war eine Anweisung meinerseits. Mit energischem Gesichtsausdruck schob ich sie weiter in die Richtung des besagten Feldes, ehe sie sich von mir losriss und meinen Ratschlag befolgte. Sie schrie, schlug um sich, weinte, stand wieder auf, rannte kurz im Kreis, schrie... es wiederholte sich. Für eine ganze Weile, bis sie schließlich zitternd auf dem dreckigen Boden zusammenbrach und hemmungslos weinte. Ich sah ihr eine Weile zu, bis ich sicher war, dass sie sich beruhigt hatte. Dann kam ich auf sie zu.

„Also, was ist passiert?", fragte ich gelassen und sah zu ihr hinunter. „Chris ist passiert. Und Mario. Und Ludo... einfach alles ist passiert.", heulte sie und rammte ihre Faust wieder in den Erdboden. Ich schwieg fragend. „Chris wird demnächst in die Arena geschickt und nach Kaltenberg vermutlich auch! Ich meinte dann, dass das nicht geht. Entweder er oder ich. Ich kann und will ihn einfach nicht mehr sehen!", schniefte sie und blickte traurig nach vorne. „Und Ludo will das nicht einsehen, habe ich Recht?", reimte ich mir den Rest der Geschichte zusammen. „Ja. Er hat gemeint, ich soll mich gefälligst wie eine erwachsene Frau benehmen und darüber hinwegsehen..." Erneut begann sie vor Wut zu zittern. „Er hat doch sowas von keine Ahnung!", sie fauchte regelrecht. „Hmm... das ist wahr. Dabei ist eigentlich Chris der, der dich schamlos ausgenutzt hat. Er sollte der Arena fernbleiben.", meinte ich mehr zu mir selber als zu ihr, doch sie nickte. „Er ist ein dämlicher Idiot...", sie seufzte resigniert. „Und er hat dich nicht verdient. Also steh auf, klopf dir den Dreck ab und komm wieder mit zur Arena. Kämpfe mit erhobenen Haupt und stolziere an ihm vorbei, als seist du etwas Besseres – was du ja auch bist – und zeig es ihm.", motivierte ich und reichte ihr die Zügel von Encarado. Mühevoll stand sie auf, lächelte mich dankbar an und tat wie geheißen.

Marions Temperament... Einzigartig teuflisch, wie gewohnt.


Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now