46. Blackout

655 60 11
                                    


Wir gaben wohl eine komische Gruppe ab. Ein in sich gekehrter Mensch, der schwieg und durch den Wald bei Nacht lief, als hätte er nie etwas Anderes getan, ein weißes Pferd, das etwas unbeholfen durch das Unterholz stolperte und deshalb regelmäßig für Lärm sorgte und ein kräftiger Hirsch, der trotz seiner Größe so leicht durch die Natur stolzierte, als würde er wie eine Ballerina dahinschweben.

Am Hof angekommen verabschiedete sich Fred mit dem Grund, dass er müde war. Ich blieb mit Cernunnos zurück. Dieser war ebenfalls etwas ratlos, dann schien ihm ein Einfall gekommen zu sein. Er bedeutete mir mitzukommen und lief zum Stallgebäude. Dort verwandelte er sich zurück in seine Menschengestalt. Für einen Moment hatte ich erwartet, ihn nackt vorzufinden, doch dem war nicht so. Aber er veränderte auch nur sein Aussehen, nicht seinen Körper. Ob sein menschliches Aussehen auch nur eine Illusion war? Hatte er überhaupt eine Gestalt? Er öffnete die Tür von Hand und bedeutete mir zu folgen.

Sobald ich den Stall betrat, spürte ich wieder die Wellen an Respekt und Ehrfurcht zu mir wehen. Die Tiere, die noch wach waren, neigten kurz respektvoll den Kopf, wenn ich an ihnen vorbei lief. So wie früher... „Komm", bat Cernunnos, der jetzt wieder Sam war und lief zielstrebig in den Teil mit den Jungpferden. Die Pferde, die oft gebraucht wurden, die voller Energie waren. Nur einer war beides nicht. Und vor dieser Box hielt Sam nun an. Vito drehte den Kopf, als er mich bemerkte. „Wie geht es dir?", wollte ich wissen und trat zu ihm. Sein Körper folgte nun seinem Kopf und er wandte sich mir zu. Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte, doch tief im Herzen wappnete ich mich gegen Enttäuschungen und bereitete mich darauf vor, ihn nicht zu hören. Ob er nichts sagte, oder ob ich ihn tatsächlich nicht hören konnte, ich wusste es nicht.

Doch eigentlich waren keine Worte nötig. Sam öffnete die Box für mich und ich trat zu meinem Pferd. Mein geliebter Vito... In meiner Pferdegestalt hatte ich nichts zu befürchten. Denn hier brauchten wir keine Worte, um uns zu verstehen. Das einfache Minenspiel reichte aus. Das kannte Vito von Geburt an und ich ließ meinen Körper einfach machen. Und er machte nicht den Eindruck, als ob ich ihn stören würde. Ich legte meinen Kopf auf seinen Widerrist. Er ließ es zu und erwiderte die Geste der Freundschaft sogar. Ob ich ihn endgültig verloren hatte? Ich wusste es nicht. Das er mir hier so vertraute zeugte vom Gegenteil und doch war er mir so fern wie noch nie. Nicht einmal, als ich ihn damals laufen lassen hatte, war er das. Selbst da wusste ich, dass es ihm gut ging, da wo er jetzt war. Doch im Moment wusste ich gar nichts über ihn. Ich kannte seine Gedanken nicht, seine Gefühle, gar nichts. Es war ein Wunder, dass er mich überhaupt noch an sich ließ. Denn ich hatte aufgehört zu fragen. So wie er aufgehört hatte mir zu erzählen.

„Verstehst du ihn?", fragte der Naturgeist, der hinter mir stand. Ich löste mich von meinem Falben und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht einmal, ob ich ihn nicht verstehe oder ob er nicht mit mir redet..." Sam schob sich an mir vorbei und ging zu dem Hengst. Das Tier beugte den Kopf und stellte die Ohren in die Richtung des menschlichen Wesens. Ganz leise drangen Worte an mein Ohr, die wohl von dem jungen Mann stammten, doch ich verstand sie nicht. Ich entfernte mich ein wenig, denn offenbar durfte ich kein Teil dieses Gespräches sein. Wenn denn eins stattfand.

„Redet er mit dir?", fragte ich, als sie fertig waren. Sam kraulte Vitos Wangen und schien so das Pferd zu entspannen. Der Angesprochene wandte sich mir zu. Dann schien er kurz mit sich zu hadern, doch schüttelte schließlich den Kopf. „Komm, wir gehen besser", murmelte er und schob mich aus der Box. „Was ist denn bloß los? Du weißt es doch, oder?" Dass ich keine Antwort bekam und er nur zerknirscht den Kopf senkte und voraus lief, war eigentlich Antwort genug. „Warum sagst du es mir nicht? Warum darf ich es nicht wissen? Ihr wusstet es doch von Anfang an! Arbeitet ihr alle gegen mich?!", wurde ich nun lauter und vergaß sämtlichen Respekt gegenüber des Gottes. „Hanna. Finde dich damit ab! Die Geschichte wiederholt sich sonst! Wir wissen was wir tun. Und wir wissen auch wie es weitergehen muss. Entweder du fügst dich unserem Plan oder du bekommst ihn nie wieder zurück! Wir müssen warten. Habe einmal Geduld!" Sam klang nicht mehr nach dem ruhigen Sam sondern plötzlich nach dem, was er eigentlich war. Eine Machtperson. Der Doppelklang war wieder in seine Stimme getreten, nur war er nicht doppelt, sondern bestimmt vier- oder sogar fünffach. Er hatte sich vor mir aufgebaut und wirkte auf einmal viel größer. Eingeschüchtert wich ich zurück.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now