10. Lena

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Marion empfing mich am Tor zur Arena, Nevado seufzte erleichtert, als das Gewicht von seinem Rücken verschwand und ich zu ihr ging. Sie hielt eine Tasse Kaffee in der Hand, tiefe Schatten zeichneten sich unter ihren Augen ab. „Danke", meinte sie und hob die Tasse etwas. Ich lächelte. „Kein Problem. Weißt du, wer heute die Shows macht?" Sie zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich bin ich Isadora. Kann gut sein, dass du Backstage dabei bist oder einen Ritter machst", erklärte sie sachlich. Ich nahm Nevado mit in seine Box und machte mich dann auf die Suche nach Ludo, der vermutlich schon da war. Er saß in der Sattelkammer und nähte irgendetwas an sein Kostüm. Er blickte kurz von seiner hoch, als ich eintrat. „Guten Morgen, Hanna", grüßte er. „Hallo", erwiderte ich und hob eine herunter gefallene Trense auf. Sie sah aus wie die von Sentido, also hing ich sie an ihren zugehörigen Haken. „Habe ich heute eine bestimmte Aufgabe?" Ludo schüttelte den Kopf. „Nein. Such dir Arbeit, es gibt immer etwas zu tun... Du kannst dich um Lena kümmern" „Lena?", bohrte ich nach. „Die Neue, die kommt heute Mittag zum ersten Mal. Sie ist Deutsche, sie soll euren Part übernehmen, wenn ihr weg seid. Vergiss nicht, in einem Monat beginnen die Proben in Kaltenberg", meinte er und erstaunt hielt ich inne. „Kaltenberg? Ich soll nach Kaltenberg?!", wiederholte ich fassungslos. „Ja, das war doch vorgesehen von Anfang an. Mario hat dich fest eingeplant mit einer Freiheitsdressur. Das Skript ist ja längst fertig, da warst du doch bei ihm...", half mein Chef mir auf die Sprünge. „Schon, ich hatte das nicht mehr auf dem Schirm. Sorry.", entschuldigte ich mich leise. Kaltenberg. Erst jetzt, als wir darüber redeten, dass bald die Proben dafür anfingen, realisierte ich, dass ich wirklich dabei sein sollte. Mein Meister hatte mir das Skript wirklich geschickt, doch im Prüfungsstress hatte ich alles komplett vergessen.

„Jedenfalls wirst du der Ansprechpartner für Lena sein, sie spricht zwar gut Englisch, aber dafür kein Wort unserer Sprache. Deswegen. Du kannst gut Deutsch", drückte mir Ludo auf. „Erzählst du mir wenigstens etwas über sie?", fragte ich weiter. „Nein, ich bin jetzt damit beschäftigt. Sie ist in Ordnung, sonst hätte ich sie nicht eingestellt" Er deutete auf sein Kostüm und scheuchte mich dann mit einem Kopfnicken aus dem Raum. Unzufrieden mit der Antwort machte ich mich davon und sah zu, dass ich noch etwas Arbeit fand. Ich endete bei Vito, der jetzt in der vordersten Box stand und neugierig die ersten Menschen beobachtete, die den Park betraten. Ich beschäftigte mich damit, ihm den Rücken zu massieren. Die Massage hatte ich extra für meinen anderen Vierbeiner erlernt, doch ich wusste, dass alle Pferde es liebten.

Die erste Show verlief in einer einzigen Katastrophe. Ich ritt zwar Aguilito, auf den kompletten Verlass war, doch die Pferde waren extrem nervös und die Reiter ebenfalls, was die Situation nicht vereinfachte. Kaum einer der Stunts klappte ordentlich und die Choreographien wurden mal eben einfach so vergessen. Ich hatte alle Hände voll damit zu tun, die Pferde unter Kontrolle zu halten. Um Marion hatte ich wirklich Angst, die mit ihrem neuen Pferd, Encarado, sichtlich Probleme hatte. Er stieg mehrmals beinahe senkrecht und buckelte Marion beim Trickreiten beinahe hinunter. Ich stand Backstage und nahm die Reiter in Empfang. Durchgängig redete ich beruhigend auf die Tiere ein, doch es half nicht viel.

Am Ende hatten wir keinen Verletzten, doch blanke Nerven bei allen Beteiligten. Ich verbrachte die nächste halbe Stunde damit, den Tieren zu erklären, was eigentlich vor sich ging.

Gerade diskutierte ich mit Sentido, ob es nicht vielleicht sinnvoll wäre, auf seinen Reiter zu hören. Dem frechen Wallach war es ziemlich gleichgültig, er war noch nicht so gut mit Charles vertraut. Jedoch passten die zwei ziemlich gut zusammen, ich vermutete, dass Beide sich spätestens in zwei Wochen gegenseitig liebten. „Bist du Hanna?", wurde ich plötzlich angesprochen. Ich fuhr herum und sah in zwei sanfte, braune Augen. Das blonde, wellige Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebändigt und sie trug ein lockeres Outfit. Sie war nicht so jung, wie ich erwartet hatte. Naiv war ich davon ausgegangen, als Mentor würde ich älter sein als mein Schüler, doch dem war nicht so. „Du bist Lena, nicht wahr?", fragte ich zurück und überlegte, wie alt sie wohl sein könnte. Vielleicht 10, 15 Jahre älter oder so. Auf jeden Fall viel älter als der normale Durchschnittsreiter hier. „Ja, das ist richtig" Freundlich lächelte sie. „Schön, dich kennenzulernen" Ich reichte ihr die Hand, die sie ergriff. „Also, ich denke, ich zeige dir zuerst alles und währenddessen erzählst du mir über dich", schlug ich vor und sie nickte. „Klar, gerne!", freute sie sich und folgte mir, als ich von Sentido abließ und mich mit ihr auf den Weg machte. Während ich einmal über den kompletten Hof lief, berichtete sie mir ausschweifend aus ihrem Leben. Sie war wirklich eine offene und nette Person, die viel reden konnte. Sie meinte, sie hätte schon eine Stuntausbildung gemacht, kam aber aus Freiburg und wollte einen festen, nahen Arbeitsplatz. Sie hatte bereits für den Tatort geschauspielert und war jahrelang bei einer Stuntshow in irgendeinem anderen Freizeitpark tätig. Sie freute sich, jetzt hier anfangen zu dürfen, das merkte man ihr deutlich an.

„Aber jetzt mal eine dumme Frage...", begann ich irgendwann, während ich stolz auf die Boxen von Nevado und Vito zulief. „Bist du nicht zu alt, um das hier durchzuziehen?", wollte ich wissen. Sie blieb stehen und verschränkte empört die Arme vor der Brust. „Hallo?!" Ich lachte bei ihrem Ausdruck. „Ludo ist älter als ich!", meinte sie entrüstet. „Der macht auch keine Stunts mehr", erklärte ich amüsiert und blieb vor Vito stehen. „Das ist Meiner", präsentierte ich stolz. Neugierig kam der Hengst näher, ließ mich aber links liegen und begrüßte Lena. „Wow, der ist unglaublich hübsch! Und du hast zwei Pferde oder wie soll ich das verstehen?" Ich schüttelte den Kopf. „Eigentlich gehört mir keiner so richtig. Vito, also er, gehört Mario nur auf dem Papier. Ich habe ihn selbst eingeritten und ausgebildet. Er wird wahrscheinlich nur unter mir gehen, je nachdem. Er lässt sich nicht so gerne von anderen Personen reiten, er ist sehr auf mich spezialisiert. Aber daran üben wir gerade. Und Nevado, den Schimmel, den ich dir vorhin schon gezeigt habe, gehört Mario und wird auch von allen geritten werden können. Er ist frisch von ihm eingeritten und ich soll ihn für Kaltenberg in der Freiheitsdressur fit machen. Leider hat der Gute aber einige Probleme mit dem Rücken, wahrscheinlich wird man ihn also eher selten reiten...", fasste ich zusammen. Lena legte den Kopf schief. „Neben dir fühle ich mich echt alt. Bist du überhaupt schon 20? Was du in deinem Leben schon geschafft hast ist echt bemerkenswert" Ich verneinte. „Das ist auch keine Kunst, wenn man sich wirklich mit Tieren versteht. Ich sitze schon mein ganzes Leben im Sattel. Ich kenne 15-jährige Mädchen, die trainieren ihre Pferde selbst, es ist echt keine Leistung. Seine Ausbildung war mehr schlecht als recht, aber das ist eine lange Geschichte", sagte ich und bezog mich auf einige Reiter, die ich über das Internet verfolgte. Da waren einige junge Mädchen dabei, die wirklich ihre Pferde selbst ausbildeten. Ob das gut werden würde, wagte ich zu bezweifeln, aber sie schafften es.

„Wow... Aber gut, wie auch immer. Wann soll ich eigentlich als anfangen?", wechselte sie das Thema. „Morgens kannst du theoretisch kommen wann du willst, bis zur ersten Show solltest du allerdings fertig sein, je nachdem, wie du eingeteilt wirst. Meistens machen wir das aber erst am Morgen oder spontan aus, wer welche Show macht. Vorerst solltest du aber jeden Morgen um neun da sein, wegen dem Training und der Einarbeitungszeit. Ich bin momentan nur am Wochenende oder nachmittags da, dein Training wird Marion übernehmen, vermute ich. Ludo hat nichts gesagt, aber ich bin nicht sonderlich gut darin", erklärte ich und sie nickte. „Ludo ist ja der oberste Chef, oder?" „Ja, er ist für die Show verantwortlich und wir müssen springen, wie er es will. Er kann manchmal anstrengend sein, aber meistens ist er ganz nett und schwer in Ordnung", brachte ich seine Position auf den Punkt. „Ok, und was macht man, wenn keine Show ist?", bohrte sie neugierig nach. „Dann übernimmt man die Aufgaben eines Stallmädchens, man macht halt, was gerade anfällt. Fegen, Misten, die Pferde putzen, aufräumen, vorbereiten, irgendetwas gibt es immer zu tun. Ich persönlich befinde mich die meiste Zeit auf den Rücken der Pferde, eigentlich habe ich als Trainerin hier angefangen, jedoch hat sich das etwas im Sand verlaufen. Ich bin momentan mehr das Mädchen für Alles, also zuständig für alle Bereiche und komme damit auch gut zurecht", erläuterte ich und strich Vito über die Nase, die er inzwischen zu mir gestreckt hatte und sich wahrscheinlich nur aus Pflichtgefühl kraulen ließ.

„Sag mal, ihr sprecht Deutsch?", wurde ich plötzlich von hinten angesprochen. Ich fuhr zusammen und drehte mich um. Dass Vito jetzt ganz vorne stand und ich somit steten Kontakt zu den Besuchern hatte, hatte ich komplett ausgeblendet.

„Hmm?", machte ich bestätigend und betrachtete eine Gruppe aus drei Mädchen in meinem Alter. „Cool...", meinte eine erstaunt. „Da ist auch nichts Besonderes dabei, wir haben Leute aus vielen Regionen der Welt" Gleichgültig zuckte ich den Schultern. „Jaja, ich weiß...", sagte eine noch, dann wandten sie sich ab und gingen davon, jemanden begrüßen, der weiter hinten stand. „Fans?", fragte Lena und ich machte nur eine ahnungslose Geste. „Denke schon. Ach ja, oberste Parkpriorität: Immer freundlich sein zu den Besuchern, denn er ist der Kunde und somit der König" „Das dachte ich mir!", sie lachte und wir zogen weiter. Bisher war ich Marion entkommen, doch meine Blondierung würde heute noch kommen, das wusste ich. Ich freute mich nicht darauf.



Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now