19. Vorbereitungen

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Ich zog mir die Kapuze enger ins Gesicht, während meine Füße wie von selbst ihren Weg zu meiner Schule fanden. In meiner Tasche hielt ich krampfhaft das Blatt Papier mit den wichtigsten Notizen zu Englisch. Ich schwitzte, obwohl es an diesem Morgen ziemlich kalt war. Nachdem ich die ersten Termine zum Abitur vollständig verpasst hatte, musste ich jetzt endlich zu meinem Todesurteil antanzen. Nachdem ich zu wenig vor den Osterferien gelernt hatte, hatte ich eine so fatale Prüfungsangst gehabt, dass ich wirklich krank wurde und das Abitur nicht schreiben konnte. Jetzt war meine Situation noch schlechter, aber noch einmal konnte ich nicht fehlen. Sonst würde ich durchfallen und ein weiteres Jahr Schule passte mir nicht in meinen Terminplan.

Es war die zweite Woche nach den Osterferien. Morgen Abend war Vollmond und die Nachtarena, die Ludo die letzten Wochen so viel Sorgen gemacht hatte. Unser Boss war stressbedingt die letzte Zeit kaum ansprechbar gewesen. Zu allem Übel hatte Nevado vergangenen Tag noch einen Rückfall erlitten, jedenfalls wurde mir das berichtet. Ich war seit den Ferien kein einziges Mal mehr in Rust. Ludo hatte es mir verboten, nachdem er rausgefunden hatte, dass ich Abitur schrieb und beim ersten Mal schon nicht erschienen war. Meine Anwesenheit war sowieso nicht so wichtig, nachdem Marion endgültig Vito übernommen hatte, eine neue Stuntfrau zu uns gestoßen war und Lena sich um Nevado kümmerte.

Mir war schlecht. Abgesehen davon, dass es mir in den letzten Wochen immer schlechter ergangen war, ich durch die immer wiederkehrenden Albträume kaum Schlaf fand und meine Gedanken sich hauptsächlich um Vito drehten, kam jetzt auch noch dazu, dass ich den Stoff nicht wirklich verstanden hatte. Dabei gab es gerade bei Englisch nicht viel zu verstehen, aber meine glänzende geistige Abwesenheit des letzten Jahres und die kontinuierliche Verweigerung etwas zu lernen, seit ich in der Arena war, forderten jetzt ihren Tribut. Viel für die Schule hatte ich im letzten Jahr nicht gemacht. Von den Vokabeln ganz zu schweigen.

Ich seufzte, als ich vor der Schule stand und blickte auf das unheilvolle Gebäude. Hätte ich bloß zwei Jahre später angefangen mit Arbeiten... Dann atmete ich erneut tief durch und trat ein. Es würde schon vorbei gehen.

Tat es dann auch. Allerdings mit einem miesen Gefühl. Als wäre meine Psyche nicht angeschlagen genug. Ich konnte regelrecht zusehen, wie mein Lebensmut immer weiter vor mir den Berg hinunterrutschte. Ich war froh, endlich mit allen schriftlichen Prüfungen durch zu sein. Jetzt nur noch die mündlichen Prüfungen und dann war alles fertig. Ein gutes Ergebnis erwartete ich nicht. Vor drei Jahren war mein Ziel noch ein 1,0 Abitur gewesen, denn gut genug dafür wäre ich gewesen. Hätte ich mich nur nicht hängen lassen die letzten zwei Jahre.

Am nächsten Tag saß ich in der Arena, denn mir war während der vergangenen, mal wieder zum größten Teil schlaflosen, Nacht, ein genialer Einfall gekommen. Gestern Abend hatte ich einen völlig verzweifelten Anruf von Ludo bekommen, ob ich nicht noch ein paar Pferde auftreiben könne, denn neben Nevado, der nicht einsatzfähig war, war irgendetwas im Futter gewesen, denn gleich vier Pferde waren in der Nacht an Kolik erkrankt. Diese Saison war der Wurm drin. So viele Verletzte wie dieses Jahr hatte es kaum gegeben und auch die Pferde waren nicht in Topform. Wir hatten jede Menge nervöse Tiere dieses Jahr. Eigentlich wäre es meine Aufgabe, sie zu beruhigen, doch ich war die meiste Zeit damit beschäftigt, mich selbst zu beruhigen und nicht durchzudrehen. So sehr beschäftigten mich all die anderen Dinge.

Jedenfalls war mir eingefallen, dass es eventuell mit Pferden und Reitern aufgehen würde, wenn ich als Pferd mitlaufen würde. Das Problem bestand nur darin, dass ich vermutlich irgendwie die Verwandlung früher einsetzen lassen musste und wer mein Reiter sein sollte. Ich hoffte darauf, dass ich Marion kriegen würde, denn sie säße dann schließlich nicht das erste Mal auf meinem Rücken. Und mit ihr verstand ich mich gut, auch wenn das Verhältnis in letzter Zeit etwas gebröckelt war. Keine Ahnung, welche Laus ihr über die Leber gelaufen war, aber sie schien immer zickiger gegenüber Lena und Eva, der neuen Stuntreiterin. Selbst mir gegenüber war sie manchmal ungewohnt bissig und verhielt sich wie die Chefin über uns Frauen. Vielleicht lag es daran, dass Lena und Eva im Prinzip Anfänger waren. Lena war eine ausgebildete und gute Stuntfrau, aber in der Voltige nicht wirklich überzeugend. Bei Eva war es umgekehrt. Jedoch waren beide so herzlich, dass das Publikum sie immer sofort ins Herz schloss. Vielleicht war Marion eifersüchtig, weil sie wusste, dass sie viel besser war als die Anderen und trotzdem beim Publikum nicht besser ankam. Keine Ahnung.

Moondancer - PferdeträumerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt