41. Haus der drei Sonnen

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Im Haus der drei Sonnen, fern von dieser Welt.

Ich saß gerade in einer Ecke von Marios Werkstatt, arbeitete, um mich abzulenken, an einem Stickmuster und unterhielt mich leise mit Lea darüber, ob sie sich nicht lieber einem Rudel anschließen wollte. Es war warm an diesem Spätnachmittag und ich fühlte mich in der vertrauten Umgebung ziemlich behagen. Es war angenehm ruhig. Um mich herum Sättel und Trensen, die für viele Filme extra gemacht wurden. Die Zeit stand in diesem Raum still.

Wo leuchtend die Räder des Schicksals rotieren.

Es klopfte vorsichtig an die Tür. Lea sah auf, sprang von meinem Schoß und machte sich davon. „Ja?", fragte ich. Marco steckte den Kopf zur Tür herein. „Ach, du bist es. Hast du meinen Vater gesehen?", wollte er schüchtern wissen. Er sah so süß aus, wenn er so befangen war. Ich schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Sorry", entschuldigte ich mich. „Schon in Ordnung... Was machst du hier?" Neugierig kam er näher und setzte sich neben mich. „Ich probiere ein Rosenmuster aus, aber es will mir nicht so ganz gelingen", erklärte ich das ungleichmäßige Muster auf dem Stoff. „Ich würde die Stiche an längeren, geraden Abschnitten eher etwas länger machen, dann sieht es gerade und nicht so eckig aus" „Aber dann sind die Stiche so ungleichmäßig", murmelte ich. „Du hast ein ungleichmäßiges Muster gewählt, da passt das schon" Er lehnte sich etwas zurück und streckte die Beine aus.

„Wie geht es dir eigentlich?", fragte er dann. „Im Moment eigentlich ganz gut. Es überrascht mich gerade ein wenig, dass du hier bist und ich nicht das Gefühl habe, dass meine Eingeweide herausgerissen werden", gestand ich. „Nicht?" „Nein", bestätigte ich, „Ob das allerdings ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, weiß ich nicht"

„Im Sinne von, du weißt nicht, ob du endlich deine Gefühle besiegt hast oder ob du es einfach nicht mehr spürst?" Mit einem Mal klang seine Stimme unglaublich bitter und traurig. Ich blieb ihm eine Antwort schuldig. „Ach, Hanna. Ich meine, ich weiß es, aber es zu akzeptieren ist nicht einfach...", fuhr er dann fort. „Darf ich es probieren?", brach es plötzlich aus mir hervor und ich legte Nadel und Faden beiseite. „Was?" Ich richtete mich auf, setzte mich auf seine Oberschenkel und legte ihm die Arme auf die Schultern. „Dich küssen. Das haben wir viel zu lange nicht mehr gemacht!" Ich grinste vermutlich gerade von einem Ohr zu Anderen, weil der Schmerz viel zu tief in mir war, als dass ich ihn ernsthaft spüren würde. Nur ein Windhauch in meinem Körper.

„Woah, langsam! Du überforderst mich gerade", wich er aus und drehte den Kopf. Meine plötzliche Hochstimmung bekam einen Dämpfer. „Ich meine, du hast mich die ganze Zeit ignoriert, weil du angeblich Schmerzen empfindest, wenn du in meiner Nähe bist und jetzt sitzt du hier auf mir und willst mich küssen?" Na gut, ich konnte seine Reaktion nachvollziehen. „Ich bin doch genauso überrascht wie du! Deswegen möchte ich so gerne die Situation ausnutzen!", freute ich mich weiterhin. „Du machst es mir ganz schön schwer, weißt du? Du sagst, ich soll mir ein anderes Mädchen suchen, dich vergessen und dich am besten in Ruhe lassen, weil wir nicht zusammen sein können. Doch wenn deine ‚Schmerzen' aufhören willst du mich sofort zurück? Ich... weiß nicht. So kann ich dich nicht richtig loslassen und für dich ist es sicherlich auch nicht so leicht, wenn wir es trotzdem immer wieder versuchen und auf solche Momente warten, in denen es geht" Ich rutschte von ihm hinunter. „Tut mir Leid", entschuldigte ich mich mit gesenktem Kopf. „Ich dachte nur... momentan läuft alles so gut und seit Lea da ist, ist alles einfacher und vielleicht hilft sie mir auch damit" Betrübt studierte ich den Boden.

Im Haus der Geschichten, die niemand erzählt.

„Wer ist Lea?", wollte Marco irritiert wissen. Erst da realisierte ich, dass ich soeben mein größtes Geheimnis der letzten Woche gelüftet hatte. „Meine Schwester", antwortete ich trotzdem. Ich wollte ihn nicht anlügen. „Du hast eine Schwester?", fragte er weiter. Ich nickte. Da konnte ich ihm auch gleich alles erzählen. „Sie ist so eine Art Gestaltwandler, ein grauer Wolfshund und sie hilft mir", fasste ich zusammen. „Deine Andersartigkeit scheint wohl in der Familie zu liegen...", meinte er nachdenklich. Ich drehte mich suchend um, besagter Wolfshund war vorhin nicht zur Tür hinaus, vielleicht war sie noch hier. „Lea?", rief ich sie leise. Fast sofort kam unter einem Deckenstapel eine Hundenase zum Vorschein. Etwas unschlüssig kroch sie aus ihrem Versteck hervor. Erst als ich ermutigend nickte, schlich sie näher.

„Da ist sie", stellte ich sie Marco vor und zeigte in ihre Richtung. Marco folgte meinem Finger. „Wo?" Er richtete sich etwas auf, um besser sehen zu können. „Na da! Kommst du?" Der zweite Teil war an meine Schwester gerichtet. Sie beschleunigte ihre Schritte und trabte zu mir. Begrüßend legte sie ihre Schnauze in meine geöffnete Handfläche. Ich fuhr ihr durch das dichte, flauschige Fell. Marco blieb seltsam ruhig neben mir, doch ich spürte seinen Blick auf mir. Erst als die Stille zwischen uns unangenehm wurde, drehte ich mich zu ihm um.

„Ich kann sie nicht sehen", sagte er dann langsam. Verwundert sah ich zwischen Lea und ihm hin und her. „Können dich Menschen nicht sehen?", fragte ich sie schließlich. Sie antwortete nicht. Ihre klaren Augen ruhten auf meinem Freund, doch sie blieb weiter stumm. „Vielleicht kannst du sie fühlen?", mutmaßte ich, ergriff einfach seine Hand und legte sie auf ihr Fell. Doch er zog sie wieder zurück.

„Bist du für Menschen nicht sichtbar?", richtete ich mich erneut an Lea. Sie bestätigte es mit einem Kopfnicken. Noch einmal ließ sie ihren Blick über Marco gleiten, dann zog sie sich wieder in den Schatten zurück. Der junge Luraschi neben mir war genauso ruhig wie sie. „Was ist denn auf einmal?", rief ich verzweifelt, „Warum seid ihr jetzt beide so still?" Marco tastete nach meiner Hand und strich sanft mit dem Daumen über meinen Handrücken.

Wo Raumschiffe einsam im All explodier'n.

„Da war für mich nichts, Hanna. Gar nichts. Weder Wärme, noch Fell, noch irgendetwas", meinte er dann leise und drückte meine Hand, als ob er mir seinen Beistand präsent machen wollte. „Vielleicht schützt sie sich magisch vor menschlichem Einfluss und deshalb ist für Menschen da nichts. Doch ich fühle, sehe und höre sie so deutlich wie dich", erklärte ich. Er nickte. „Dann glaube ich dir" „Danke"

Anschließend stand er auf. „So, jetzt suche ich aber endlich meinen Vater", gab er von sich und machte sich davon. Ich legte meine aktuelle Arbeit ebenfalls beiseite. Ich hatte daran jetzt lange genug gearbeitet. Einige Minuten nach Marco verließ ich ebenfalls die Kammer.

Im Schnellzug zur Hoffnung der nirgendwo hält.

Kaum war ich jedoch aus der Sattelkammer hinaus, blieb ich wie angewurzelt stehen.

„Sie redet von einem Wolf oder Hund, der bei ihr ist" Verräter. Vorsichtig warf ich einen Blick um die Ecke und tatsächlich standen da die zwei Luraschis. Konnte man ihm nicht einmal ein Geheimnis erzählen? „Ein Wolf? Was hat sie noch gesagt?", bohrte Mario dringlich weiter. Er klang sehr angespannt. „Sie wollte ihn mir zeigen, doch ich konnte ihn nicht sehen und nicht fühlen. Das macht mir Angst, Papa... Es klingt so wie aus deinen Erzählungen!" „Schon in Ordnung. Danke, dass du es mir gesagt hast. Sie wird nicht verrückt. Dieses Mal werden wir es verhindern", hörte ich meinen Meister. Ich schluckte aufkommende Tränen hinunter. Warum verhielten sich alle so geheimnisvoll? Warum konnten sie es mir nicht einfach erzählen? Werde ich verrückt? Aber... was ist daran verrückt? Vermutlich die ganze Tatsache, dass ich mit Pferden reden kann. Glauben sie mir nicht mehr? Führen sie mich alle an der Nase herum und wollen mich an irgendwelche Freakshows ausliefern? Doch warum nicht früher? Weil ich damals das unschuldige Pferdemädchen war und sie es als Fantasie abgestempelt haben? Warum hatte mir Mario dann Vi... den Falben geschenkt? Warum?

Ich tat so, als wäre ich gerade erst aus dem Gebäude gekommen und ging einfach in die andere Richtung weiter. Ich zitterte vor Anstrengung nicht weinend zusammenzubrechend. Sie vertrauten mir nicht mehr. Wann würde ich endlich aus diesem ewigen Albtraum aufwachen? Es musste alles ein Traum sein. Alles. Angefangen bei meinem ersten Kontakt mit der Arena. Vielleicht wachte ich ja einfach wieder morgen dort auf. Doch es fühlte sich alles so real an. Die Pferde, die Menschen, die Umgebung... Es war sicherlich kein Traum. Ich durfte nicht die Hoffnung verlieren.

Kämpft ein alter Spieler um sein letztes Geld.

Aber was, wenn ich wirklich verrückt werde? Und es kein Traum ist? Bin ich dann immer noch ihr pferdesprechender Superman? Ich musste dringend mit jemanden über alles reden. Jemand, der mir zuhörte. Im ersten Moment fiel mir tatsächlich Lea ein, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wenn ich jetzt mit ihr redete, könnte ich es auch für mich behalten. Vielleicht war ja mein Lieblingskomponist irgendwo. Innerlich betete ich regelrecht, dass er irgendwo war.

Will alles auf einmal und sofort. Das Schiff, das sinkt, doch der Käpt'n bleibt anBoard.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now