32. Eiskalt

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Am Stall herrschte der gewohnte Betrieb. Menschen, die über den Hof wuselten, Pferde, die von A nach B geführt wurden und die Betriebsamkeit eines großen Freizeitparkes. An mir ging alles vorbei, als wäre es nicht existent. Dennoch hörte ich auf die Worte, die mir vorhin gesagt wurden. Einfach weitermachen. Ich atmete tief durch, betrat den Hof und lies die Situation erst einmal auf mich wirken. Keiner beachtete mich großartig, was ich sehr willkommen hieß. Denn trotz Allem fühlte ich mich immer noch merkwürdig beobachtet. Aber wer sollte mich verfolgen wollen? Sylvain war tot! Ich hatte niemanden mehr, der es auf mich abgesehen hatte. Langsam schlich ich an den Wänden entlang zum Stall. Ich hätte auch direkt über den offenen Hof laufen können, aber ich traute mich nicht. Lieber zog ich mich in den Schatten der Häuser zurück und nahm den Umweg in Kauf. Nevado brummelte leise zur Begrüßung, als ich den Abschnitt betrat, indem er und Vito seit Neustem zusammen wohnten. Sie waren direkte Boxennachbarn. Er wirkte wieder fit, auch die anderen waren inzwischen auf den Beinen, wenn auch noch etwas müde. Sogar Vito lag schon aufrecht im Stroh. Immer wieder fielen ihm die Augen zu, doch entweder wollte er nicht schlafen oder konnte es nicht. Der weiße Verband um seinen Hals hob sich kontrastreich von seinem goldenen Fell ab. Als er mich kommen sah, öffnete er die Augen und wandte mir den Kopf zu. Kurz spitzte er die Ohren, sah mich aufmerksam an, doch dann senkte er sein Haupt wieder erschöpft zu Boden. Der Schimmel dagegen kam wieder sofort auf Kuschelkurs. Als wäre nie etwas passiert. Er drängte seine Stirn gegen meine Brust und hinderte mich so am Eintreten, als ich seine Tür öffnete.

Ich versucht ihn zur Seite zu schieben, doch er blieb hartnäckig. Auffordernd rieb er sich an mir. „Kraul mich", schien er zu sagen. In der Tat sagte er aber eigentlich gar nichts. Ich folgte seinem stummen Befehl und versenkte meine Finger in dem weichen Fell an seinem Nacken. Wohlig grummelte er. Es schien ihm nichts auszumachen, was passiert war. Er behandelte mich, als wäre alles nur ein Traum. Und seine Anwesenheit ließ mich auch keinesfalls beengt fühlen. Lag es an Menschen? Die waren so unberechenbar... Die Tiere waren es nicht. Ich kannte Nevado. Wenn auch nicht so gut, wie ich Vito mal gekannt hatte, dennoch wusste ich, wie er reagierte. „Wir müssen trainieren", meinte ich irgendwann, total versunken darin, in sein Fell Muster zu zeichnen.

Der Wallach ging einige Schritte zurück, um mich endlich in seine Behausung zu lassen, dann nickte er. Ich griff nach dem Halfter und führte ihn hinter mir in die Halle. Dort machte ich alle Ausgänge zu und ließ den Weißen schließlich frei. Er wartete geduldig, bis ich fertig war und riss sich nicht gleich los. Dann drehte er ab, ließ den Hals sinken und trottete mit der Nase im Sand durch die kleine Halle. Als er endlich einen bequemen Platz gefunden hatte, ließ er sich zu einem ausgiebigen Sandbad nieder und stand dann völlig sandfarben paniert wieder auf. Er schüttelte sich ausgiebig, entfernte damit aber nur die gröbsten Sandkörner.

Ich nahm eine Gerte von der Bande und schickte ihn zum Schritt laufen auf den Hufschlag. Freilaufen in der Halle hatte ich schon ewig nicht mehr gemacht. Hatte ich das überhaupt jemals mit Nevado gemacht? Jedenfalls stellte er sich ganz artig an, brach kein einziges Mal aus, sondern tobte sich gesittet um mich herum aus. Als er durch die ganze Aktion schön locker und ausgepowert war, begann ich das richtige Training. Beziehungsweise verbrachte ich die ersten zehn Minuten damit, mir einige Übungen zu überlegen, die ich in Kaltenberg zeigen konnte. Wage konnte ich mich an meine Aufgabe erinnern. Es lag so weit entfernt und doch so nah, seit ich das mit Mario abgeklärt hatte. Ich sollte eine Waldläuferin spielen, das wusste ich noch. Ich hatte zwei Pferde, eines davon war in den Sagen als Schnellstes Tier des Landes bekannt. Und eben jenes brauchte der gute Ritter, um den schwarzen Ritter zu besiegen. Meine Aufgabe war es nur, die Beiden zu präsentieren und Freiheitsdressur zu zeigen. In einer Arena. Vor tausenden von Menschen. Der Schimmel war in dem Fall das schnelle Pferd und Vito sollte mein Freund darstellen. Ob das klappen sollte? Ich wusste es nicht.

Moondancer - PferdeträumerWhere stories live. Discover now